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Sturm auf Mossul
"Der Anfang vom Ende des IS hat seit Langem begonnen"

Der Sturm auf Mossul leite den Anfang vom Ende des Islamischen Staates im Irak ein, sagte der Nahostexperte Udo Steinbach im DLF. Nach den bisherigen Rückschlägen im Irak könne es sein, dass der IS bereits demoralisiert sei. Auch in Syrien stünden die Karten für den IS nicht günstig. In absehbarer Zeit werde auch dort der Krieg gegen die Terrormiliz erledigt sein.

Udo Steinbach im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Islamwissenschaftler Udo Steinbach
    Der IS werde sich nach dem Sturm auf Mossul darauf konzentrieren, seine Positionen in Syrien zu halten, sagte der Islam-Experte Udo Steinbach im Interview mit dem Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa/ Horst Galuschka)
    Christine Heuer: Mossul, die Millionenstadt im Nordirak, ist eine Hochburg des sogenannten Islamischen Staats. Seit vielen Wochen ist bekannt, dass die irakische Armee einen Sturm auf Mossul plant, um die Stadt zu befreien und den IS im Irak in die Knie zu zwingen. Heute Nacht war es so weit: Der Sturm auf Mossul hat begonnen.
    Am Telefon ist Udo Steinbach, langjähriger Islam- und Nahostexperte. Guten Tag, Herr Steinbach.
    Udo Steinbach: Guten Tag!
    "Das entscheidende Problem ist die Vielzahl der Gruppierungen im Irak"
    Heuer: Was ist das jetzt, der Anfang vom Ende des IS im Irak?
    Steinbach: Ja ganz gewiss. Der Anfang vom Ende des islamischen Staates insgesamt hat ja seit Langem begonnen. Man hat gedacht, es geht schneller, aber dann haben die Iraker tatsächlich erst einmal eingehalten und das war klug. Nachdem man Falludscha relativ leicht erobern konnte war es klar, dass mit Mossul ein dickerer Brocken zu bewältigen sein würde.
    Man scheint sich gut vorbereitet zu haben und wir werden, sehen ob das entscheidende Problem gelöst ist. Das entscheidende Problem ist nicht die Zahl derer, die auf Mossul vorrücken, sondern die Vielzahl der Gruppierungen. Das entscheidende Problem wird sein, ob es zu einer Koordination zwischen den diversen Kriegsparteien kommt, über die gerade gesprochen worden ist.
    Heuer: Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
    Steinbach: Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Es wird nicht leicht sein. Die haben alle unterschiedliche Interessen. Wir haben im Vorfeld noch erlebt, dass es Spannungen gegeben hat zwischen Ankara und Bagdad. Die Türken tun da etwas auf irakischem Territorium, was in Bagdad nicht gern gesehen wird. Was sie da wirklich getan haben, ist nicht ganz klar.
    Aber in den letzten Tagen ist davon nicht mehr die Rede gewesen. Man wollte es ja zum Teil in den Sicherheitsrat sogar bringen. Ich vermute mal, dass die Amerikaner beiden Parteien gesagt haben, jetzt vor einer solchen Offensive nicht offen militärische und politische Streitigkeiten auszutragen.
    "Das eigentliche Problem wird nicht der Sieg sein"
    Heuer: Herr Steinbach, dann bleiben wir aber doch noch mal bei denen, die da wirklich vor Ort kämpfen. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist ja die Befürchtung, dass alle möglichen Gruppierungen den IS in dieser Situation unterstützen werden. Wie sicher ist denn dann überhaupt ein Sieg der irakischen Armee?
    Steinbach: Der Sieg der irakischen Armee beziehungsweise der Kriegsparteien, die ja nun angetreten sind - und das ist ja nicht nur die irakische Armee, das haben wir ja gerade gehört. Es handelt sich um 4.000 Islamisten des Islamischen Staates, die da sind. Die Frage wird sein, wie hartnäckig sie Widerstand leisten werden, welche Vorbereitungen sie getroffen haben. Es kann aber auch sein, dass sie demoralisiert sind nach all den Rückschlägen des Islamischen Staates in der Vergangenheit im irakischen Gebiet und dass sie relativ leicht aufgeben werden.
