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Studieren bei Fellini

Anders als der deutsche Film steht das italienische Autorenkino auch international immer noch hervorragend da. Ein Grund könnte in einer einmaligen Institution liegen, die Italien zu bieten hat: der staatlichen Filmschule auf dem Geländer der Filmstadt Cinecittà. Sie genießt alle finanziellen Vorteile, von denen vergleichbare Einrichtungen in anderen Ländern nur träumen können. Dennoch geht es ihr zuerst um Qualität und dann ums Geldverdienen.

Von Thomas Migge | 15.06.2005
    "Gabbiani", Möwen heißt das Erstlingswerk von Marco Pellegrini. Der 25-Jährige führte Regie. Zum ersten Mal in einem richtigen Film. Nicht mit Studierenden als Schauspieler, sondern mit bekannten Namen der italienischen Filmszene, 30 Minuten, ein Kurzfilm. In Italien erhielt er bereits Auszeichnungen. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 70jährigen Bestehen jener Schule, an der Marco Pellegrini vier Jahre lang studierte, wird der Streifen "Gabbiani" im großen Vorführsaal des "Centro Sperimentale di Cinematografia" gezeigt. Vor prominentem Publikum: um Europas älteste Filmschule zu feiern sind die "Bigs" der italienischen Filmindustrie
    gekommen: darunter die Schauspielerin Claudia Cardinale, der Komponist Ennio Morricone und der Regisseur Marco Bellochio.

    Es war der faschistische Diktator Benito Mussolini, der im Jahr 1935 das "Centro Sperimentale" ins Leben rief. Gleichzeitig gründete er mit der Filmstadt "Cinecittà" eine Art europäisches Hollywood. Die Filmschule am östlichen Stadtrand von Rom im Quartier Tuscolana sollte für "Cinecittà" Schauspieler und Regisseure, Filmkomponisten, Maskenbildner, Cutter usw.
    ausbilden. Man wollte cineastisch autark werden. Nach Kriegsende wurde der politische und nationalistische Aspekt der Schule aufgegeben, erklärt Institutsdirektor Gabriele Antinolfi:

    " Unser Ziel ist es zum einen junge Talente zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu geben von Experten ausgebildet zu werden. Zum anderen soll dieser Nachwuchs die berühmte Tradition des italienischen Films weiterführen."

    Die Studierenden des Centro Sperimentale haben die Möglichkeit, nach bestandener Aufnahmeprüfung, sich in einen oder in mehrere der neun Studienkurse einzuschreiben: Regie und Kamera, Schnitt, Ton, Kostüme und Fotografie, Musik etc. Unterrichtet werden sie von den bekanntesten Kameramännern und Cuttern Italiens, von Komponisten und von Regisseuren von Weltruhm - wie zum Beispiel von Lina Wertmüller und Nanni Moretti. Jedes Jahr werden 40 neue Studierende aufgenommen. Die Studiengebühren belaufen sich auf 1.500 Euro pro Jahr. Ausländische Studierende sind willkommen - Voraussetzung ist, dass sie halbwegs gut Italienisch sprechen.

    Die Schweizer Jungschauspielerin Eva Allenbach entschied sich für das "Centro Sperimentale" in Rom, weil sie, wie die meisten ausländischen Studierenden, vom ausgezeichnete Ruf dieser Schule erfahren hatten. Einer Schule, so Eva Allenbach, ohne die die großen Filme der italienischen Nachkriegszeit undenkbar gewesen wären:

    "Das ist eigentlich eine Schauspielschule, die ist spezialisiert auf Filmschauspiel. Weil es eine historisch sehr bekannte Schule ist, hatte sie schon immer sehr gute Kontakte auch für nachher."

    Kontakte, von denen die erfolgreichen Schulabgänger zu profitieren hoffen. Weltstar Claudia Cardinale und Regisseurin Liliana Cavani sind Absolventen des "Centro Sperimentale". In ihrer Fußstapfen hoffen die Studierenden zu treten und: sie erwarten sich Starthilfen im Filmbusiness dank der ausgezeichneten Beziehungen ihrer "professori" - zu denen übrigens in früheren Jahren auch der legendäre Federico Fellini gehörte, der für seinen berühmten Film "La Dolce Vita" eine Gruppe Nachwuchsschauspieler von der Filmschule heranzog. Schauspieler, von denen später viele sehr bekannt wurden.

    Institutsdirektor Gabriele Antinolfi geht es darum, dass seine Studierenden qualitativ hochwertig ausgebildet werden:

    " Direkt vor unserem Eingang, auf der Straßenseite gegenüber, liegt die Filmstadt Cinecittà. Da wurden früher alle großen italienischen Streifen gedreht. Heute macht man da Seifenopern und Fernsehfilme und dann und wann kommt ein US-Regisseur und dreht einen Film. Uns aber geht es darum, den Autorenfilm zu fördern. Eine Filmspezies, die Italien international berühmt gemacht hat. Deshalb stellen wir hohe Anforderungen an unsere Studierenden, deren Produkte übrigens durch das ŒIstituto Luce¹ vertrieben werden."

    Nahe bei der Filmschule befindet sich das Gebäude des "Istituto Luce" - auch eine Mussolinigründung. Dieses Institut ist eine Art nationaler Filmverleih, der sich um den Vetrieb und die Verbreitung der Streifen aus "Cinecittà" und dem "Centro Sperimentale" kümmert. Diejenigen, die das große Glück haben, am "Centro" studieren zu dürfen, befinden sich also in den besten Händen - mit den besten "Connections" für ihre spätere Karriere.