Friedbert Meurer: Seit gut einer Woche herrscht Waffenruhe zwischen Israel und Gaza, und auch wenn die Hamas militärisch herbe Verluste hinnehmen musste, politisch verkauft sie den Krieg als einen Erfolg. Auch das wird Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas im Blick haben, wenn er heute vor der UNO-Vollversammlung in New York einen weiteren Schritt unternehmen will, um als eigener Staat anerkannt zu werden. Israel warnt dagegen vor exakt diesem Beschluss. Erst unlängst während des Gazakrieges hat die palästinensische Seite Deutschland vorgeworfen, einseitig zu Gunsten Israels Partei zu ergreifen. Für die Bundesregierung war die Hamas klar der Aggressor, Israel übe nur sein Recht auf Selbstverteidigung aus. Jetzt muss die Bundesregierung eine Woche nach Beginn der Waffenruhe wieder Farbe bekennen und sie hat sich heute Morgen auch entschieden oder die Entscheidung bekannt geben lassen: Deutschland wird sich heute Nacht in der UNO-Vollversammlung der Stimme enthalten. Jerzy Montag ist Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, grüner Bundestagsabgeordneter, er hält es für einen Fehler, dass sich Deutschland heute Nacht nur der Stimme enthalten will. Ich habe ihn eben gefragt: Warum?
Jerzy Montag: Ja noch falscher hätte ich es gefunden, wenn die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, mit Nein gestimmt hätte. Seit heute wissen wir: die Bundesregierung wird sich der Stimme enthalten. Ich halte es deswegen für einen Fehler, weil ich es für einen positiven Beitrag zur Zwei-Staaten-Bildung im Nahen Osten finde, wenn die palästinensische Seite bei ihrem Bemühen um eine Eigenstaatlichkeit auch im Rahmen der UNO aufgewertet wird.
Meurer: Bedeutet Enthaltung im Sprachgebrauch der Diplomatie in diesem Fall Kritik an Israel, Distanzierung gegenüber Israel?
Montag: Nein! Man muss die Begründung lesen, die die Bundesregierung wohl heute Früh für ihr Verhalten der Enthaltung abgegeben hat. Ich lese sie jedenfalls so, dass sie in der Sache den Antrag der palästinensischen Seite befürwortet, aber Bedenken hat, ob er zur richtigen Zeit, zum richtigen Zeitpunkt gestellt worden ist. Sie hat Bedenken, ob dieser Antrag heute den Palästinensern hilft, deswegen enthält sie sich. Es ist fast schon ein halbes Ja.
Meurer: Das heißt, ist diese Position der Argumentation denn so verkehrt?
Montag: Für so etwas war noch nie der richtige oder der beste Zeitpunkt. Wir erleben auf der palästinensischen Seite einen Machtkampf zwischen Präsident Abbas und der palästinensischen Autonomiebehörde, die auf Verhandlungen setzen, auf Gewaltfreiheit setzen, die in vielen Bereichen mit der israelischen Seite kooperieren, und auf der anderen Seite die Hamas, die die tödliche Auseinandersetzung mit Israel immer noch sucht. Und in dieser Situation ist eine Stützung der friedlichen Kräfte, eine Stützung der verhandlungsbereiten Kräfte, also eine Stützung der palästinensischen Autonomiebehörde und von Abbas, sinnvoll und richtig.
Meurer: Die Hamas feiert sich als politischer Sieger des letzten Gazakrieges. Glauben Sie, das gehört zum Kalkül jetzt von Mahmud Abbas, dass er gerade jetzt auch ein Zeichen setzen will, ich kann für die Palästinenser auch etwas erreichen ohne Raketen?
Montag: Die Idee, vor die UNO zu treten und um diesen privilegierten Nicht-Mitgliedsstatus zu werben, ist ja älter als die jetzige Gaza-Auseinandersetzung. Aber selbstverständlich bekommt das jetzt eine Aktualität, die sonders gleichen ist. Die Hamas hat einerseits keinen Anlass, in Siegesrausch zu verfallen, aber in dieser Auseinandersetzung zwischen diesen Kräften, so wie ich sie geschildert habe, den Verhandlungsbereiten und den nicht Verhandlungsbereiten, sollte sich jeder Staat und auch die Völkergemeinschaft überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, die Verhandlungsbereiten und die Friedfertigen zu stützen.
