Stephanie Gebert: Wir haben gerade den Arbeitsminister gehört, der die Weiterbildung im Land voranbringen will: Wir alle sollen fit gemacht werden für die digitale Arbeitswelt, der Staat will dabei unterstützen. In den letzten Jahren aber hat er sich aus den Kosten für solche Weiterbildungen herausgemogelt. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, die öffentliche Finanzierung ist stark zurückgegangen, sie hat sich fast halbiert in den vergangenen 25 Jahren. Besonders darunter zu leiden haben Langzeitarbeitslose und Menschen ohne Berufsabschluss. Martin Noack ist Mitautor dieser Bertelsmann-Studie. Ich grüße Sie!
Martin Noack: Schönen guten Tag!
Gebert: Sie teilen in der Studie ein in drei Kategorien, wer solch eine Weiterbildung finanzieren kann: Einmal wir selbst als Arbeitnehmer, dann der Betrieb und zum Schluss der Staat – und der, sagen Sie, hat in den letzten Jahren immer mehr gegeizt.
Noack: Genau so ist es. Wir haben einen starken Abfall um 43 Prozent in den öffentlichen Bildungsfinanzierungen zu verzeichnen zwischen 1995 und 2015, und der geht maßgeblich zum Beispiel zurück auf die zurückgegangene Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit.
Starke Förderung in der Nachwendephase
Gebert: Das heißt also, in den 90er-Jahren war es noch ganz anders, da war der Staat viel involviert in die Finanzierung der Weiterbildung. Haben Sie eine Vermutung, warum die öffentliche Hand sich da weiter aus diesem Feld zurückgezogen hat?
Noack: Nun ja, Anfang der 90er-Jahre hat man natürlich sehr stark gefördert, weil wir noch die Nachwendephase hatten, dort waren viele Qualifizierungsbedarfe einfach da. Und dann kam Ende der 90er-, Anfang der 2000er-Jahre die Hartz-IV-Reform, und in diesem Rahmen hat man dann auch ganz neu aufgestellt die Arbeit der Bundesagentur für Arbeit und hat in dem Rahmen auch die Weiterbildungsförderung stark eingestampft. Man hatte damals den Eindruck, dass viel am Markt vorbei gefördert wurde, und hat dann die Bildungsgutscheine eingeführt, um dann stärker marktorientiert Weiterbildung zu fördern. Das hat aber ganz bestimmte Benachteiligte produziert, und die leiden quasi heute noch darunter.
Gebert: Der Arbeitsminister von der SPD, Hubertus Heil, sagt ja, Weiterbildung bleibt Kernaufgabe der Unternehmen, und Sie sagen es gerade, hinten runter fallen dann diejenigen, die gar kein Unternehmen im Rücken haben. Dabei wäre für die eine Weiterbildung ganz besonders wichtig.
Noack: Das ist vollkommen richtig, und zwar ganz besonders diejenigen, die keinen Berufsabschluss haben, also die sogenannten Geringqualifizierten. Die sind viermal so häufig arbeitslos, und wenn sie im Betrieb sind, dann müssen sie hoffen, dass ihr Arbeitgeber einwilligt, eine Weiterqualifizierung hin zum Vollabschluss zu machen. Das ist mit dem neuen Qualifizierungschancengesetz jetzt möglich geworden, aber sie hängen halt immer noch am Arbeitgeber. Diejenigen, die keinen Arbeitgeber haben, sind komplett auf die Bundesagentur angewiesen, und dort sind nur sehr wenig Gelder verfügbar im Hartz-IV-Segment für Weiterqualifizierung.
Weniger Weiterbildung für Hartz-IV-Empfänger
Gebert: Das heißt, wenn man sich Ihre Studie anschaut, die ja auf die Vergangenheit schaut, dann wird sich auch in Zukunft nicht besonders viel für diese benachteiligte Gruppe verändern?
Noack: Nicht jedenfalls für diejenigen, die Hartz-IV-Empfänger sind. Für Geringqualifizierten kann sich eventuell was tun, wenn sie einen starken Arbeitgeber haben, der sieht, dass in Zeiten von Digitalisierung und Fachkräftebedarf man auch etwas für seine Leute tun muss. Aber das ist natürlich schwer zu steuern.
Gebert: Was müsste denn aus Ihrer Sicht passieren, damit die Weiterbildung an dieser Stelle keine Menschen hinten runterfallen lässt?
Noack: Nun ja, es ist ja so, im Qualifizierungschancengesetz ist ja ein Recht auf Weiterbildungsberatung verankert worden, das haben dann auch Hartz-IV-Empfänger. Derzeit ist es aber so, wenn in der Beratung zum Beispiel rauskommt, dass der gering qualifizierte Arbeitslose eigentlich jetzt eine Qualifizierung zum Vollabschluss bräuchte – zum Beispiel schrittweise über Teilqualifizierungen –, dass er dafür kein Recht auf Förderung hat. Wenigstens diese Gruppe sollte dieses Recht bekommen.
Gebert: Sehen Sie irgendeine Chance darauf, dass die aktuelle Bundesregierung das auch im Blick hat?
Noack: Ein Recht auf Weiterbildung wird natürlich schon seit langer Zeit gefordert, bisher habe ich wenig Regierungsbewegung in diese Richtung gesehen.
"Der Staat muss gegensteuern"
Gebert: Dabei ist die Bildung ein zentrales Thema auch dieser Bundesregierung, die sich das immer wieder gern auf die Fahnen schreibt. Und da haben Sie in Ihrer Studie auch festgestellt, dass es durchaus Unterschiede gibt, in welchen Teil der Bildung investiert wird und in welchen nicht.
Noack: Ja, Sie haben vollkommen recht. Im frühkindlichen Bereich sehen wir durch den U3-Ausbau oder durch den Kita-Ausbau einen Zuwachs von 150 Prozent in den letzten 20 Jahren, auch im Schulbereich sind die Bildungsausgaben um 41,3 Prozent gestiegen, also durch die Bank weg sieht man eine Bildungsexpansion. In der Weiterbildung ist das überhaupt nicht der Fall, da hat man vielleicht in der Vergangenheit, als man noch hohe Massenarbeitslosigkeit hatte und auch qualifizierte Leute auf der Straße saßen, nicht so viel tun können und wollen. Jetzt allerdings, wo die Fachkräftebedarfe immer enger werden und wo die zunehmende Digitalisierung auch große Bedarfe an Qualifizierung ausmacht, muss der Staat gegensteuern und muss dringend investieren. Wenn Sie sich vorstellen, wir haben 4,6 Millionen Geringqualifizierte in Deutschland, wenn wir die jetzt jahrzehntelang noch mitschleppen und von Weiterbildung ausschließen, dann kriegen wir auch soziale Probleme.
Gebert: Der Staat vernachlässigt die Weiterbildung, vor allem für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte. Das kritisiert Martin Noack und hat uns die entsprechende Studie der Bertelsmann-Stiftung dazu gerade vorgestellt.
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