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"Stunde der Wintervögel" vom NABU
"Gärten als Mininatur-Schutzgebiete begreifen"

Vögel zwitschern nur im Frühling? Stimmt nicht! Einige Vogelarten überwintern, auch solche, die früher nach Westen oder Süden flogen, erklärte NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann im Dlf. Durch den Klimawandel könnten es noch mehr werden. Mit der Aktion "Stunde der Wintervögel" sollen sie registriert werden.

Lars Lachmann im Gespräch mit Britta Fecke |
    Ein Vogelhaus im Winter, an dem Grünfinken sitzen.
    Insbesondere Grünfinken sind in den letzten Jahren weniger geworden. Sie stecken sich oft an Futterhäuschen mit einer Krankheit an. (imago images / CHROMORANGE)
    Britta Fecke: Auch wenn die Vögel im Winter stiller sind, sind noch lange nicht alle weg. Sie sind nur mit anderen Dingen beschäftigt, als singend ihre Reviergrenze zu verteidigen. Wenn Ornithologen – also Vogelkundler – wissen wollen, welche Vögel in einem bestimmten Gebiet vorkommen, dann legen sie sich im Frühjahr vor Sonnenaufgang auf die Lauer und erkennen anhand der Gesänge, welche Art in dem Habitat lebt und welche nicht, denn die Vögel singen in zeitlicher Abfolge schön nacheinander: Stichwort Vogeluhr, und wenn also nach dem Rotkehlchen der Zaunkönig zwitschert, dann fehlt zum Beispiel die Amsel. Nun lädt der NABU an diesem Wochenende wieder zur bundesweiten wissenschaftlichen Mitmachaktion ein: "Zur Stunde der Wintervögel". Ich begrüße Lars Lachmann, NABU-Vogelschutzexperte. Herr Lachmann, nun singen die Vögel ja jetzt viel weniger als im Frühling, wie wird denn der aktuelle Bestand erfasst?
    Lars Lachmann: Ja, hallo erst mal! Es geht um eine Zählung im Siedlungsraum. Also wir zählen nicht die Vögel in Wäldern und auf den Feldern, sondern wirklich dort, wo wir Menschen auch selber sind, also die Vögel um uns herum, in den Gärten oder auch im Stadtpark um die Ecke. Die Methode ist eigentlich ganz einfach: Man nimmt sich eine Stunde lang Zeit, und in dieser einen Stunde von einem bestimmten guten Beobachtungspunkt im Garten aus versucht man, alle Vögel zu entdecken und zählt diese. Man kann natürlich, wenn man die Vögel an den Stimmen erkennen kann, diese auch mitzählen, aber bei den meisten Leuten wird das nicht der Fall sein, und man muss die erst mal gut zu Gesicht bekommen, dass man sie auch bestimmen kann.
    Mehr Vögel als früher bleiben hier
    Fecke: Nun sind ja einige Vögel in die Winterreviere in den Süden gezogen. Sie haben ja schon lange Jahre die Daten erfasst. Wer bleibt denn inzwischen hier, und wer zieht noch weg?
    Lachmann: Wir führen diese Gartenvogelzählung sogar zweimal im Jahr durch, einmal Anfang Januar, wie jetzt, das ist dann die Stunde der Wintervögel, und dann haben wir noch im Mai eine Stunde der Gartenvögel, wo wir die Brutbestände erfassen. Das ist immer sehr interessant, dann kann man die Unterschiede zwischen den verschiedenen Jahreszeiten sehr gut erkennen. Es gibt natürlich einige Vögel, die hier bleiben. Zugvögel, richtige Zugvögel, werden wir jetzt im Winter sicherlich nicht finden, zum Beispiel keine Nachtigallen, auch wenn andere Vögel jetzt schon manchmal schön singen, zum Beispiel das Rotkehlchen, aber eben keine Nachtigallen. Wir zählen also die Wintervögel. Wir stellen aber dabei fest, dass bestimmte Vogelarten, die normalerweise so ein bisschen von Deutschland aus nach Westen oder Süden ziehen, vermehrt auch bei uns bleiben, und da ist das beste Beispiel eigentlich der Star, den wir in den letzten Jahren, weil wir so viele milde Winter hatten, eigentlich in immer größeren Zahlen auch in Deutschland feststellen konnten.
    Es ist genug Futter für alle da
    Fecke: Wenn der Star bleibt und vielleicht der eine oder andere Vogel auch noch, macht der dann den altangestammten Wintervögeln Konkurrenz und nimmt ihnen vielleicht das Futter weg?
