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Studieren ohne Abitur

Im vergangenen Jahr wurde in NRW der Zugang für Studierende ohne Abitur erleichtert. Über 3500 Studierende ohne Abi waren im vergangenen Wintersemester an den Unis in Nordrhein Westfalen eingeschrieben. Katrin und Ninon sind zwei davon - obwohl sie längst im Beruf stehen.

Von Sabrina Loi |
    "Wenn ich abends noch eine Zigarette rauche, sehe ich immer die Uni und denke, da musst du jetzt wieder hin und freue mich eigentlich auf jeden Tag, an dem ich das machen kann."

    Ninon Becker steht auf ihrem Balkon und zeigt auf ein Gebäude, das hinter den Bäumen zu erkennen ist. Es ist die Uni Wuppertal. Seit einem Jahr studiert sie dort Gesundheitsökonomie. Berufsbegleitend, denn eigentlich ist die 37-Jährige Krankenschwester. Zwei Tage in der Woche und an jedem zweiten Wochenende arbeitet sie am Bethesda Krankenhaus in Wupptertal. Die restliche Zeit teilen sich die Uni und die Familie.

    "Ich finde das voll schön, dass sie studiert, aber sie hat natürlich, also nicht wenig Zeit, aber auch nicht sehr viel."

    Die achtjährige Marlene und ihre Schwester Hanna sitzen nachmittags oft mit ihrer Mutter am Esstisch. Während die Kinder die Hausaufgaben machen, lernt Ninon für die Uni.

    "Ich kann mich nicht vier Tage einschließen und lernen. Das normale Leben geht weiter. Das heißt, ich bin wirklich dazu gezwungen, direkt immer häppchenweise was zu machen. Ich hab teilweise so zwei, drei Stunden am Tag immer noch mal was gemacht und hatte dann eine gute Basis, um vor den Klausuren noch etwas intensiver zu lernen."

    Und das muss sie auch. Gerade die Mathematik bereitet Ninon Schwierigkeiten. Hendrik Jürges ist Professor für den Studiengang Gesundheitsökonomie an der Uni Wuppertal. Er kann ihre Probleme verstehen:

    "Da wir als wirtschaftswissenschaftlicher Studiengang sehr stark auf mathematische und statistische Grundkenntnisse aufbauen, ist ein gewisses Grundverständnis für Mathematik erforderlich. Und wenn man gewisse Grundkenntnisse einfach nicht erworben hat, weil man die gymnasiale Oberstufe nicht durchlaufen hat, dann könnte das unter Umständen im Laufe des Studiums zu Problemen führen."

    Mit viel Fleiß hat Ninon Becker die Mathe-Prüfung im zweiten Anlauf schließlich geschafft. In anderen Fächern, wie zum Beispiel Gesundheitswesen, hat sie es leichter: Da hilft ihr ihre langjährige Berufserfahrung als Krankenschwester. Auch Katrin Prediger profitiert von ihrer Berufserfahrung beim Studium. Nicht nur fachlich:

    "Teilweise die Leute, die nicht vorher gearbeitet haben oder die frisch vom Abitur kommen, die haben wirklich Probleme sich zu organisieren, weil man noch nicht daran gewöhnt ist, sich selber die Stundenpläne zusammenzulegen. Ich war auch nicht anders, als ich von der Schule kam, das muss ich ganz ehrlich sagen. Man lernt das nicht, man musste sich nicht darum kümmern, dass man irgendwelche Kurse kriegt, weil man immer alles fertig hatte."

    Katrin Prediger studiert Mediendesign und Sport in Wuppertal, würde später gerne an einer Berufsschule die Mediengestalter unterrichten. Sie hat sich durch ihren Meister fürs Studium qualifiziert. Als Industriemeisterin für Printmedien hatte Katrin jedoch nicht die Berufsaussichten, die sie sich gewünscht hätte. Also entschied sie sich vergangenes Jahr für die Uni.

    Jetzt sitzt sie in einem großen Konferenzraum im Kölner Carlswerk. Seit den Semesterferien arbeitet sie hier bei einem Architekten im Büro, kümmert sich unter anderem um den Internetauftritt. Einer von drei Jobs, die Katrin neben dem Studium hat.

    "Das ist schon eine große Umstellung, wenn man auf einmal von gut Geld auf gar nichts runtergeht. Daher gehe ich jetzt mehr arbeiten. Jetzt kellner ich vier Mal im Monat. Dann bin ich noch beim Architekten und helfe hier aus, das sind 50 Stunden im Monat und dann ab September sind es dann noch sechs Stunden in der Woche, die ich in die Schule gehe, neben der Uni. Da unterrichte ich dann Fachzeichnen und Politik."

    An den Job an der Schule kam Katrin durch Zufall: Da sie Mediendesign und Sport auf Lehramt studiert, musste sie vor dem Studium ein Praktikum an einer Schule absolvieren. Sie ging zu einer Berufsschule in Köln. Die Erfahrung dort hat ihr noch einmal bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war, den Beruf aufzugeben und das Studium aufzunehmen:

    "Das Praktikum, das ich in der Schule gemacht habe, war super und sie sagten auch direkt, dass sie interessiert sind, dass sie mich als Aushilfskraft beschäftigen. Und damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, weil im Beruf hat man nicht unbedingt diese Resonanz, dass man wirklich gute Arbeit leistet und wenn dann kommt, dass die Leute mit einem zufrieden sind, das ist schon etwas anderes."

    Im Oktober starten Katrin und Ninon ins dritte Semester. Langsam haben sie sich an den neuen Rhythmus gewöhnt und trotz anfänglichem Stress und der kompletten Umstellung des Lebens, bereut keine von beiden den Schritt.

    "Es ist schwierig für meine Familie, auf jeden Fall. Wir machen das Beste draus. Aber das war mich auch nicht so bewusst und das ist auch gut so, denn wenn ich das gewusst hätte, hätte ich vielleicht gedacht, ich kann das doch nicht machen. Jetzt gibt es keinen Weg zurück."