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Studieren in Trümmern

Vor zwei Jahren erschütterten schwere Erdstöße den verarmten Karibikstaat Haiti, 320.000 Menschen starben, rund 1,8 Millionen wurden obdachlos. Noch immer leidet Haiti unter der Katastrophe - auch an Universitäten in der Hauptstadt Porte-au-Prince.

Von Thomas Wagner |
    Über dem Hof am Eingang plärrt die Musik aus den Radios geparkter Autos. Dahinter ein trauriger Anblick: ein Gebäude mit Torbogen in Trümmern - der Eingang der Université Notre-Dame d'Haiti in Porte-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti:

    "Nach dem Erdbeben, da haben wir uns zu den Vorlesungen und Seminaren in notdürftig aufgestellten Zelten eingefunden. Aber jetzt haben die, die an der Spitze der Hochschule gefunden, Geld aufgerieben: Wir konnten Container aufstellen, die Gebäude, die nicht ganz so schlimm betroffen waren, reparieren - es geht jetzt so einigermaßen."

    Lucia Féderarchère hat sich an den Anblick der Trümmer auf dem Campus gewöhnt. Sie studiert öffentliche Verwaltung - und hat ein klares Ziel vor Augen:

    "Ich möchte späterer einmal für mein Land da sein. Ich möchte am Wiederaufbau mitarbeiten. Jawohl, ich bin Patriotin für mein Land. Und man braucht hier dringend Leute mit guter Bildung, die was im Kopf haben."

    Wohl wahr: Denn alleine Haitis Hauptstadt Porte-au-Prince besteht zu großen Teilen aus Trümmern, Slums und Zeltstädten. Zwei Jahre nach der Erdbebenkatastrophe gibt es noch genügend Aufbauarbeit zu leisten. Aber: Nicht alle Studierenden denken so wie Lucie Féderarchère.

    "Sicherlich, unter den Besten hier gibt es viele, die haben nur einen Wunsch: das Land verlassen, beispielsweise in die USA oder nach Kanada. Aber es gibt eben auch viele, die bleiben. Und sie haben hier glänzende Perspektiven: Sei es im Staatsapparat , bei den vielen Nicht-Regierungsorganisationen oder bei den Banken - dort überall werden händeringend Akademiker gesucht - für die viele Arbeit, die im Land ansteht."

    Ein Viertel aller Absolventen verlassen Haiti nach dem Examen, schätzt Jean-Marie Louis, Dekan der Fakultät für Politik- und Sozialwissenschaften. Die meisten, die hier studieren, kommen ohnehin aus der haitianischen Oberschicht: Sie sind gut gekleidet; einige tragen Notebooks unterm Arm. Hinzu kommen die für haitianische Verhältnisse horrenden Studiengebühren:

    "Das ist eine private katholische Universität. Und für einen Studierenden muss man um die 40.000 haitianische Gourdes, das sind etwa 1300 Euro, pro Studienjahr bezahlen."

    Das ist viel Geld, wenn man bedenkt, das über die Hälfte der Haitianer mit weniger als einem Dollar pro Tag ihr Leben bestreiten. Allerdings: Selbst viele Studierende aus besserem Hause können die Gebühren nicht bezahlen. Exmatrikuliert werden sie dennoch nicht. Um aber nicht in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, betätigt sich die Uni als studentische Arbeitsvermittlung.

    "Die Hochschulverwaltung hat mir eine Arbeit vermittelt, an der Uni-Banque. Das wäre an sich ja eine tolle Geschichte. Trotzdem mach ich's nicht. Meine Mutter, mein Vater arbeiten beide. Und selbst wenn sie die Gebühren manchmal mal erst ein bisschen später bezahlen, gibt's keine Probleme. Ich selbst gehöre der Adventistengemeinde an. Und da dürfen wir samstags nicht arbeiten, was bei der Bank aber nötig wäre."

    Jean-Lena Noemy studiert Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Sie selbst braucht das Jobangebot der Uni nicht annehmen. Viele Kommilitonen aber finden auf diese Weise Arbeit - und können so die Studiengebühren bezahlen. Denn nach dem Erdbeben fehlt es an der Hochschule an allen Ecken und Enden: Neue Computer mussten beschafft, neue Räumlichkeiten gefunden, Hilfscontainer aufgestellt werden. Die Bezahlung der Dozenten ist ebenso nicht einfach, erklärt Jean Mary Louis:

    "Wir können die Dozenten nur sehr schlecht bezahlen. Und das heißt im Umkehrschluss: die meisten bei uns nur in Teilzeit. Viele Professoren haben, zwei, drei ja manchmal sogar vier Jobs."

    Die Studierenden auf dem Innenhof sagen artig immer wieder dasselbe: dass sie ihre Zukunft im Land sehen, dass sie beim Aufbau mithelfen möchten. - vielleicht deswegen, weil der Verwaltungsdirektor bei den Interviews genau zuhört. Das führt dazu, dass so manche Studierenden in ihrem Patriotismus unfreiwillig komisch wirken. Jean-Lena Noemy muss selbst schmunzeln, wenn sie über ihr Berufsziel spricht:

    "Also ich träume davon, Außenministerin zu werden."