Kate Maleike: Weltbeste und anerkannte Universitäten, die englische Sprache direkt von Muttersprachlern lernen – das sind allesamt gute Gründe, warum Großbritannien auf der Liste der beliebtesten Ziele für ein Auslandsstudium bei den deutschen Studierenden ganz oben steht. Doch nun kommt der Brexit, im März 2019 will das Land die EU verlassen und die Austrittsverhandlungen stecken gerade, wie man hört, in einer sehr schwierigen Phase.
- Dr. Georg Krawietz leitet das Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in London, dort ist gerade auch sozusagen das Semester angelaufen. Grüße Sie, Herr Krawietz!
Georg Krawietz: Wunderschönen guten Tag nach Köln!
Maleike: Wie ist denn die aktuelle Stimmungslage, wie würden Sie die beschreiben, allgemein?
Krawietz: Soweit es die Hochschulen angeht, sind die Sorgen, die man schon seit anderthalb Jahren oder eineinviertel Jahren seit dem Referendum hat, im Grunde genommen nach wie vor die gleichen. Man hofft darauf, dass im Zuge der politischen Verhandlungen, die natürlich sehr viel weiter oben stattfinden, auch die Wissenschaft und der Hochschulbereich mit Ergebnissen dann leben können, die im Grunde genommen ein Fortbestehen der bisherigen Austausch- und Kooperationsbedingungen erlauben. Das ist aber momentan eben noch nicht abzusehen. Sicherlich werden hier auch verschiedene Szenarien durchgespielt, über die man als Externe nicht so viel eben erfährt.
Es ist aber nicht so, dass man jetzt stimmungsmäßig zum Beginn des Wintersemesters, das gerade in diesen Wochen anfängt auch hier im Vereinigten Königreich, einen anderen Eindruck hätte als vielleicht vor ungefähr einem halben Jahr. Die Stimmungslage ist nach wie vor angespannt und besorgt, aber nicht dramatisch schlecht oder gar panikbehaftet.
Maleike: Was wissen wir denn definitiv schon über den Brexit und die Zeit danach? Es war ja immer damit gedroht worden oder das Szenario ist ja da, dass die Mobilität zwischen zum Beispiel den deutschen und britischen Studierenden dann nicht mehr so gegeben sein wird wie jetzt.
Krawietz: Ja, das ist nach wie vor tatsächlich eine Besorgnis. Wir haben nach wie vor einen Anteil von etwa 30 Prozent aller internationalen Studierenden, die aus EU-Ländern kommen. Und innerhalb der EU ist Deutschland nach den letzten statistischen Zahlen auf Platz eins mit etwa 13.500. Wie gesagt, 30 Prozent kommen da aus der EU. Für EU-Studierende ist es momentan, sage ich mal, beruhigend, dass die britische Regierung sich verpflichtet hat, die Studiengebühren im grundständigen Bereich, also für den klassischen Bachelor, der etwa drei oder vier Jahre dauert, weiterhin auf dem sogenannten Home-Fee-Status zu belassen. Das heißt also, EU-Studierende, die nicht nur in diesem Jahr angefangen haben, sondern auch noch im nächsten Jahr anfangen werden, also zum akademischen Jahr 2018/2019, werden für die gesamte Dauer des Studiums - das kann man jetzt mit drei und vier Jahren, in Schottland sind es meistens vierjährige Bachelor – weiterrechnen, das heißt, bis 2021 und Schottland bis 2022 wird man als EU-Ausländer zu den Bedingungen studieren können, die auch für britische Studierende hier im Land gelten.
Maleike: Heißt das, Sie können tatsächlich im Moment nicht feststellen, dass es ein nachlassendes Interesse von deutschen Studierenden gibt, zum Beispiel nach London zu gehen?
