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Studieren mit 1000 Volt und mehr

Die Benzinfresser auf Deutschlands Straßen sollen Platz machen - nicht für Fahrräder, sondern für mindestens eine Million Elektrofahrzeuge bis 2020. Damit der Umstieg gelingt, braucht man gut ausgebildete Experten. Mit der Nationalen Bildungskonferenz Elektromobilität in Ulm starten Bundesforschungsministerium und VDI ihre Qualifizierungsoffensive.

Von Thomas Wagner | 29.06.2011
    Kevin Näufer besucht in Villingen-Schwenningen die 12. Klasse des Gymnasiums. Im Ulmer Kongresszentrum zeigt er den Gästen Erstaunliches:

    "Ich habe einen Roboter gebaut für den Robo-Cup. Das ist ein Turnier, bei dem Roboter Fußball spielen. Und das Problem ist, dass da ein spezieller Antrieb benutzt wird. Und das ist nicht so ganz einfach, weil die Roboter leicht schräg fahren und von der Ideallinie abkommen. Man könnte sich theoretisch vorstellen, dass das vielleicht auch mal im Stadtverkehr oder vielleicht auch beim Einkaufen für irgendwelche mobilen Einkaufswagen eingesetzt wird, weil es eben extrem mobil ist. Man kann in alle Richtungen fahren, 360 Grad."

    Mit diesem Projekt beteiligt sich Kevin Näufer am Wettbewerb INVENT a CHIP des Bundesforschungsministeriums und des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik. Sein Berufsziel: Irgendwo mitarbeiten bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen.

    "Ich denke, dass das auf jeden Fall ein großer Jobmotor sein kann, weil vieles noch entwickelt werden muss. Es müssen Batterietechnologien verbessert werden. Batterien müssen recycelt werden. Es gibt große Potenziale für Elektroingenieure, weil man bei einem Elektromobil viel kompliziertere Ansteuerungsmechanismen hat als bei dem herkömmlichen Benzinauto."

    Der Gymnasiast hat recht: 30.000 Ingenieure zusätzlich, so die Schätzung des Ulmer Uni-Präsidenten Professor Karl Joachim Ebeling, werden in den kommenden Jahren benötigt, um Elektroautos und E-Bikes zu entwickeln. Das ist ein Kraftakt vor allem für die ingenieurwissenschaftliche Ausbildung. Die einzelnen Studiengänge müssen Zug um Zug an die besonderen Bedürfnisse der E-Mobilität angepasst werden. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen ging hier mit gutem Beispiel voran. Peter Burggräf ist dort Oberingenieur am Lehrstuhl für Produktionsmanagement:

    "Wir haben vor drei Jahren schon die Geschäftsstelle für Elektromobilität gegründet. Und das ist ein Zusammenschluss von insgesamt 20 Instituten aus Aachen. Und hier werden die Voraussetzungen geschaffen, um zum Beispiel in der Lehre die Inhalte zu definieren, die wir brauchen, aber andererseits auch die Forschungsinhalte gemeinsam zu bearbeiten."

    E-Mobilität - dieses Thema können die Hochschulen nur interdisziplinär angehen: hier die Elektrochemiker, die neue Batterientechniken entwickeln, dort die Maschinenbauer, die eine neue Generation von E-Motoren entwickeln: In Aachen werden die Lehrinhalte in den jeweiligen Studiengängen miteinander vernetzt, sofern sie mit dem Thema Elektromobilität zu tun haben - ein Thema, das im Übrigen nicht nur Ingenieur- und Naturwissenschaftler berührt. Professor Markus Lienkamp von der Technischen Universität München schildert ein studentisches Projekt, das nahezu alle Fachbereiche umfasst:

    "Wir bauen zum Beispiel im Moment ein Elektrofahrzeug, wo die Betriebswirtschaftler, die Finanzleute, die Designer, die Techniker und die Naturwissenschaftler gemeinsam zusammenarbeiten können, weil jeder sein eigenes Know-how und sein eigenes Wissen einbringen kann."

