Sandra Pfister: Das Studium heute empfinden viele als hektischer, als verschulter, teilweise auch als anspruchsloser als früher, aber eines hat man den neuen Bachelorabschlüssen immer zugutegehalten: dass sie das Studium verkürzen. Sechs Semester, vielleicht noch sieben, und dann ist man durch. Ja - so steht es auf dem Papier. In der Praxis dauert der Abschluss bei vielen deutlich länger. So geht es aus aktuellen Regierungsstatistiken hervor. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise, in dem Bundesland, in dem jeder vierte deutsche Student eingeschrieben ist, machen die Bachelor-Studierenden ihren Abschluss nach durchschnittlich mehr als achteinhalb Semestern. Woran liegt das? Darüber reden wir mit Marianne Ravenstein, der Prorektorin für Lehre an der Uni Münster. Guten Tag, Frau Ravenstein!
Marianne Ravenstein: Guten Tag nach Köln!
Pfister: Frau Ravenstein, bummeln die Studierenden oder haben die Hochschulen zu viel in die Studiengänge reingepackt?
Ravenstein: Nein. Nach den Zahlen, wie ich sie für die Universität Münster verfolge, bummeln die Bachelor-Studierenden auf keinen Fall. An der Universität Münster, und die Gründe nenne ich Ihnen, ist es so, dass die durchschnittliche Studiendauer bis zum Bachelorabschluss bei uns bei sechseinhalb Semestern liegt. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich, dass bei uns 60 Prozent aller Bachelor-Studierenden in der Regelstudienzeit fertig werden und nur acht Prozent deutlich länger, nämlich mehr als neun Semester brauchen.
Wichtig sind eine gute Betreuungsrelation und Beratung vor Studienbeginn
Pfister: Was machen Sie denn richtig, was die anderen vielleicht falsch machen?
Ravenstein: Entscheidend dafür, dass Bachelor-Studierende ihr Studium erfolgreich in der Regelstudienzeit abschließen, ist erst mal, das Allerwichtigste: eine gute Betreuungsrelation in den Studiengängen, also in einem ausreichenden Maße Professorenstellen und Stellen im akademischen Mittelbau. Da hat die Universität Münster deutlich auch aus Sondermitteln, die es von Bund und Land gab, die Betreuungsrelation verbessert. Das sind aber nur die Rahmenbedingungen, und die sind ansonsten schon in Nordrhein-Westfalen schwierig. Aber entscheidend ist erstens, dass Bewerberinnen und Bewerber schon vor Aufnahme des Studiums beraten werden über Studieninhalte, über das Profil eines Studiengangs, damit sie auch vor Aufnahme des Studiums erfahren können, ob sie denn geeignet sind für diesen Studiengang. Das ist für mich das A und O.
Pfister: Wie regeln Sie das denn, wie filtern Sie denn raus, ob Studierende geeignet sind?
Ravenstein: Das kann nur über eine sehr gute Fachstudienberatung erfolgen, und die muss früh ansetzen. Die kann nicht erst beim Abiturienten ansetzen, sondern deutlich früher, nämlich spätestens mit Beginn der Oberstufe. Das Zweite aber ist, dass wir am Beginn des Bachelorstudiums über sogenannte Vorkurse und Brückenkurse einen Studieneingangsphase sehr, sehr gut gestalten, damit alle Studienanfänger auch nach dem ersten Semester auf einem sehr homogenen Niveau den Studiengang beginnen und dann auch möglichst erfolgreich absolvieren können.
Fachspezifische Unterschiede ausschlaggebend für Differenzen
Pfister: Haben denn Ihre Kollegen an anderen Hochschulen das noch nicht begriffen? Denn wenn das bei Ihnen funktioniert, müsste es da ja auch funktionieren.
Ravenstein: Ich sage mal, die anderen Kollegen haben es sicherlich auch begriffen, entscheidend ist aber auch, dass wir schon fachspezifische Unterschiede haben. Eine eher längere Studiendauer liegt auch oft an den Studiengängen selber. Also, die Ingenieurwissenschaften zum Beispiel, braucht in der Regel so ein Fach länger.
Pfister: Die Geisteswissenschaftler sind auch oft ein Problem. Liegt es da an der Unstrukturiertheit der Studiengänge?
Ravenstein: Entscheidend ist, dass wir die Zahl der Prüfungen und das, was Sie in der Anmoderation genannt haben, den Prüfungsdruck und auch die Tendenz zur Verschulung deutlich durch eine Reform der Bologna-Reform zurückgefahren haben.
Appell die notwendige Grundfinanzierung der Hochschulen zu sichern
Pfister: Was Sie sagen, läuft in vielen Punkten auf zweierlei hinaus. Einerseits die Lehrpläne, die überfrachtet waren, klarer strukturieren und einiges an Anforderungen zurückfahren durch Entschlackung. Und der zweite Punkt ist, Sie haben es eingangs gesagt, Sie investieren sehr viel Personal hinein, Studierende individuell an die Hand zu nehmen, da man nur dann merkt, wo bei wem irgendwelche Schwachstellen sind. Wenn Sie es hinkriegen als Universität - die anderen Unis sagen ja oft, die Landesmittel sind knapp, wir kriegen nichts. Welchen Ratschlag geben Sie denen?
Ravenstein: Im Moment bekommt die Universität Münster das deshalb hin, weil wir sehr viele Sondermittel zweckgebunden für Studium und Lehre einsetzen, um mehr Personal zu beschäftigen, zum Beispiel den Qualitätspakt Lehre, in dem die Uni Münster allein 23 Millionen akquiriert hat, um die Betreuungsrelation zu verbessern. Ich bin der Meinung, dass wir vor allen Dingen, und das wäre mein Ratschlag neben den Rahmenbedingungen, dass wir vor allen Dingen die Beratung der Studierenden und vor allen Dingen die Betreuungsform der Studierenden deutlich verbessern müssen. Gleichzeitig appelliere ich auch immer an die Akteure in der Hochschulpolitik, uns auch die notwendige Grundfinanzierung zu sichern, damit wir das auch weiter so machen können.
Kein Tabu nicht in Regelstudienzeit zu studieren
Pfister: Ist es für Sie ein Tabu, die Regelstudienzeit im Bachelor hochzusetzen?
Ravenstein: Das ist für mich kein Tabu. Allerdings würde ich sagen, Regelstudienzeit im Bachelor sechs Semester, Regelstudienzeit im Master vier Semester sind für mich schon Werte, die in Ordnung sind. Gleichzeitig möchte ich aber nicht, dass ein Studierender und die Studierenden selber denn davon ausgehen, wenn sie erst in sieben Semestern fertig werden, dass sie dadurch nicht erfolgreiche Studierende sind. Gerade die sind erfolgreich, weil sie sich auch die notwendige Zeit nehmen, über ein Auslandssemester und Praxiserfahrung und den Blick über den Tellerrand auch die Zeit an der Alma Mater für ihr Studium sehr individuell durchzuführen.
Pfister: Das sagt Marianne Ravenstein, Prorektorin für Lehre an der Uni Münster. Danke Ihnen herzlich, Frau Ravenstein!
Ravenstein: Vielen Dank!
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