"An- und Abmoderation machst du in die Kamera…"
In der Kantine des Jugendgästehauses in Bielefeld sind drei Kameras auf einen Bistrotisch gerichtet, der Kameramann gibt letzte Anweisungen.
"Dann einmal Janine, eine Sprechprobe"
"Mit 18 endet also die Jugendhilfe und die Probleme beginnen. Damit Careleaver sich gegenseitig unterstützen können, haben sie ein Netzwerk gegründet."
Ein Dutzend Studenten gehören dazu. Sie haben gemeinsam einen Film gedreht, der auf ihre Situation aufmerksam machen soll. Sie alle studieren, ohne dass es ein Elternhaus gibt, das sie dabei unterstützt - weder finanziell noch ideell. Janine ist mit 17 aus ihrer Pflegefamilie ausgezogen. Heute ist sie 21 und studiert in Bielefeld im vierten Semester Pädagogik der Kindheit.
"Bin ich eigentlich die Einzige? Also ich dachte teilweise wirklich, ich bin wahrscheinlich die Einzige in Deutschland, die irgendwie in 'ner Pflegefamilie war und studieren geht, weil alle Pflegegeschwister und alle die man kennenlernt, die gehen dann alle nicht studieren."
Etwa 150.000 Kinder und Jugendliche leben in Deutschland derzeit in einem Heim, einer betreuten Wohngruppe oder einer Pflegefamilie. Oft werden sie bereits mit 18 in die frühe Selbstständigkeit entlassen – ohne einen festen Ansprechpartner. Wie viele später den Sprung an eine Hochschule schaffen, ist nicht bekannt. Bis dato hatte niemand der Situation von Careleavern besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Benjamin Strahl und seine Kollegen untersuchen nun im Forschungsprojekt "Higher Education without family support" an der Uni Hildesheim, vor welchen Hürden ehemalige Heim- und Pflegekinder beim Übergang an die Uni stehen. Oft fehle es ihnen an Unterstützung. Zwar seien auch die Careleaver als Studenten in einem Umfeld, in dem es normal ist, nicht mehr zu Hause zu wohnen. Doch der Wissenschaftliche Mitarbeiter sagt, dass junge Erwachsene meist von den Eltern eine gewisse emotionale Unterstützung erhielten:
"Dass die zu Hause anrufen können bei Problemen, wenn sie Prüfungsstress haben, dass es einen Ort gibt, wo sie sich zurückziehen können, wo sie sich bekochen lassen können, wo sie einfach sich Ratschläge holen können und dass solche Punkte einfach wegfallen."
Seine Kollegin Katharina Mangold will mit ihrer Forschung auch Anstöße für Veränderungen geben. E sollte zum Beispiel in den Wohngruppen Ansprechpartner für die Ehemaligen geben oder ein sonntägliches Mittagessen, zu dem auch die Careleaver kommen dürfen.
Zu den emotionalen Belastungen kommen finanzielle Sorgen.
"Ja ein ganz großes Thema, also auch allgemein für Careleaver, ist das finanzielle",
sagt Janine. Und spätestens, wenn der Brief vom BAföG-Amt komme, müsse man sich wieder mit seiner Vergangenheit und seinen Eltern herumschlagen. Hier sieht auch Roxanne dringenden Änderungsbedarf. Die 20-Jährige studiert in Dortmund Sonderpädagogik. Sie ist keine klassische Careleaverin, sagt sie, weil sie noch immer in ihrer Pflegefamilie wohne, in der sie sich zu Hause fühle.
"So richtig schwierig fand ich nur das Thema mit BAföG, weil ich jetzt gezwungen bin, zu meinen leiblichen Eltern Kontakt aufzunehmen und das geht halt für mich so gar nicht."
Sie wurde als Kleinkind schwer misshandelt und aus ihrer Familie genommen. Auf dem BAföG-Amt habe man ihr aber kein Verständnis entgegengebracht.
"Da waren die irre unfreundlich, meinten, geh doch einfach mal vorbei, wär doch überhaupt nichts dabei, da mal so nachzuhaken."
Erst durch das Netzwerk habe sie vom Formblatt 8 erfahren, mit dem sie das Geld auch ohne Kontakt zu ihren Eltern beantragen kann. Hier fehle es noch sehr an Sensibilität und den richtigen Rahmenbedingungen. Doch im Moment ist Roxanne fasziniert, welche Eigendynamik das Netzwerk entwickelt. Je bekannter es werde, desto mehr Careleaver meldeten sich bei ihnen.
"Es ist echt erstaunlich, wie viele es gibt, weil man eigentlich denkt, na ja, das ist doch echt die Ausnahme, die studiert. Aber es sind doch viele, die es geschafft haben, und das ist echt erfreulich."