"Kostensituation herausfordernd"
Krawietz: Nein, das können wir nicht. Die Kostensituation ist schon seit mehreren Jahren herausfordernd. Jeder wird sich gut überlegen, ob er in der Lage ist, nicht nur Studiengebühren, sondern auch die Lebenshaltungskosten zu decken, die übrigens an Standorten wie Oxford und Cambridge, die jedenfalls in unseren Stipendiatenstatistiken auch ganz vorne rangieren, ähnlich hoch sind wie auch eben in London. Da ist kein großer Unterschied festzustellen. Ein nachlassendes Interesse können wir nicht bemerken. Auch die Forschungskooperationen, da ist das Interesse nach wie vor eben da. Allerdings hören wir, dass bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem EU-Ausland, also deren Anteil auf Bewerbungen, offene Positionen, die von britischen Hochschulen ausgeschrieben werden, da hat offensichtlich der Anteil der EU-Interessenten in den letzten sechs bis zwölf Monaten doch substanziell nachgelassen.
Maleike: Ja, es wird ja dann auch die Frage sein, wie die großen EU-Gelder im Forschungsbereich dann kompensiert werden können überhaupt. Was hören Sie da? Wenn Sie jetzt sagen, wir merken schon, dass da sich vielleicht ein bisschen umorientiert wird. Gibt es tatsächlich Bestrebungen von deutschen Wissenschaftlern zum Beispiel Großbritannien zu verlassen, auch wenn es von der Forschung her interessant ist?
Krawietz: Das hören wir nur in sehr vereinzelten Fällen. Insgesamt würde ich die Situation so beschreiben: Diejenigen, die im Land sind und hier in britischen Universitäten tätig sind, planen derzeit noch nicht in einem wahrnehmbaren Maße, sich umzuorientieren. Umgekehrt, wie gesagt, sieht es bei denjenigen aus, die aus dem Ausland jetzt sich nach Großbritannien orientieren wollen. Wer möchte schon gerne die Unsicherheit in Kauf nehmen, gerade dann vielleicht auch wenn man Familie hat? Aber es gibt momentan noch keinen massiven Trend, sich wieder aus dem Ausland eben ... also aus den UK ins europäische Ausland oder nach Nordamerika oder Asien hin fortzubewegen, von Einzelfällen wie gesagt abgesehen.
Maleike: Was wird sich denn möglicherweise für Ihre Arbeit als DAAD dort ändern?
"Reihe von Probleme" beim Brexit
Krawietz: Wir hoffen natürlich - wie alle Beteiligten im Grunde genommen – der Hochschul- und Wissenschaftsbereich hat ja definitiv sich nicht für den Brexit ausgesprochen – darauf, dass wir die Dinge so weiter fortsetzen können, wie sie bislang eben sind. Sollte es zum Austritt kommen, wird es eine Reihe von Problemen geben. Zum einen werden mittelfristig die Studiengebühren aller Wahrscheinlichkeit nach ansteigen, um 50 Prozent und mehr. Das wird sicherlich dazu führen, dass Studierende aus dem EU-Ausland sich nicht mehr in so großer Zahl werden bewerben können.
Für den DAAD kann es bedeuten, dass wir, die wir ohnehin einen Zuschuss nur zahlen zu den Studiengebühren momentan, dann schauen müssen, wie weit reicht das Geld und können wir auch noch im gleichen Umfang wie bisher Studiengebühren übernehmen, wenn sie denn dann höher sind? Im Wissenschaftsbereich ist es so, dass die Universitäten hier in Großbritannien sehr stark sich dafür einsetzen, dass das große europäische Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020, über dessen Nachfolger, das neunte Forschungsrahmenprogramm, jetzt auch schon verhandelt wird, dass das eben fortgesetzt wird.
Dieses Programm Horizont 2020 macht 20 Prozent und zum Teil mehr des Forschungsetats britischer Universitäten aus. Das zu verlieren ist im Grunde genommen für viele Universitäten, gerade diejenigen, die forschungsorientiert sind und international vernetzt sind, ein großes Problem, von dem man ausgeht und auf das man hofft eben, es abwenden zu können.
