Jeden Tag bekommt Martin Scholz Besuch von Studierenden. Im Gepäck haben sie ihre Wünsche, Nöte und vor allem auch Sorgen.
"Wer in die Studienberatung kommt, muss sich immer auch darüber klar sein, dass es um eine Reflektion geht. Da muss man sich dann auch mit sich selbst und seiner eigenen Situation auseinandersetzen und das tut eben beileibe nicht jede Person, die sich gegebenenfalls mit Gedanken an Studienabbruch trägt."
Wer nicht redet, dem kann nur schwer geholfen werden. Der Studienberater der Leibniz Universität Hannover und Vorsitzender der Gesellschaft für Information, Beratung und Therapie an Hochschulen sieht darin einen der Gründe, warum sich ein Studienabbruch nur schwer verhindern lässt. Wissenschaftler aus Neuseeland und Australien sind da anderer Meinung.
"Was wir wollten ist im Prinzip eine priorisierte Liste von Studenten, die das Risiko tragen, abzubrechen. Das heißt, wir wollten der Universität eine Echtzeitansicht geben, mit wem sie Unterhaltungen führen sollten. Aber auch um sozusagen auf Makrolevel zu sehen, welche Personengruppen unter Umständen Probleme haben."
Zu 90 Prozent richtige Vorhersagen
Eduard Liebenberger und sein Team haben einen Algorithmus entwickelt, der die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Studium voraussagt. Trainiert wurde der mit Datenmaterial über Studierende, das eine neuseeländische Universität 15 Jahre lang gesammelt hat. Bereitwillig hat die Hochschule die anonymisierten Daten an das private Softwareunternehmen "Jade" weitergegeben.
"Das ist der Druck hier, um Erfolge zu zeigen und im Prinzip die Ausbildungsqualität in Neuseeland zu erhöhen. Aber wahrscheinlich noch stärker ist der finanzielle Druck. Jeder Student, den sie verlieren, das ist direktes Einkommen, das sie verlieren, und die Kosten bleiben annähernd gleich."
Relevant für den Algorithmus sind Herkunft, Abiturnoten und Hochschulnoten des Studierenden, aber auch die Finanzierung des Studiums. Ein Stipendium ist an Erfolg geknüpft. Wer aber zusätzlich zum Studium noch arbeiten muss, steckt oft nicht seine ganze Energie ins Lernen. Neben den Präsenzzeiten, die durch Login-Daten im W-LAN-Netz der Universität abgelesen werden können, spielen auch Onlinekurse eine Rolle. Aus all diesen Informationen entsteht dann ein Gesamtbild – allerdings nicht für einen einzelnen Studenten. Vielmehr werden hier "Problemgruppen" herausgefiltert. Mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 90 Prozent liegt der Algorithmus nach eignen Angaben richtig und soll aufzeigen, wo mehr gefördert werden muss. Studienberater Martin Scholz ist skeptisch.
"Das klingt so ein bisschen nach ein einem Wunderinstrument. Ich glaube daran nicht. Es ist eine Momentaufnahme, die völlig den Entwicklungsprozess der Studieninteressierten oder auch der Studierenden vernachlässigt."
Bessere Studienberatung würde helfen
Martin Scholz mangelt es nicht an Förder- oder Beratungsangeboten, vielmehr würden sich Studierende oft "verwählen" beim Erststudium. Dem könne man bei etwa 19.000 Studiengängen in Deutschland nur entgegenwirken, indem man bessere Informationen über die Inhalte bereitstellt. Für Wolfgang Herrmann, Präsident der technischen Universität München, sind technische Lösungen allerhöchstens eine Ergänzung. Seine Hochschule setzt bei der Studienabbrecher-Prävention schon viel früher an und lädt möglichst viele Studierende zu Vorstellungsgesprächen ein.
"Wir tragen Verantwortung für die jungen Leute, die wir aufnehmen und auch Verantwortung für die Universität selbst. Denn nur mit Studierenden, die zu den Studienangeboten passen, kann die Universität langfristig erfolgreich sein."
In Deutschland setzt man im Kampf gegen Studienabbrecher noch immer auf den persönlichen Kontakt. Doch sowohl australische als auch neuseeländische Universitäten haben ihr Interesse an dem Algorithmus angemeldet und werden ihn in Zukunft testen.