    Das heißt, dass sie so schnell verschwinden werden, wie sie 2014 dort erschienen sind, und das war ja damals das Geheimnis ihres Sieges, dass sie da unvorbereitet aufgetaucht sind, nicht die Fähigkeit, einen militärischen Kampf durchzustehen. Die Dinge bleiben offen, ob es ein längerer Krieg wird, ob es ein kürzerer Krieg wird. Wie gesagt: Das eigentliche Problem wird nicht der Sieg sein, sondern was kommt danach, wie wird das Fell des Bären in Mossul am Ende verteilt werden.
    IS in Syrien: "Auch dort ist ein Effekt der Demoralisierung nicht unwahrscheinlich"
    Heuer: Herr Steinbach, wieso beginnt der Sturm auf Mossul gerade jetzt? Es gab wochenlange, monatelange Vorbereitungen. Warum wurde jetzt dieser Zeitpunkt gewählt?
    Steinbach: Weil man fertig war. Man hat lange vorbereitet. Man hat militärische Siege im Vorfeld errungen. Darauf habe ich gerade angespielt. In Syrien stehen die militärischen Karten des Islamischen Staates nicht gerade gut. Auch dort ist ein Effekt der Demoralisierung nicht unwahrscheinlich. Und offensichtlich ist es tatsächlich gelungen, das Hauptproblem zu lösen, erstens die Qualität der irakischen Armee zu verbessern und zweitens die Abstimmung unter den verschiedenen Kriegsparteien aufseiten des Iraks hinzukriegen.
    Heuer: Es gibt ja auch Überlegungen, dass Washington, dass Barack Obama gegen Ende seiner Amtszeit ein Interesse hat an einem außenpolitischen Erfolg. Das wäre die Rückgewinnung von Mossul auf jeden Fall. Glauben Sie, solche politischen Fragen spielen auch eine Rolle?
    Steinbach: Ja, das kann durchaus sein. Das Ergebnis der Politik von Präsident Obama im Gebiet des Islamischen Staates, also sowohl in Syrien wie auch im Irak, ist nicht gerade überwältigend positiv, und da noch einmal eine Stärke zu zeigen, das kann im Interesse des amerikanischen Präsidenten sein, zumal wahrscheinlich die Amerikaner und die Berater der Amerikaner eine doch möglicherweise kriegsentscheidende Rolle spielen werden.
    Ein solches strategisches Monstrum wie dieser Sturm auf Mossul, das hätten die Iraker aus eigener Kraft wahrscheinlich nicht geschafft. Ich denke einmal, dass die Amerikaner, die Franzosen und auch andere Militärberater - dazu gehören ja auch die Deutschen - doch relativ erfolgreich gewesen sind bei der Vorbereitung dieses Sturms.
    "Für den Irak wird nicht mehr der Islamische Staat die Herausforderung sein"
    Heuer: Gehen wir mal davon aus, Herr Steinbach, dass der IS tatsächlich sehr in die Defensive geraten wird in Mossul. Wohin gehen seine Kämpfer dann? Gibt es noch andere Hochburgen im Irak, oder Städte, die wieder zu Hochburgen werden können?
    Steinbach: Nein. Das Thema Irak ist dann abgehakt für den Islamischen Staat. Sie werden sich darauf konzentrieren, ihre Positionen in Syrien zu halten. Da stehen die Karten aber auch nicht besonders günstig. Irgendwo werden sich die Führer des Islamischen Staates Gedanken über die Zukunft, ihre eigene Zukunft und über die Zukunft dieses Staates machen müssen.
