Ist es ein islamischer Gebetsruf oder ein Choral? - In Michael Schiefels Soundinstallation vermischen sich die Kulturen. Man hört einen Muezzin und die fünf Stimmen einer Bach-Fuge, die aus trichterförmigen Lautsprechern über den Vorplatz des Museums schallen.
Drinnen herrscht reger Betrieb. Nicht nur Künstler sind zur Werkschau der Tarabya-Stipendiaten gekommen, sondern auch der Bundesaußenminister. Heiko Maas lobt das Engagement des Goethe-Instituts und kritisiert die Türkei.
Verfolgung in der Türkei
"Kunst muss frei sein. Künstler müssen frei sein. Deshalb können wir es nicht schweigend hinnehmen, wenn Menschen wie Osman Kavala über Monate ohne Anklage in Haft sitzen. Und erst letzten Freitag hat uns die Nachricht erreicht, dass weitere Kulturschaffende und Wissenschaftler vorübergehend verhaftet wurden."
Heiko Maas nennt Hakan Altinay, den Leiter der European School of Politics in Istanbul, und Asena Günal vom Kulturzentrum Anadolu Kültür, die gestern eigentlich in Berlin erwartet wurde. Wie kann ein Kulturaustausch mit der Türkei funktionieren, wenn wichtige Kooperationspartner des Goethe-Instituts verfolgt werden?
Die Kulturakademie Tarabya befindet sich in der ehemaligen Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Istanbul. Sie wird vom Auswärtigen Amt getragen und vom Goethe-Institut kuratorisch betreut. Seit ihrer Gründung vor sieben Jahren haben mehr als 70 deutsche Künstler dort gearbeitet und Kontakte geknüpft. Der Präsident des Goethe-Instituts betont: "Allein 2017 fanden in der Türkei mehr als 40 Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen, Konzerte und Workshops mit Residenzkünstlerinnen und -künstlern und ihren türkischen Koproduktionspartnern in Zusammenarbeit mit lokalen Kulturinstitutionen statt."
Stärkung der zeitgenössischen Kulturszene
Und genau um diese Vernetzung geht es Klaus-Dieter Lehmann. In der Türkei gibt es eine riesige westlich orientierte, zeitgenössische Kulturszene. Die deutsche Performerin Nora Krahl lernte während ihres Aufenthalts in Tarabya die türkische Künstlerin Sena Basöz kennen, deren Fotoinstallation mit dem Titel "Über Leichtigkeit" nun das Bühnenbild für ihre Performance ist.
Nora Krahl trägt ein weißes Kleid mit Stacheln auf dem Rücken und zitiert Walter Benjamins "Engel der Geschichte". Sie steht vor einer Fotowand mit Porträtbildern ausgestopfter Vögel, die im Luftzug zweier Ventilatoren hin und her flattern. Sena Basöz will mit ihrer Installation auf den Kreislauf von Werden und Vergehen hinweisen. Die Fotos sehen aus, als ob sie lebendig werden wollten – ein Hoffnungsbild. Sena Basöz will mit ihrer Arbeit die Schwermut vertreiben, die sich langsam über die türkische Kunstszene legt. Die Verhaftungen schüchtern ein. Aus der Zusammenarbeit mit Nora Krahl und der Kulturakademie Tarabya schöpft sie hingegen Kraft.
"Kunst braucht Institutionen"
"Kunst braucht eine bestimmte Umgebung, wenn sie gedeihen soll, eine Art Ökosystem. Sie braucht Institutionen, die die Arbeiten präsentieren, und vor allem Gedankenfreiheit. Wir müssen die Möglichkeit haben, uns mit unserem Publikum und mit anderen Künstlern frei austauschen zu können. Ich hoffe sehr, dass die Entwicklung in der Türkei wieder in diese Richtung geht und nicht in die andere."
Diese Hoffnung spricht auch aus anderen Arbeiten, die gestern bei der Tarabya-Werkschau präsentiert wurden. Michael Schiefels trat mit einer türkisch-deutschen Jazzband auf…
Die Werkschau präsentierte Musik, Performances, literarische Texte, Filme und viele Bilder. Wie viel Schwung der deutsch-türkische Kulturaustausch in den letzten Jahren bekommen hat, zeigt sich auch an der hohen Nachfrage nach Künstlerresidenzen an der Tarabya Akademie. Auf 27 verfügbare Plätze kamen im vorigen Jahr mehr als 300 Bewerbungen – allen politischen Unwägbarkeiten zum Trotz!