Hochschulen und Länder streben an, "wieder ein Präsenzstudium zu ermöglichen, soweit es die Rahmenbedingungen zulassen. Die sich stetig verändernde Pandemielage bleibt der zentrale Faktor bei den Planungen", schreibt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK).
Vor allem in den Master-Studiengängen gibt es gute Möglichkeiten für die Präsenzlehre. Bei den Bachelor-Studiengängen spielen weitere Faktoren wie Semesterplan, Raum- und Gruppengröße ein Rolle. Hier sind weiterhin Hybridunterricht oder digitale Lehrformen möglich.
- Präsenz-Bemühungen bei Schulen und Hochschulen
- Welche Rolle spielen Corona-Impfungen?
- Bilanz der Semester mit rein digitalen Lehrveranstaltungen
- Welche Auswirkungen hatte der fehlende soziale Kontakt auf die Studierenden?
- Lernrückstände und weniger Abschlüsse
- Konsequenzen aus den Besonderheiten der Online-Semester
- Wie ist die Position von Studierendenvertretungen?
Die Bemühungen bei Hochschulen und Schulen lassen sich schwer vergleichen, da die Hochschulen mit einer viel größeren Zahl von Studierenden arbeiten - viele sogar mit über 30.000,
sagte HRK-Präsident Peter-Andre Alt im Dlf
: "Das heißt, der Alltagsbetrieb ist sehr, sehr viel stärker verdichtet. Auf dem Campus gibt es sehr, sehr viel mehr Mobilität, sehr viel Wechsel von Räumen, von Bezugsgruppen. Das macht natürlich die Organisation schwierig." Dazu komme die große Anzahl von Veranstaltungen und eine begrenzte Zahl der Lehrkräfte, sodass es schwierig sei, Kleingruppen zu bilden.
Präsenzveranstaltungen können demnach vor allem dort stattfinden, wo kleinere Gruppen möglich sind. "Wir werden eine Mischstrategie haben: in den kleineren und mittelgroßen Gruppen Präsenz unter der Bedingung, dass dann eben entsprechend die Abstandsregeln eingehalten werden und die drei Gs erfüllt werden. In anderen Fällen bei den großen Vorlesungen eher das virtuelle Angebot."
Jede Hochschule hat ihr eigenes Konzept, abgestimmt auf Räumlichkeiten, Fächer und Bedürfnisse vor Ort. In einigen Ländern werden sie in den jeweiligen Corona-Schutzverordnungen explizit erwähnt, in anderen nicht. In Berlin etwa setzt man auf die etablierten Hygienemaßnahmen, Maskenpflicht, Tests, eine hohe Impfquote, eine "angemessene" Kontaktnachverfolgung und die 3G-Regel.
Laut niedersächsischem Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) habe man den Hochschulen die Direktive gegeben, Vorlesungen in Präsenz stattfinden zu lassen, mit Maske und in "großen Hörsälen, weil die eben auch mit Frischluft belüftet sind. Das sind keine Umschlagsanlagen, sondern es sind eben Anlagen, wo die Luft ausgetauscht wird."
Eine große. Hochschulen und Landespolitik werben eindringlich dafür, dass Studierende sich impfen lassen, um wieder zum Normalbetrieb übergehen zu können. Zahlreiche Universitäten bieten oder boten niederschwellig die Möglichkeit an, sich auf dem Campus impfen zu lassen - wie etwa in der Mensa der TU Berlin. Damit erreichte man vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner der mehr als 9.000 Studierendenwohnheime der Hauptstadt.
HRK-Präsident Peter-Andre Alt erklärte, dass es solche Impfmöglichkeiten an vielen Campi gegeben hätte: "Und das ist auch in großem Umfang flächendeckend von Studierenden genutzt worden." Eine Umfrage in vielen Bundesländern und einzelnen Hochschulstandorten stimme sehr zuversichtlich. "Ich rechne damit, dass im Durchschnitt 85 Prozent geimpft sind", so Alt, "damit liegen wir über dem Durchschnitt der Bevölkerung."
