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Studieren in Großbritannien
"Zunächst wird der Brexit ein harter Schlag für uns werden"

Sind Europäer an britischen Hochschulen noch willkommen? Ja, unbedingt, sagte Vivienne Stern von Universities UK International, dem britischen Pendant zur Hochschulrektorenkonferenz, im DLF. Viele britische Hochschulen wollten ihre europäischen Mitarbeiter und Studierenden unbedingt halten und stritten dafür mit der konservativen Regierung.

Vivienne Stern im Gespräch mit Markus Dichmann |
    Blick auf die Universität Cambridge in Großbritannien mit der King's College Chapel und dem Clare College
    Englische Universitäten mit gutem Ruf - sie würden sich langfristig durchsetzen und trotz des Brexit Studierende aus ganz Europa anziehen, so Vivienne Stern im DLF. (picture-alliance/ dpa)
    Markus Dichmann: Großbritannien – das Land, das diese Woche den Austritt aus der Europäischen Union also endgültig dingfest gemacht hat. Und das – obwohl die kritischen Stimmen im Land immer lauter wurden. Zum Beispiel die Stimme von Universitys UK. Das ist sowas wie die größte Interessenvertretung der Universitäten in Großbritannien, und wenn man so will im Grunde – das britische Pendant zur deutschen Hochschulrektorenkonferenz.
    In Campus & Karriere sprechen wir zunächst mit ihrer Direktorin für Internationales – nämlich mit Vivienne Stern. Zunächst wollte ich von ihr wissen – wie sie diese Woche empfunden hat, in der dann ja doch das geschah – was sie so lange versucht hat, zu verhindern.
    Vivienne Stern: Nun – Sie wissen – wir haben uns schwer ins Zeug gelegt, die Leute für den Verbleib in der EU umzustimmen – und das Ergebnis gefällt uns nicht allzu sehr.
    Aber hier stehen wir jetzt – und wir versuchen das Beste aus dem Blatt zu machen, das uns zugespielt wurde. Und bizarrer Weise war ich gestern und vorgestern in Brüssel, um mit Hochschulvertretern aus ganz Europa zu diskutieren und das war ausschließlich positiv! Das Level an Solidarität und Unterstützung, der Wille auch weiter zusammen zu arbeiten, haben ziemlich Aufwind gegeben und ich habe es, ehrlich gesagt, ziemlich genossen.
    Dichmann: Nun sind die Konsequenzen des Brexit für uns alle natürlich schwer zu kalkulieren, aber mit Sicherheit stehen doch einige Dinge auf dem Spiel. Zum Beispiel beginnen wir mit etwas ganz Offensichtlichem: Das EU-Programm Erasmus, das derzeit mehr als 40.000 Studenten jedes Jahr die Mobilität zwischen Großbritannien und Europa ermöglicht. Wäre Großbritannien nicht mehr Teil der EU, wäre das auch das Ende von Erasmus?
    "Erasmus ist auch offen für Nicht-Mitgliedstaaten"
    Stern: Ich hoffe nicht! Erasmus ist – wie viele andere Programme der EU – auch offen für Nicht-Mitgliedsstaaten. Was allerdings davon abhängt, ob sich ein Deal zwischen dem Drittstaat und der EU finden lässt. Und genau deshalb müssen wir unserer Regierung und den Vertretern in Brüssel erklären, dass das wichtig für uns alle ist. Es ist eine Win-Win-Situation, wenn Studierende und Forscher sich unter dem Schutz von Erasmus durch Europa bewegen können. Vor allem aber sind wir darauf angewiesen, dass noch mehr junge Briten den Schritt ins Ausland wagen. Im Moment sind das einfach zu wenige. Erasmus hat da schon sehr weitergeholfen, aber wir müssen da noch mehr tun – und im Grunde ist es egal, welcher Mechanismus da greift. Aber ich hoffe sehr auf Erasmus.
    Dichmann: In Großbritannien werden Studenten, die nicht aus anderen europäischen Staaten kommen, als overseas students bezeichnet, also als Übersee-Studenten, und müssen deshalb auch enorme Studiengebühren zahlen. Die Frage wäre also, ob auch europäische Studenten in Zukunft diese Gebühren zahlen müssen.
    Stern: Es ist noch zu früh zu beschreiben, wie genau das aussehen wird. Und nebenbei will ich noch klar stellen, dass auch die Übersee-Studenten nicht immer enorm viel mehr bezahlen als EU-Studenten, und dass es von Fach und Universität abhängt.
    Aber eines kann ich sagen, nämlich dass alle Studierenden, die 2017 mit dem Studium beginnen, unter den gleichen finanziellen Bedingungen studieren können wie britische Studenten – und das hat auch unsere Regierung garantiert. Aktuell setzen wir uns dafür ein, dass das auch für 2018 gelten wird, und hoffen, dass wir da bald gute Neuigkeiten haben werden.
    Dichmann: Allerdings erscheinen jetzt schon Studien wie diese hier: 44.000 internationale Studienanfänger wurden gefragt, ob der Brexit Großbritannien unattraktiver für ein Auslandssemester mache. Und über 80 Prozent sagten: Ja. Wird der Brexit also für die Internationalität der britischen Hochschulen ein schwerer Schlag werden?
