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Stückemarkt beim Berliner Theatertreffen
Stolz auf die Überforderung

Seit knapp 40 Jahren gibt es den Stückemarkt beim Berliner Theatertreffen. Junge Autoren sollen dort ein Forum und im besten Fall am Ende einen Auftrag bekommen. In diesem Jahr sollten sie sich mit den Möglichkeiten des Schreibens in der radikalen Unmöglichkeit der Realität auseinandersetzen. Eine Herausforderung, so wie die gesamte Veranstaltung.

Von Barbara Behrendt |
    Die Preisverleihung des Berliner Theaterpreises an Herbert Fritsch im Haus der Berliner Festspiele am 07.05.2017.
    Workshops, Keynotes, künstlerische Interventionen: Das 45. Berliner Theatertreffen funktioniert in diesem Jahr nach dem russischen Matroschka-Puppe-in-Puppe-Prinzip: In jedem Festival steckt noch mal ein kleineres Festival. (imago stock&people)
    "Liebe Gäste von Shifting Perspectives, liebe Gäste des Stückemarkts, liebe Künstlerinnen und Künstler – das ist ja heute ein dreifacher Auftakt, also mindestens!"
    Mindestens! Denn das Theatertreffen funktioniert in diesem Jahr nach dem russischen Matroschka-Puppe-in-Puppe-Prinzip: In jedem Festival steckt noch mal ein kleineres Festival. Also jetzt gut aufpassen: Im Theatertreffen steckt das Veranstaltungssammelsurium Shifting Perspectives, in Shifting Perspectives steckt unter anderem der Stückemarkt, im Stückemarkt steckt die Konferenz "The Art of Democracy". Alles in allem sind das etwa 120 Veranstaltungen in zwei Wochen.
    Eine klare Überforderung, erklärt Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, beim Start dieses Marathons. Und darauf ist er stolz:
    "Es geht heute gleich im Anschluss an diese Eröffnung damit los, dass man sich entscheiden muss zwischen einer Keynote und einer Aufführung. Und in diesem Prinzip einer ständigen Simultaneität und Überforderung unterschiedlicher Angebote liegt dann aber auch der Reichtum und das Besondere des neuen Formats."
    Klingt, als wollte jetzt auch das Theatertreffen mal so richtig schön mit dem Strom schwimmen: Ein Festival, das aus Überangebot, Terminstress und fröhlicher Richtungslosigkeit besteht – das aber ist Festival-Mainstream!
    Masse statt Klasse
    Erinnern wir uns doch mal: Was stand einst im Mittelpunkt des nun bald 40 Jahre alten Stückemarkts? Ach ja – Autoren! Und ihre Theaterstücke! Und auch: nicht Masse, sondern Klasse. Das konnte einem in den vergangenen fünf Jahren schon mal ganz entfallen, als 2014 etwa ein paar Künstler ihre Lieblinge zum Stückemarkt einladen durften, Produktionen teils ganz ohne Text – weil ja auch Regiehandschriften irgendwas mit Schreiben zu tun hätten. Auch diesmal waren Performances zugelassen – allerdings nur solche auf Textgrundlage.
    Eine Jury aus Theatermachern, darunter der Stuttgarter Intendant Armin Petras und die Dramatikerin Felicia Zeller, hat mit Hilfe einer Vor-Jury aus 201 Stücken und 85 Performances aus ganz Europa fünf literarische Texte und eine Performance ausgewählt. Die Arbeiten werden nun zeitlich parallel mit "Keynotes", "Future Leaks" und "künstlerischen Interventionen" beim Festival präsentiert.
    Zum Beispiel das Stück "Zelle Nummer" der tschechischen Romanautorin Petra Hůlová. Die Intellektuellen des Landes haben sich darin freiwillig weggesperrt und monologisieren weitschweifend über ihre kulturelle Identität:
    "Unser Lebensraum wird von Riesengebirge, Erzgebirge, Böhmerwald, Altvatergebirge und Karpaten begrenzt. Und diese Begrenzung bestimmt unsere Mentalität. Die über diese Begrenzung nie hinausreicht. Freud ist schon als Kind weggezogen, Kundera ist auch weggezogen, Kafka war deutscher Jude und Havel hatte – so einer seiner Grundschullehrer – den Kopf in den Wolken."
    Schon die Lektüre des ziemlich verquasten, literarisch anspielungsreichen Textes strapaziert – für die Bühne sind diese endlosen Monologe ohne jedes szenische Gespür geradezu narkotisierend.
    Nur kleine Party-Häppchen auf dem Teller
    Ein anderes Problem offenbart die Performance "Who Cares?" des feministischen Kollektivs Swoosh Lieu. Die Inszenierung setzt sich mit der Rolle der Frau in Pflege-Berufen auseinander, schneidet Interviews und banale Erkenntnisse zu einem Hörspiel zusammen – das genau so vielleicht bei einem Kongress von Verdi oder der Bundeszentrale für politische Bildung laufen könnte. Letztere kann sich darüber besonders freuen – immerhin unterstützt die Bundeszentrale den Stückemarkt in diesem Jahr kräftiger denn je.
    Die Präsentation der interessanteren der sechs Texte steht allerdings noch aus – darunter ein theatral herausforderndes Traum-Stück von Bonn Park und ein düster-komisches Identitäts- und Rollenspiel von Tine Rahel Völcker.
    Die Beiden haben terminlich Glück: Sie müssen jedenfalls nicht mehr mit so vielen Parallel-Angeboten am "Programm-Buffet" konkurrieren. Wie sagte doch Thomas Oberender bei seiner "mindestens Dreifach-Eröffnung":
    "Wir wollen nicht nur zehn Hauptspeisen anbieten, sondern es ermöglichen, dass jeder ein eigenes Menü hier zusammenstellt."
    Mehr als kleine Party-Häppchen aber sind bisher noch nicht auf dem Stückemarkt-Teller gelandet.