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"Dann einmal Janine, eine Sprechprobe"
"Mit 18 endet also die Jugendhilfe und die Probleme beginnen. Damit Careleaver sich gegenseitig unterstützen können, haben sie ein Netzwerk gegründet."
Ein Dutzend Studenten gehören dazu. Sie haben gemeinsam einen Film gedreht, der auf ihre Situation aufmerksam machen soll. Sie alle studieren, ohne dass es ein Elternhaus gibt, das sie dabei unterstützt - weder finanziell noch ideell. Janine ist mit 17 aus ihrer Pflegefamilie ausgezogen. Heute ist sie 21 und studiert in Bielefeld im vierten Semester Pädagogik der Kindheit.
"Bin ich eigentlich die Einzige? Also ich dachte teilweise wirklich, ich bin wahrscheinlich die Einzige in Deutschland, die irgendwie in 'ner Pflegefamilie war und studieren geht, weil alle Pflegegeschwister und alle die man kennenlernt, die gehen dann alle nicht studieren."
Etwa 150.000 Kinder und Jugendliche leben in Deutschland derzeit in einem Heim, einer betreuten Wohngruppe oder einer Pflegefamilie. Oft werden sie bereits mit 18 in die frühe Selbstständigkeit entlassen – ohne einen festen Ansprechpartner. Wie viele später den Sprung an eine Hochschule schaffen, ist nicht bekannt. Bis dato hatte niemand der Situation von Careleavern besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Benjamin Strahl und seine Kollegen untersuchen nun im Forschungsprojekt "Higher Education without family support" an der Uni Hildesheim, vor welchen Hürden ehemalige Heim- und Pflegekinder beim Übergang an die Uni stehen. Oft fehle es ihnen an Unterstützung. Zwar seien auch die Careleaver als Studenten in einem Umfeld, in dem es normal ist, nicht mehr zu Hause zu wohnen. Doch der Wissenschaftliche Mitarbeiter sagt, dass junge Erwachsene meist von den Eltern eine gewisse emotionale Unterstützung erhielten:
"Dass die zu Hause anrufen können bei Problemen, wenn sie Prüfungsstress haben, dass es einen Ort gibt, wo sie sich zurückziehen können, wo sie sich bekochen lassen können, wo sie einfach sich Ratschläge holen können und dass solche Punkte einfach wegfallen."
Seine Kollegin Katharina Mangold will mit ihrer Forschung auch Anstöße für Veränderungen geben. E sollte zum Beispiel in den Wohngruppen Ansprechpartner für die Ehemaligen geben oder ein sonntägliches Mittagessen, zu dem auch die Careleaver kommen dürfen.
Zu den emotionalen Belastungen kommen finanzielle Sorgen.
"Ja ein ganz großes Thema, also auch allgemein für Careleaver, ist das finanzielle",
sagt Janine. Und spätestens, wenn der Brief vom BAföG-Amt komme, müsse man sich wieder mit seiner Vergangenheit und seinen Eltern herumschlagen. Hier sieht auch Roxanne dringenden Änderungsbedarf. Die 20-Jährige studiert in Dortmund Sonderpädagogik. Sie ist keine klassische Careleaverin, sagt sie, weil sie noch immer in ihrer Pflegefamilie wohne, in der sie sich zu Hause fühle.
"So richtig schwierig fand ich nur das Thema mit BAföG, weil ich jetzt gezwungen bin, zu meinen leiblichen Eltern Kontakt aufzunehmen und das geht halt für mich so gar nicht."
Sie wurde als Kleinkind schwer misshandelt und aus ihrer Familie genommen. Auf dem BAföG-Amt habe man ihr aber kein Verständnis entgegengebracht.
"Da waren die irre unfreundlich, meinten, geh doch einfach mal vorbei, wär doch überhaupt nichts dabei, da mal so nachzuhaken."
Erst durch das Netzwerk habe sie vom Formblatt 8 erfahren, mit dem sie das Geld auch ohne Kontakt zu ihren Eltern beantragen kann. Hier fehle es noch sehr an Sensibilität und den richtigen Rahmenbedingungen. Doch im Moment ist Roxanne fasziniert, welche Eigendynamik das Netzwerk entwickelt. Je bekannter es werde, desto mehr Careleaver meldeten sich bei ihnen.
"Es ist echt erstaunlich, wie viele es gibt, weil man eigentlich denkt, na ja, das ist doch echt die Ausnahme, die studiert. Aber es sind doch viele, die es geschafft haben, und das ist echt erfreulich."
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