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Studie zum akademischen Mittelbau
Jede Woche 12 Überstunden

Nachwuchswissenschaftler sammeln jede Woche zahlreiche Überstunden an. Doktoranden sind besonders betroffen. Das zeigt die jetzt vorgelegte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Viele Forscher aus dem Mittelbau beklagen die schlechten Arbeitsbedingungen seit Jahren.

Von Manfred Götzke |
    Statue von Wilhelm von Humboldt vor der Humboldt-Universität zu Berlin.
    Überstunden im akademischen Mittelbau sind nicht bezahlt und abfeierbar (imago stock&people)
    Reinhard Flogaus wird wohl auch heute länger bleiben als er eigentlich müsste. Der Privatdozent für Kirchengeschichte hat an der Humboldt-Universität eine Vollzeitstelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Tariflich vorgesehen 39,7 Wochenstunden.

    "Also ich schätze, dass ich locker über 60 Stunden in der Woche arbeite."
    Lehrdeputat, Sprechstunde, Forschung, Berufungen, Begutachtung. Es kommt einiges zusammen.
    "Ich mache hier als Privatdozent das gleiche was ein Professor macht, ich bin auch in vielen Gremien - also ich bin schon rund um die Uhr im Einsatz - es ist schon eine Belastung."
    Die jetzt vorgelegte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat ihn deshalb nicht überrascht. Fast 12 Überstunden sammeln wissenschaftliche Mitarbeiter demnach Woche für Woche an – Promovierende weitaus mehr als Postdocs. Flogaus und seine Forscherkollegen aus dem Mittelbau beklagen diese schlechten Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb schon seit Jahren.
    Überstunden werden erwartet
    "Die Profs erwarten von ihren Mitarbeitern, dass sie auch mehr arbeiten. Nun haben die Profs keine festgelegt Arbeitszeit. Sie sind nicht in der Qualifikationsphase und sie sind ihr eigener Chef. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind dagegen meist in der Qualifikationsphase und abhängig von ihren Chefs, weil die die Qualifikationsarbeit auch noch begutachten."
    12 Überstunden kommen so also pro Woche im Schnitt zusammen. Nicht bezahlt und auch nicht abfeierbar, anders als in der freien Wirtschaft oder Verwaltung, sagt Hochschulforscher Jens Ambrast vom DZHW.
    "Wir stellen schon fest, dass die Überstunden mit der wissenschaftlichen Arbeitskultur zu tun haben und über die wissenschaftliche Arbeitskultur ist einerseits bekannt, dass die Personen sehr intrinsisch motiviert sind und deshalb zu einer gewissen Form von Selbstausbeutung neigen, wenn man Selbstausbeutung so versteht, dass sie da beginnt, wo Arbeit geleistet wird, die nicht bezahlt wird – und das finden wir liegt hier vor."
    Und diese intrinsische Motivation werde bei Wissenschaftlern im Grunde unausgesprochen vorausgesetzt.
    Arbeit an der eigenen Promotion kommt zu kurz
    Besonders viele Überstunden häufen der Studie zufolge Wissenschaftler an, die gerade promovieren, sie kommen auf mehr als 13 pro Woche. Was bei dieser Gruppe hinzukommt: in der Regel haben Promovierende nur eine halbe oder Zweidrittelstelle – also eine 20 oder 30 Stunden-Woche und arbeiten damit fast 50 Prozent mehr als vereinbart. Oft kommt dann die Arbeit an der eigenen Promotion zu kurz.
    "Wenn die Arbeitszeit um die es hier geht, zusätzlich noch wegfällt für die Arbeit, die sie eigentlich für die Qualifizierungsarbeit bräuchten – was auch oft beklagt wird – dann ist es ein besonderes Problem"
    Mit oft drastischen Folgen, sagt Privatdozent Flogaus, der den Mittelbau in den Gremien der Humboldt Uni vertritt.
    "Es führt, das habe ich oft selbst erlebt, dazu das wissenschaftliche Mitarbeiter kündigen, weil sie nicht genügend Zeit für die Qualifikation haben."
    Nur halbe Stellen
    Dass Wissenschaftler in der Qualifikationsphase in der Regel nur halbe Stellen haben, sei eines der Hauptprobleme. Allzu gern teilen Professoren die vollen Stellen, die sie zur Verfügung haben, in doppelt so viele halbe auf.
    "Es ist ganz klar, warum das gemacht wird: Weil zwei Personen mehr arbeiten auch mehr Überstunden machen als eine Person. Man hat einen deutlich größeren Output und wenn die Mitarbeiterstellen von den Professoren nur als Ausstattung betrachtet werden und nicht als Grundlage zur Qualifizierung des Nachwuchses, dann kommt es zu diesen unschönen Situationen."
    Flogaus setzt sich deshalb an seiner Uni in Berlin dafür ein, dass Promotions- und Habilitationsstellen mindestens Dreiviertelstellen sein müssen. Bislang ohne Erfolg.
    Dass wissenschaftliche Mitarbeiter überhaupt so viel mehr arbeiten als es ihre Verträge vorsehen - Flogaus nennt das bewusst nicht Selbstausbeutung. Denn wirklich freiwillig arbeiten die Nachwuchswissenschaftler keineswegs so viel, sagt er.
    "Das ist auch ein gewisser Zwang, die ganzen Überstunden, zumal wenn man noch nebenher Familie Kinder und so weiter – das macht doch niemand wirklich gerne!"