Berlin: überwiegende Mehrheit geimpft
Verlässliche Daten zur Impfquote unter Studierenden fehlen allerdings. In Niedersachsen schätzt Wissenschaftsminister Thümler, dass die Quote bei Medizinstudierenden bei über 90 Prozent liegt. Zudem habe die Universität Göttingen auch andere Studierende mitgeimpft, "sodass man davon ausgeht, dass wir in so eine ähnliche Größenordnung kommen." Diese Schätzungen werden von anderen Politikern allerdings angezweifelt.
Eine nicht repräsentative Umfrage unter Berliner Studierenden ergab, dass die überwiegende Mehrheit vollständig gegen Corona geimpft ist: Mehr als 80 Prozent der über 42.000 Befragten gaben dies an. Gut 13 Prozent sagten, sie seien noch nicht geimpft, knapp ein Prozent gehört zur Gruppe der Genesenen. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass mehr als drei Viertel der insgesamt rund 200.000 Studierenden an Berliner Hochschulen vollständig geimpft sein dürften.
3G oder 2G als Voraussetzung für Präsenzveranstaltungen
Eine Impfung könnte jedoch bald auch zur Voraussetzung werden, um das Studium überhaupt fortsetzen zu können. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat bereits mehrfach öffentlich über eine 2G-Regelung nachgedacht. In anderen Ländern soll die Einhaltung der 3G-Regel die zentrale Voraussetzung für die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen sein.
Baden-Württemberg setzt zum Beispiel ebenfalls auf 3G. Kleine Studiengruppen – ein Markenzeichen des dualen Studienkonzepts - erlauben, dass die Raumkapazitäten optimal genutzt werden können, und dass die Studierenden, die sich in der Theoriephase befinden, nahezu komplett auf dem Campus sein können.
Tatsächlich soll es digitale Alternativen bald nur noch in Ausnahmefällen geben, bestätigt auch der Vorstand der Landesrektorenkonferenz, Carsten Busch - etwa wenn Studierende wegen Krankheit nicht geimpft werden könnten. Ein flächendeckendes Digitalangebot parallel zum Präsenzunterricht sei dauerhaft nicht zu leisten, da seien sich die Hochschulen einig. Der Berliner Wissenschaftssekretär Steffen Krach (SPD) erklärt: "Es gibt jetzt das Angebot, jeder kann sich impfen lassen. Und wenn man nicht geimpft ist oder genesen ist, dann wird man nur mit einem negativen Test auf dem Campus und in die Hörsäle kommen."
Stichprobenkontrollen sollen die Einhaltung der 3G-Regel geimpft, genesen oder getestet im Wintersemester sicherstellen. Studierende, die sich jetzt gegen eine Impfung entscheiden, müssen dann allerdings wohl tief in die Tasche greifen. Nach einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz sind Coronatests ab Mitte Oktober kostenpflichtig.
Gerade an den Fachhochschulen, den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die meist nicht so groß wie Universitäten sind, liefen die Digitalsemester gut, was die Umstellung der Lehre anging. Allerdings ist Hochschule mehr als Vermittlung von Wissen, weshalb die Rückkehr auf den Campus für den Erfolg des Studiums wichtig ist, sagt auch Professor Dr. Stephan Schenkel, Rektor der DHBW Karlsruhe: "Obwohl es gut lief und auch in der virtuellen Lehre und den Online-Prüfungen das hohe Qualitätsniveau sichergestellt werden konnte, und die Studierenden sogar noch Zusatzqualifikationen entwickelt haben, wie z.B. mehr Medienkompetenz, haben sich viele nach einer Rückkehr gesehnt. Eine Hochschule ist ein Ort der Begegnung."