    Das Beispiel zeigt: So gut wie alle Studiengänge können inhaltlich das Thema 'Elektromobilität' aufnehmen. Selbst ein Sozialwissenschaftler, so Markus Lienkamp von der TU München, findet seine Aufgabe im Zeitalter der Elektromobilität:

    "Ein Sozialwissenschaftler kann sicherlich versuchen, in den heute sicherlich akzeptierten und weitverbreiteten sozialen Netzwerken eine Stimmung dafür zu schaffen oder auch Tools und Verfahren dafür zu schaffen, dass Leute auch bereit sind, sich auf andere Mobilitätsformen einzulassen, zum Beispiel Fahrgemeinschaften zu bilden."

    Das Problem: Es fehlt an Experten, die sich mit Teilaspekten der Elektromobilität auskennen und diese in der Lehre weitergeben können. Professor Karl Joachim Ebeling, Präsident der Universität Ulm:

    "Wir suchen Professoren an der Universität Ulm ganz konkret in der Leistungselektronik, auch in der Elektrochemie. Ich sehe es deshalb im Moment als schwierig an, weil der Markt keine guten Wissenschaftler hervorbringt auf diesem Gebiet. Man hat jahrelang auf diesem Gebiet nicht genügend Leistungselektroniker ausgebildet, die diese Voraussetzungen mitbringen. Und darunter leiden wir im Moment. Es ist wirklich schwierig."

    Der Mangel an Experten an den Hochschulen könnte sich zu einem ernsthaften Problem auf dem Weg in eine elektromobile Gesellschaft erweisen. Ein weiteres Problem: die Finanzierung. 300 Millionen Euro müsste die öffentliche Hand zur Aus- und Weiterbildung rund um das Thema 'Elektromobilität' bereitstellen. So fordert es die von der Bundesregierung eingesetzte 'Plattform Elektromobilität'. 160 Millionen Euro davon gingen demnach an die Hochschulen. Für den Ulmer Unipräsidenten Karl Joachim Ebeling ist das trotz leerer öffentlicher Kassen ein realistischer finanzieller Ansatz:

    "Also es ist so, dass die Thematik der Elektromobilität auch dank der beschlossenen Energiewende eine zentrale Thematik der Bundesregierung ist. Und ich denke mal, da wird es nicht zu schwer sein, diese Gelder auch wirklich zu bewegen."

    Denn, so wurde es in Ulm deutlich: Wer eine Mobilitätswende will, der befürwortet auch eine Bildungswende: Nicht nur, dass die Ausbildung an den Hochschulen inhaltlich an die Erfordernisse der Elektromobilität angepasst werden muss - auch alle Ebenen der Weiterbildung sind gefragt: KFZ-Mechaniker müssen lernen, wie man statt Ölwechsel Hochleistungsbatterien austauscht und wartet. Feuerwehrleute müssen wissen, wie man ein in Brand geratenes Elektroauto mit einer leistungsfähigen Batterie im Inneren löscht. Versicherungskaufleute müssen lernen, wie man das Unfallrisiko eines E-Mobils realitätsnah einschätzen kann. In Ulm fordern die Teilnehmer am ersten nationalen Bildungskongress für Elektromobilität deshalb eine Vernetzung aller Bildungseinrichtungen, die mit E-Mobilität zu tun haben. Eines ist klar: Wer sich im Rahmen seiner Ausbildung auf Elektrofahrzeuge spezialisiert, braucht sich in den nächsten Jahren um einen guten Job nicht zu sorgen. Peter Burggräf von der RTWH Aachen:

    "Also momentan gibt es bei uns alleine täglich Anfragen von Unternehmen, die Studenten aus dem Bereich Elektromobilität. Wir können diese ganzen Anfragen gar nicht bearbeiten. Also der Run auf hochqualifizierte Mitarbeiter in dem Thema ist sehr groß. Insofern kann ich das nur empfehlen, sich darauf zu spezialisieren. Und dann hat man da die besten Chancen, einen guten Arbeitgeber zu finden."