Meurer: Sie wollen, Herr Montag, oder Sie hätten gerne, dass die Bundesregierung in der UNO-Vollversammlung dem palästinensischen Antrag zustimmt. Die Folge wird allerdings sein, dass Israel ja schon Sanktionen angekündigt hat, beispielsweise palästinensische Gelder einzufrieren. Wem würde das helfen?
Montag: Also am liebsten wäre es mir, wenn die Europäische Union in dieser Frage endlich einmal mit einer Stimme sprechen würde. Das erreichen wir leider nicht. Frankreich, Spanien stimmt dafür, andere enthalten sich, das ist bedauerlich. Die Reaktionen Israels auf eine Entscheidung der Vollversammlung der UNO muss sich Israel sehr gut und sehr wohl überlegen. Wenn es zu einer solchen Abstimmung kommt und wenn es zu einer Entscheidung kommt, ist es eine Entscheidung der Vereinten Nationen und es ist für Israel keine Lappalie, sich gegen eine solche Entscheidung dann mit provokativen Aktionen zu widersetzen. Die Beschlagnahme oder die Nicht-Freigabe Palästinensern gehörender Gelder, davor kann ich nur warnen und abraten.
Meurer: Was hat die EU oder die Bundesregierung in der Hand, um dann zu reagieren, wenn es so kommt?
Montag: Na ja, wir haben beste Drähte sowohl zur palästinensischen, als auch zur israelischen Seite. Israel ist auf vielfältigste gute und beste Beziehungen zur Europäischen Union und auch zu Deutschland angewiesen. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit der Regierung in Jerusalem über diese Frage ernsthaft unter Freunden reden wird.
Meurer: Hätten Sie, Herr Montag, in der UNO-Vollversammlung auch Ja gesagt, wenn der Beobachterstaat Palästina Israel vor den Internationalen Strafgerichtshof zerren kann?
Montag: Ja, das ist eine solche, völlig verkürzte und unsachliche Argumentation, die ich in den letzten Tagen in manchen Presseerzeugnissen gelesen habe. Vor den Internationalen Strafgerichtshof werden überhaupt keine Staaten gezerrt. Der Internationale Strafgerichtshof ist ein Strafgericht, vor dem sich Menschen zu verantworten haben, Menschen, denen vorgeworfen wird, Kriegsverbrechen zu begehen. Ich weise mit Entschiedenheit zurück, dass Israelis Kriegsverbrechen begehen. Deswegen stellt sich diese Frage überhaupt nicht, das ist eine demagogische Überspitzung eines nicht vorhandenen Problems.
Meurer: Deutschland will sich heute Nacht in der Palästina-Abstimmung bei den Vereinten Nationen enthalten – ich sprach mit Jerzy Montag von den Grünen, Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Jerzy Montag: Ja noch falscher hätte ich es gefunden, wenn die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, mit Nein gestimmt hätte. Seit heute wissen wir: die Bundesregierung wird sich der Stimme enthalten. Ich halte es deswegen für einen Fehler, weil ich es für einen positiven Beitrag zur Zwei-Staaten-Bildung im Nahen Osten finde, wenn die palästinensische Seite bei ihrem Bemühen um eine Eigenstaatlichkeit auch im Rahmen der UNO aufgewertet wird.
Meurer: Bedeutet Enthaltung im Sprachgebrauch der Diplomatie in diesem Fall Kritik an Israel, Distanzierung gegenüber Israel?
Montag: Nein! Man muss die Begründung lesen, die die Bundesregierung wohl heute Früh für ihr Verhalten der Enthaltung abgegeben hat. Ich lese sie jedenfalls so, dass sie in der Sache den Antrag der palästinensischen Seite befürwortet, aber Bedenken hat, ob er zur richtigen Zeit, zum richtigen Zeitpunkt gestellt worden ist. Sie hat Bedenken, ob dieser Antrag heute den Palästinensern hilft, deswegen enthält sie sich. Es ist fast schon ein halbes Ja.
Meurer: Das heißt, ist diese Position der Argumentation denn so verkehrt?