Für die Prüfungen scheint das allerdings nicht zu gelten: Laut einer Umfrage vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft aus 2020 fanden mehr als die Hälfte der befragten Studierenden coronabedingte digitale Prüfungen besser als oder gleich gut wie das klassische Format. Bei den befragten Lehrenden fiel die Begeisterung für digitale Prüfungen nicht so hoch aus: Der entsprechende Anteil lag hier 14 Prozentpunkte niedriger.
Denkbar wäre in Zukunft das Angebot von Hybridveranstaltungen denkbar, sagte HRK-Präsident Alt. "Wer will, kann in den Hörsaal. Aber wer nicht will, kann sie auch streamen, diese Vorlesung, dann sollte man auch immer wieder deutlich machen: Was ist ein verantwortungsbewusster Umgang mit diesen Tools? Ich glaube, diese digitale Hochschuldidaktik spielt in Zukunft in dem gesamten System der Hochschulen eine immer wichtigere Rolle und muss verantwortungsvoll organisiert werden."
Wer im Sommersemester 2020 sein Studium begonnen hat, hat jetzt schon das halbe Bachelorstudium rum, ohne Kommilitonen und Dozenten richtig kennengelernt zu haben, ohne im Audimax zu sitzen und den Vorlesungen der Professoren und Professorinnen lauschen zu können. Fast 70 Prozent der befragten Studierenden gaben dementsprechend bei einer Umfrage vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft aus 2020 an, dass das mangelnde Sozialleben die größte Herausforderung für sie während der Corona-Pandemie gewesen ist.
Eine bundesweite Umfrage der Universität Hildesheim zeichnet ebenfalls ein klares Bild: 91 Prozent der befragten Studierenden gaben an, dass ihnen die Gespräche mit Kommilitonen und Kommilitoninnen fehlen, über 80 Prozent erklärten, dass ihnen der direkte Kontakt mit dem hochschulischen Lehrpersonal fehle.
Ähnliche Ergebnisse gab es bei einer Online-Studie der Universität Köln. Die Erwartungen an das Onlinesemester waren demnach zu Beginn der Pandemie leicht negativ. Eine schlechtere Lehre und die Angst, dass sich der Studienabschluss verzögern wurde, gehörten zu den größten Sorgen. Außerdem befürchteten viele Studierende weniger soziale Kontakte mit anderen Studierenden und weniger Austausch mit den Lehrkräften. Diese Befürchtung einer sozialen Vereinsamung sei tatsächlich zu einer monatelangen Realität geworden, erklärte Studienleiter Professor Kai Casper.
HRK-Präsident Alt räumte ein, es fehle bei virtuellen Vorträgen die authentische Reaktion im Auditorium. Aber er hob auch hervor, dass die digitalen Anwendungen allerdings auch seine Möglichkeiten zur Sozialisation biete: "Etliche Anbieter ermöglichen tatsächlich den Austausch über Chatforen, ermöglichen die Bildung von kleinen Arbeitsgruppen, schaffen auch viel bessere Möglichkeiten, als das in früheren System der Fall war."
Es gibt tatsächlich weniger Hochschulabschlüsse wegen der Corona-Pandemie: Im Wintersemester 2019/2020 und im Sommersemester 2020 haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur rund 477.000 Absolventinnen und Absolventen einen Hochschulabschluss erworben. Das waren 33.000 oder sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Die Absolventenzahlen sanken demnach in allen Bundesländern - am stärksten in Berlin mit einem Minus von zwölf Prozent.
Das hat vielerlei Gründe: Prüfungen wurden verschoben, dazu waren Bibliotheken, Labore und Werkstätten zeitweise geschlossen oder nur eingeschränkt nutzbar, was die Prüfungsvorbereitung für die Studierenden erschwerte.
Weniger Studienanfänger im Coronajahr
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sank auch die Zahl der Studienanfänger und -anfängerinnen: von 508.689 im Vorjahr auf 488.585 Erstsemester im aktuellen Studienjahr 2020/21. Als Studienjahr zählt das Sommersemester eines Jahres plus das nachfolgende Wintersemester.
