Die Unibibliothek Hildesheim wirkt verwaist, aber hinter den Türen geht es hoch her. Seit Wochen bereitet man sich auf diesen Tag vor, den Start ins Ausnahmesemester:
"Ich schlafe wieder etwas besser. 'Ne kleine Gruppe von uns hat wirklich gekeult. Weil wir uns auch gesagt haben, wir versuchen das möglich zu machen. Und das muss doch gehen."
Alle Systeme koordinieren
Ewald Brahms leitet die Bibliothek. Er, sein Team und die Kolleg*innen aus dem Rechenzentrum und der E-Learning-Abteilung haben viel improvisiert, getestet, verworfen, neu gedacht. Denn hier schlägt das Herz der Hochschulen: Der Wissensspeicher, auf den jetzt alle online zugreifen möchten, Lehrende und Studierende. Wenn aber die Rechner nicht laufen, läuft hier gar nichts. Die Aufgaben der letzten Wochen: Serverkapazitäten ausbauen, Literatur scannen, Lizenzen kaufen. Alle Systeme koordinieren, die technischen und auch die menschlichen, offline und online.
"Mehr Datenleitungen, neue Formen der Kommunikation ermöglichen wir und wir tun eben nicht nur was für die Lehrenden und für die Beschäftigten hier, sondern auch was für die Studierenden", so Brahms.
Die Bibliothek ist nicht nur Wissensort, sondern auch ein Lernort für die Studierenden, mit bestem W-lan, mit Raum und Ruhe. Das fällt jetzt weg. Unter den Verhältnissen leiden aktuell besonders die Prüfungskandidat*innen. Die Vorbereitungen sind extrem erschwert, der Blick in die Zukunft verstellt.
"Ziel wird sein, dass Prüfungen auch elektronisch möglich sein werden und dass keiner aufgrund dieses Corona-Virus' – und das ist dann wirklich unverschuldet – Nachteile in seinem Studium bekommt", sagt Brahms.
Flexibler Umgang mit Prüfungen
Dass keiner Nachteile bekommt, das wird nicht klappen, soviel steht schon fest, weiß Stephan Buchberger, Sprecher der LandesAStenKonferenz für die rund 210.000 Studierenden in Niedersachsen. Er möchte selbst gerade vom Bachelor- ins Masterstudium der Erziehungswissenschaften wechseln, an der Uni Hildesheim. Seine Hoffnung:
"… dass die Hochschulen flexibel mit den anstehenden Prüfungen umgehen. Da haben wir auf jeden Fall Gespräche. Jetzt ist es nur so, dass jede Hochschule nochmal ihre eigene Autonomie hat. Da ist es uns wichtig, dass an den Hochschulen die Studierenden auch mit entscheiden."
... und die entsprechenden Ausschüsse auch befragt werden. Von den 21 Hochschulen im Land, von Göttingen bis Emden, von Oldenburg bis Braunschweig, sind einige schon seit dem 1. März am Start. Sie mussten innerhalb kürzester Zeit auf den digitalen Modus umstellen. Die Beobachtung der Studierenden: Bisher geht es vor allem die Bereitstellung der Lehre und viel zu wenig um die Situation der Studierenden, denn die sei für viele katastrophal.
"Wir haben ja schon Anfang März, als es losging, eine Petition gestartet, die fordert finanzielle Soforthilfe. Und innerhalb der Petition - wir haben schon über 50.000 Unterschriften – lassen sich 20.000 Kommentare lesen, dass es sehr existenziell wird in der Problematik. Zwei Drittel aller Studierenden arbeiten nebenher. Da zählen die ganzen Systeme wie Kurzarbeitergeld und so weiter nicht", sagt Stephan Buchberger.
Finanzielle Notlagen bei Studierenden
Viele rutschen ins Minus, wissen nicht, wie sie die Miete bezahlen sollen, geschweige denn, wie sie weiter studieren sollen. Zinslose Kredite, wie von Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek noch am Freitag vorgeschlagen, griffen zu kurz. Direkte Zuschüsse, zum Beispiel über BAföG, fordert auch der Vorsitzende der niedersächsischen Landeshochschulkonferenz LHK, der Hildesheimer Unipräsident Wolfgang-Uwe Friedrich:
"Eine sehr ernst zu nehmende Situation, und ich bedaure sehr, dass wir bisher zwar zunächst ein positives Signal der Bundesministerin Frau Karliczek gehört haben, dass aber offensichtlich die Realisierung eines Notfallfonds auf Hindernisse stößt, die sehr schwer zu überwinden sein werden."
In Niedersachsen sieht die Finanzsituation der Hochschulen ohnehin schlechter aus als anderswo, der aktuelle Etat wurde nochmals gekürzt. Die Nachforderungen für das "Sofortprogramm Digitalisierung" von jetzt 17 Millionen Euro träfen bisher beim Finanzminister auf taube Ohren.
In Bremen, Berlin, Thüringen oder Hessen sei dagegen Soforthilfe gewährt worden. Im Bundesvergleich sieht der LHK-Präsident damit Niedersachsen klar benachteiligt. Insgesamt werde das Semester nur unter erheblichen Einschränkungen stattfinden, so Friedrich. Und wenn kein Geld komme, müssten Stellen gestrichen werden.
"Sommersemester nicht auf Regelstudienzeit anrechnen"
Vorlesungen können digitalisiert werden, aber praktische Übungen fallen vorerst aus. Die Probenräume in der Musikhochschule sind ebenso geschlossen, wie viele Labore und Räume mit technischen Geräten. Deshalb geht Friedrich davon aus,
"… dass selbstverständlich nicht dieses Sommersemester auf die Regelstudienzeit angerechnet werden kann. Alles andere wäre eine Ohrfeige an die Studierenden."
Und wann könnten Präsenzveranstaltungen wieder möglich werden? Friedrich hofft:
"... dass wir im Verlauf des Sommersemesters wieder Präsenzlehre aufnehmen können."
"Schreiben Sie nicht gleich eine Beschwerdemail"
Die Ausleihe der Bibliothek könnte eine der ersten Einrichtungen sein, die wieder geöffnet werden. Deren Leiter Ewald Brahms wünscht sich zum Start in dieses Ausnahmesemester vor allem eines: ein wenig Geduld und Verständnis, vor allem in den ersten Tagen.
"Lehnen Sie sich mal zurück. Schreiben Sie nicht gleich eine Beschwerdemail. Sehen Sie der- oder dem auch nach, wenn es technisch nicht gleich funktioniert. So mit einem bestimmten Spirit, einer guten Einstellung dazu, geht das, größtenteils."