Montag: Für so etwas war noch nie der richtige oder der beste Zeitpunkt. Wir erleben auf der palästinensischen Seite einen Machtkampf zwischen Präsident Abbas und der palästinensischen Autonomiebehörde, die auf Verhandlungen setzen, auf Gewaltfreiheit setzen, die in vielen Bereichen mit der israelischen Seite kooperieren, und auf der anderen Seite die Hamas, die die tödliche Auseinandersetzung mit Israel immer noch sucht. Und in dieser Situation ist eine Stützung der friedlichen Kräfte, eine Stützung der verhandlungsbereiten Kräfte, also eine Stützung der palästinensischen Autonomiebehörde und von Abbas, sinnvoll und richtig.
Meurer: Die Hamas feiert sich als politischer Sieger des letzten Gazakrieges. Glauben Sie, das gehört zum Kalkül jetzt von Mahmud Abbas, dass er gerade jetzt auch ein Zeichen setzen will, ich kann für die Palästinenser auch etwas erreichen ohne Raketen?
Montag: Die Idee, vor die UNO zu treten und um diesen privilegierten Nicht-Mitgliedsstatus zu werben, ist ja älter als die jetzige Gaza-Auseinandersetzung. Aber selbstverständlich bekommt das jetzt eine Aktualität, die sonders gleichen ist. Die Hamas hat einerseits keinen Anlass, in Siegesrausch zu verfallen, aber in dieser Auseinandersetzung zwischen diesen Kräften, so wie ich sie geschildert habe, den Verhandlungsbereiten und den nicht Verhandlungsbereiten, sollte sich jeder Staat und auch die Völkergemeinschaft überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, die Verhandlungsbereiten und die Friedfertigen zu stützen.
Meurer: Sie wollen, Herr Montag, oder Sie hätten gerne, dass die Bundesregierung in der UNO-Vollversammlung dem palästinensischen Antrag zustimmt. Die Folge wird allerdings sein, dass Israel ja schon Sanktionen angekündigt hat, beispielsweise palästinensische Gelder einzufrieren. Wem würde das helfen?
Montag: Also am liebsten wäre es mir, wenn die Europäische Union in dieser Frage endlich einmal mit einer Stimme sprechen würde. Das erreichen wir leider nicht. Frankreich, Spanien stimmt dafür, andere enthalten sich, das ist bedauerlich. Die Reaktionen Israels auf eine Entscheidung der Vollversammlung der UNO muss sich Israel sehr gut und sehr wohl überlegen. Wenn es zu einer solchen Abstimmung kommt und wenn es zu einer Entscheidung kommt, ist es eine Entscheidung der Vereinten Nationen und es ist für Israel keine Lappalie, sich gegen eine solche Entscheidung dann mit provokativen Aktionen zu widersetzen. Die Beschlagnahme oder die Nicht-Freigabe Palästinensern gehörender Gelder, davor kann ich nur warnen und abraten.
Meurer: Was hat die EU oder die Bundesregierung in der Hand, um dann zu reagieren, wenn es so kommt?
Montag: Na ja, wir haben beste Drähte sowohl zur palästinensischen, als auch zur israelischen Seite. Israel ist auf vielfältigste gute und beste Beziehungen zur Europäischen Union und auch zu Deutschland angewiesen. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit der Regierung in Jerusalem über diese Frage ernsthaft unter Freunden reden wird.
Meurer: Hätten Sie, Herr Montag, in der UNO-Vollversammlung auch Ja gesagt, wenn der Beobachterstaat Palästina Israel vor den Internationalen Strafgerichtshof zerren kann?
Montag: Ja, das ist eine solche, völlig verkürzte und unsachliche Argumentation, die ich in den letzten Tagen in manchen Presseerzeugnissen gelesen habe. Vor den Internationalen Strafgerichtshof werden überhaupt keine Staaten gezerrt. Der Internationale Strafgerichtshof ist ein Strafgericht, vor dem sich Menschen zu verantworten haben, Menschen, denen vorgeworfen wird, Kriegsverbrechen zu begehen. Ich weise mit Entschiedenheit zurück, dass Israelis Kriegsverbrechen begehen. Deswegen stellt sich diese Frage überhaupt nicht, das ist eine demagogische Überspitzung eines nicht vorhandenen Problems.
Meurer: Deutschland will sich heute Nacht in der Palästina-Abstimmung bei den Vereinten Nationen enthalten – ich sprach mit Jerzy Montag von den Grünen, Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag.
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