    Lachmann: Das bestimmt nicht, denn die Zugvögel sind ja aus einem bestimmten Grund Zugvögel, nämlich dass sie normalerweise bei unseren normalen Wintertemperaturen hier keine Nahrung finden würden. Das sind also Vögel, die fressen ein bisschen was anderes als die typischen Standvögel, und dadurch, dass wir eben so milde Winter haben ohne Schnee, dann kommen die an so eine Nahrung auch noch ran und bleiben dann deswegen auch dort. Die fressen also was anderes als die Vögel, die auch in harten Wintern bei uns währen.
    Grünfinkensterben hat Bestand halbiert
    Fecke: Der Star bleibt, aber der eine oder andere Vogel wird weniger. Wen haben Sie denn auf Ihrer Liste, den Sie mit Sorgenfalten beobachten?
    Lachmann: Unser größtes Sorgenkind unter den Wintervögeln ist auf jeden Fall der Grünfink. Der war früher eigentlich der fünft- oder sechsthäufigste Vogel in den winterlichen Gärten, aber er nimmt seit spätestens 2013 sehr stark ab. Wir haben jetzt nur noch die Hälfte der Bestände von damals, und wir vermuten als Ursache das sogenannte Grünfinkensterben. Das ist eine Krankheit, mit der Grünfinken sich gegenseitig sehr schnell anstecken können, und zwar häufig, wenn es warm ist an sommerlichen Vogelfutterstellen, sodass wir sagen, wer auch Sommervögel füttert, was viele Menschen machen, was grundsätzlich auch in Ordnung ist, wenn man dort aber kranke oder tote Vögel findet, sollte man diese Fütterung sofort einstellen, damit man eben diesem Grünfinkensterben Einhalt gebietet, damit die Grünfinken nicht noch weniger werden.
    "In der freien Landschaft teilweise sehr wenige Vögel"
    Fecke: Nun auch mit Blick auf die Bienen werden die Gärten ja immer sehr gelobt oder hervorgehoben, wenn sie nicht so kleine Steinwüsten sind, wie einige Vorgärten im Moment, aber ansonsten sind das ja relativ abwechslungsreiche Biotope desto naturnäher sie auch bewirtschaftet werden. Sie sind ja auch Rückzugsräume im Kontrast zu den oft industriell beackerten landwirtschaftlichen Gebieten, wo gar nicht mehr so viele Vögel vorkommen. Was würden Sie sagen, über die Jahre betrachtet, sind die Gärten inzwischen vielfältiger und bieten einen besseren Rückzugsraum für die Vögel, oder beobachten Sie auch dort, dass bestimmte Arten einfach zurückgedrängt werden, weil einfach keine Verstecke mehr da sind oder die Futtersituation nicht gut ist?
    Lachmann: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, den Sie da ansprechen. Früher war das so, dass man in den Siedlungen eigentlich weniger Vögel hatte und außerhalb in der freien Landschaft mehr Vögel. Das hat sich inzwischen in Deutschland umgekehrt, und wir haben in der freien Landschaft teilweise sehr, sehr wenige Vögel, insbesondere auf der Feldlandschaft, und in den Siedlungen finden wir noch wesentlich mehr Vögel, sodass man eigentlich unsere Gärten als Mininaturschutzgebiete schon begreifen könnte. Das ist auch ein ganz wichtiger Aspekt unserer Aktion: Wir wollen natürlich Wissenschaft betreiben und etwas über die Vogelbestände herausfinden, aber genauso wichtig bei dieser Aktion ist es, dass wir alle Teilnehmer, alle Mitmachenden, dazu bringen wollen, sich eine Stunde lang mindestens mit den Vögeln im Garten, vor der Haustür, zu beschäftigen und dann vielleicht auch ein Verständnis dafür zu kreieren, dass diese Gärten besonders wichtig sind für das Überleben der Vogelwelt und dass man vielleicht dann auch sich im Laufe des Jahres ein bisschen bemüht, etwas für die Natur zu tun, dass vielleicht im nächsten Jahr auch mehr Vögel zu sehen sind. Grundsätzlich ist es so, dass die Vögel im Siedlungsraum, also die Vögel, die wir jetzt zählen, dass es denen besser geht als den Vögeln der Agrarlandschaft. Wir haben also im Schnitt über alle Arten im Siedlungsraum relativ stabile Bestände. Es gibt natürlich Gewinner- und Verliererarten auch unter den Siedlungsvögeln, aber in der freien Landschaft, auf den Feldern und Wiesen haben wir eigentlich fast nur Verlierer in den letzten Jahrzehnten.
    Fecke: Der NABU lädt ein zur Stunde der Wintervögel. Ich sprach mit Lars Lachmann, Ornithologe bei der Naturschutzorganisation NABU.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.