Maleike: Anlaufendes Semester, darüber sprechen wir gerade, auch über das Stimmungsbild, was es gibt. Kann man denn sagen, dass der Brexit tatsächlich alles überschattet? Oder gibt es andere Themen, die gerade auf der Agenda stehen, worüber man sozusagen auf dem Campus mehr spricht als über den Austritt?
Studiengebühren steigen
Krawietz: Ja, das gibt es in der Tat. Es gibt einige politische Veränderungen. Im Frühjahr des Jahres ist der sogenannte High Education Research Act vom Parlament beschlossen worden. Dies ist ein neues Gesetz, das einige Dinge verändern wird. Es gibt hier ein sogenanntes Teaching Excellence Framework, das eingeführt wird. Das bedeutet, dass die Lehrqualität der Universitäten mit darüber entscheidet, ob Universitäten demnächst höhere Gebühren werden nehmen können.
Zu den Gebühren muss man sagen, sie waren bisher auf 9.000 Pfund etwa ausgelegt, ab diesem Semester können sogar 9.250 Pfund erhoben werden und im nächsten Jahr sollten es sogar 9.500 Pfund werden für grundständige Studierende. Diesen Schritt wird man jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unbedingt rückgängig machen, aber man wird sich das noch einmal neu überlegen. Denn ein Ergebnis der Wahlen im Juni des Jahres war, dass sich sehr viele junge Leute von den Tories, den Konservativen abgewandt und Labour zugewandt haben, weil Labour nämlich versprochen hat, die Studiengebühren komplett zu streichen.
Und es ist eine offene Frage, wie dann der Hochschulbereich, der sehr stark von den Gebühren abhängig ist, dann funktionieren würde, Tatsache ist aber, dass auch die regierenden Konservativen mittlerweile darüber nachdenken, ob nicht die finanziellen Bürden zu stark und zu hoch sind für Studierende. Der Durchschnittswert von Absolventen hinsichtlich der Studienkreditaufnahme und Unterhaltsbeihilfen nach dem Studium liegt inzwischen hier bei 50.000 Pfund für den Absolventen, die Absolventin. Das ist weltweite Spitze, jedenfalls im Durchschnitt – ich sehe jetzt mal von einigen US-amerikanischen Universitäten ab.
Aber man macht sich darüber Gedanken, ob man junge Menschen mit Anfang 20 tatsächlich mit einer solchen Schuldenlast ins Berufsleben starten lassen soll. Dabei sollte man anmerken, dass diese Kredite dann rückzuzahlen sind abhängig vom Einkommen. Auch da hat es einen Fortschritt gegeben. Bisher war die Grenze, ab der man mit Rückzahlungen beginnen musste, 21.000 Pfund. Diese Grenze soll jetzt auf 25.000 Pfund Jahresgehalt angehoben werden. Das heißt also, da öffnet sich ein Fenster für diejenigen, die vielleicht nicht gleich zu Beginn eine gut bezahlte Stelle eben finden. Die müssten dann erst anfangen, ihre Kredite zurückzuzahlen, ab einer Schwelle von 25.000 Pfund Jahreseinkommen.
Maleike: Das sind sozusagen finanzielle Dinge, die da eine große Rolle spielen im Moment. Und da wird man natürlich auch sehen, was aus den Wahlversprechen oder aus dem, was man angedeutet hat, tatsächlich am Ende bei herumkommt. Vielleicht noch ganz kurz zum Schluss: Kann man eigentlich einen Studienaufenthalt in Großbritannien zum jetzigen Zeitpunkt empfehlen?
Krawietz: Ja, unbedingt. Gegen einen Studienaufenthalt im Vereinigten Königreich spricht aus meiner Erfahrung überhaupt nichts. Die Erfahrungen, die man hier machen kann, sind im Wesentlichen doch sehr identisch mit denen, die man bisher eben machen konnte. Es eröffnet nicht nur akademisch, sondern auch interkulturell den Blick und die Perspektive. Diese Empfehlung kann man weiterhin aufrechterhalten.
Maleike: Dr. Georg Krawietz war das vom Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in London mit Semesterimpressionen aus dem Hochschulland Großbritannien, das vor dem Brexit steht. Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.