Ein Grund dafür ist, dass vor allem ausländische Studierende ferngeblieben sind. Einige Hochschulen schränkten ihr Studienangebot ein. Ein weiterer Grund war, dass es im Schuljahr 2019/2020 an Gymnasien in Niedersachsen wegen der Wiedereinführung von G9 nur einen unvollständigen Abiturjahrgang gab.
Das Land Brandenburg hat ein Lernlücken-Programm gestartet und stellt dafür 1 Million Euro zur Verfügung. Prof.
Eva Schmitt-Rodermund, Präsidentin der Fachhochschule Potsdam sagte im Dlf,
man wolle die Studierenden von der Couch auf den Campus holen.
Dafür gebe es je nach Hochschule unterschiedliche Maßnahmen wie Tutoren- oder Buddyprogramme, damit Lernrückstände aufgeholt und soziales Miteinander wieder aufgebaut werden können. Dazu müsse man sich die Situation individuell anschauen. "Wer ist mit Bachelor- oder Masterarbeiten in Rückstand geraten? Welche Prüfungsleistungen wurden erbracht? Wo wir Lücken sehen, das sind Bereiche, wo Praxis notwenig ist, gemeinsames Arbeiten." Dazu gehöre auch, die Studierenden in Praktikumsstellen zu bringen.
Viele Studierende sehnen sich nach verlässlichen Aussichten und einer sicheren Rückkehr an die Hochschulen. Viele wissen nicht, ob sie ihre Mietverträge verlängern sollen. Andere sind wegen der hohen Mieten zum Beispiel in Berlin und den wegfallenden Nebenjobs etwa in der Gastronomie längst wieder bei den Eltern eingezogen und fragen sich nun, ob sie fürs Wintersemester auf Zimmersuche gehen sollen. Dennoch reagiert ihre Vertretung, die Berliner Landesastenkonferenz, empört auf die Öffnungspläne.
"Einzelne Universitäten haben ja schon angekündigt, sie wollen auch möglichst schnell die Abstandsregeln abschaffen, damit sie auch die ganz großen Vorlesungen wieder in Präsenz machen können. Und dafür haben wir gar kein Verständnis. Also wir würden auch gerne wieder zurück in Präsenz, aber eben kontrolliert und schrittweise, anstatt jetzt auf Teufel komm raus einfach aufzumachen", sagt Asta-Sprecher Benjamin Kley.
Die erst vor kurzem mit den Hochschulen ausgehandelte Teil-Präsenz sei plötzlich vom Tisch. Konkrete Pläne für digitale Alternativen fehlten, so der Informatikstudent. "Es scheint so, als würde hier die Linie gefahren. Naja, fresst oder sterbt. Und die Studierenden werden jetzt ganz deutlich vor die Wahl gestellt. Entweder Präsenz oder ihr könnt nicht studieren."
Daryoush Danaii, Vorstandsmitglied des Freien Zusammenschlusses von Studenten- und Studentinnenschaften, hält dagegen. Der Präsenzbetrieb müsse Priorität haben. "In den letzten Semestern haben wir besonders gemerkt, wie wichtig die Präsenzlehre ist. Denn das ist ja das, wofür wir an die Uni kommen, das Lernen, der Austausch, das Miteinander."
Er wirbt für Verständnis für die Hochschulen. Für diese stelle der Wechsel zwischen Präsenz- und Online-Lehre nämlich auch eine schwierige Herausforderung dar. "Natürlich können Online-Elemente weiterhin integriert werden, was Online-Tools angeht zur Abgabe oder auch zur Begleitung von Seminaren und Lerninhalten. Daher wünschen wir uns von den Universitäten ganz klar, dass jetzt möglichst schnell kommuniziert wird, wie die Veranstaltungen stattfinden. Wie sich die Studierenden am besten darauf vorbereiten können."
Quellen: Thekla Jahn, Bastian Brandau, Luise Sammann, Kate Maleike, Tristan Schwarz, LKRP, Statista, afp, og