    "Wir haben hier gute Universitäten – mit gutem Ruf"
    Stern: Auf lange Sicht hoffentlich: nein. Kurzfristig wird uns der Brexit aber sicher schaden, und ich gehe davon aus, dass wir das auch in der Anzahl ausländischer Studierender sehen werden. Aber wir haben hier gute Universitäten – mit gutem Ruf – liegen in vielen Rankings weltweit auf Platz eins. Und diese Qualität wird sich langfristig wieder durchsetzen und Studenten aus ganz Europa anziehen. Nur ohne Zweifel: Zunächst wird der Brexit ein harter Schlag für uns werden – auf den wir aber vorbereitet sind.
    Dichmann: Kann man nicht generell sagen, dass es insbesondere die junge Generation ist, die durch den Brexit leidet? Denn die erfolgreichen, etablierten Professoren und Forscher, die werden natürlich weiterhin keine Probleme haben, die Grenzen zu überqueren, egal wie viel sie für ein Visum beispielsweise zahlen müssten. Aber die akademische Jugend, die ironischerweise besonders in Großbritannnien gegen den Brexit gestimmt hat, wird natürlich hart getroffen werden.
    Sten: Ja und deshalb kämpfen wir eben genau dafür, das zu verhindern. Unsere gesamte Lobbyarbeit – im eigenen Parlament, in ganz Europa, auf der Suche nach Unterstützung in den anderen 27 Mitgliedsstaaten – dient einzig und allein dem Ziel, jungen Menschen, jungen Akademikern mit jungen Karrieren weiterhin zu ermöglichen, sich in Europa zu bewegen. Und ich bin ziemlich zuversichtlich, dass das gelingen wird.
    Dichmann: Bisher haben wir nur über die Mobilität von Studenten gesprochen. Wir sollten aber auch über Forschung und Forschungsfinanzierung reden. Das größte Programm der europäischen Union in dieser Hinsicht ist Horizon 2020. Und Großbritannien hat eine hohe Zahl von Projekten, die durch Horizon finanziert werden. Eine sogar größere Zahl als Deutschland. Wie werden all diese Projekte in Zukunft nach dem Brexit weiter finanziert werden?
    Wissenschaftlicher Fortschritt nur bei länderübergreifender Forschung
    Stern: Zunächst mal ist die Finanzierung an der Stelle nicht das wichtigste. Horizon 2020 ist ziemlich einzigartig, weil es eine Plattform zur Zusammenarbeit von Forschern und Universitäten über nationale Grenzen hinweg ermöglicht. Es gibt weltweit kein vergleichbares Programm. Es geht also nicht ums Geld, das von nationalen Quellen ersetzt werden könnte. Es geht um den Zugang zu Netzwerken, den Austausch mit anderen herausragenden Universitäten in ganz Europa. Und in immer mehr Disziplinen lassen sich die Grenzen des Wissens nicht weiter ausdehnen ohne diese Zusammenarbeit.
    Ein Großteil wissenschaftlichen Fortschritts ist nur noch möglich, wenn sich viele Forscher aus vielen Ländern zu einem Ziel zusammenschließen. Deshalb muss es die britische Regierung priorisieren, genau derartige Netzwerke aufrecht zu erhalten. Und das ist nebenbei nicht nur gut für Großbritannien. Davon profitiert ganz Europa. Und uns ermutigt sehr, dass in ganz Europa Akademiker lautstark sagen, dass wir diese Zusammenarbeit nicht opfern dürfen.
    Dichmann: Befürworter des Brexit in Großbritannien argumentieren, dass all das Geld, das bisher in gemeinsame europäische Forschungstöpfe gesteckt wurde, das dies nun gespart wird und direkt in die britischen Universitäten gesteckt werden kann, ohne möglicherweise in einem anderen europäischen Staat sozusagen zu versacken. Ist das eine ernst zu nehmende Kalkulation?
    Stern: Nein – denn wie gesagt – der Vorteil an Programmen wie Horizon 2020 ist mehr als das bloße Geld. Es ist die Gelegenheit über Grenzen hinweg mit vielen Universitäten zu kooperieren. Natürlich spielt das Geld eine Rolle, ist aber zweitranging zu dem Netzwerk, das sich eröffnet. Und ich hoffe sehr, dass die Verantwortlichen in der Regierung genau das bedenken.
    Dichmann: Zuletzt noch eine Sache, denn wir haben ja alle diese anti-europäische Rhetorik einiger politischer Parteien in Großbritannien gehört. Und trauriger Weise haben wir zum Beispiel auch Videos gesehen im Internet von Attacken auf Ausländer in Großbritannien. Wenn wir das alles zusammen nehmen – alles, was wir auch über den Brexit soweit erfahren haben: Ist Großbritannien dann eigentlich noch ein Ort für Europäer? Sind sie noch herzlich willkommen?
    Stern: Ja und das ist die wichtigste Botschaft: Ja, Europäer sind wärmstens willkommen in Großbritannien und in unseren Universitäten. Ich habe seit dem Brexit-Referendum mit vielen Rektoren gesprochen und sie alle sagen mir, wie wichtig die europäischen Mitarbeiter und Studenten für ihre Hochschulen sind. Wir lieben sie, wir wollen sie hier behalten, wir streiten uns mit unserer Regierung jeden Tag dafür, dass ihre Rechte beschützt werden müssen.
    Leider sind hierzulande auch bedauernswerte Dinge geschehen, die sie auch angesprochen haben, aber das sind Einzelfälle, verübt durch eine radikale Minderheit. Und die offene, tolerante und pluralistische Seite dieses Landes wird sich durchsetzen, die Europäer für wertvoll hält und willkommen heißt.