    Für den Irak wird nicht mehr der Islamische Staat die Herausforderung sein. Für den Irak wird die ganz, ganz schwierige Herausforderung sein, die Staatlichkeit im Lande wiederherzustellen zwischen der Regierung in Bagdad und den Kurden, zwischen Sunniten und Schiiten. Und dann ist da immer noch der erhebliche iranische Einfluss in Bagdad und die massive Korruption, die fast jede politische Gestaltung verhindert. Dem wird sich Ministerpräsident Allawi widmen müssen. Vielleicht gibt ihm das ja die Chance, wenn er erst einmal den äußeren Feind besiegt hat, dass er dann nach innen stärker agieren kann.
    Heuer: Glauben Sie das? Glauben Sie, das wird dann eine Erfolgsgeschichte? Oder sehen wir voraus, dass der Irak weiter in sehr schwerem Fahrwasser sein wird und nicht befriedet?
    Steinbach: Das ist ein ganz, ganz langer Weg. Jeder kennt die Probleme, die der Irak hat seit der amerikanischen Invasion. Wir wissen, dass nicht viel geschehen ist. Herr Maliki, der Vorgänger des jetzigen Ministerpräsidenten, war ein ausgesprochener Versager, hat die Spannungen zwischen den diversen Gruppen im Irak weiter verschärft.
    Aber gehen wir mal mit Optimismus heran. Irgendwo muss man ja mal beginnen und vielleicht beginnt man tatsächlich damit, so ein Unding wie den Islamischen Staat zu erledigen, um dann mit vollem politischem Verantwortungsbewusstsein sich auch den inneren Problemen eines Landes, in diesem Falle des Irak zuzuwenden.
    "Der Krieg gegen den Islamischen Staat in Syrien wird nicht eskalieren"
    Heuer: Trotzdem sagen Sie ja, die Zukunft im Irak ist offen, und es ist fraglich, ob da viel gelingen wird. Sie haben Syrien auch schon angesprochen. Welche Folgen haben die Ereignisse jetzt für Syrien? Wird der Krieg dort nun noch schlimmer?
    Steinbach: Der Krieg gegen den Islamischen Staat in Syrien wird nicht eskalieren. Da sind die Fronten klar. Da gibt es eine immer stärkere Rolle der Türkei. Das wird in absehbarer Zeit erledigt sein. Die ganz entscheidende Frage wird sein mit Blick auf Syrien, ob es zu einer politischen Lösung in Damaskus kommt, oder, wenn das nicht der Fall ist, ob nicht doch das ganze Geschehen um Damaskus, die Frage, Baschar al-Assad, bleibt er, wird er gehen, eine politische Lösung, eine militärische Lösung, ob diese Frage nicht doch in mittelfristiger Perspektive stärker in Richtung auf eine militärische Komponente bei der Lösung des Problems von Baschar al-Assad hinauslaufen wird.
    Heuer: Was heißt das konkret?
    Steinbach: Das heißt, dass, wenn die eine Seite militärisch jetzt entschlossen ist, das heißt Damaskus, das heißt das Regime von Baschar al-Assad, die Russen, die Iraner, dass man mit der Diplomatie, die man nun eingeleitet hat und die ja nichts anderes ist als ein Feigenblatt, dass man mit dieser Diplomatie nicht mehr weiterkommt.
    Wenn man dann noch Glaubwürdigkeit bewahren muss und bewahren will, dann wird man in der einen oder anderen Weise die Kräfte militärisch organisieren müssen - und das wäre sicherlich möglich -, die in den ganz diffusen Erscheinungsformen gegen Baschar al-Assad zusammengebracht werden könnten.
    "Die Situation in Syrien ist in einer Sackgasse"
    Heuer: Und was heißt das wiederum konkret, Herr Steinbach? Fordern Sie eine direkte Bewaffnung der Rebellen, ein Eingreifen der Koalition gegen den IS tatsächlich stärker als bisher in den Syrien-Krieg?
    Steinbach: Ja, das fordere ich. Ich glaube nicht, dass die Diplomatie weiter reicht, oder wenn denn die Feigenblätter weiter davor getragen werden, dann sind die zeitlichen Fristen so lang, dass das Problem Aleppo sich von der menschlichen Seite her, von der humanitären Seite her erledigen wird. Und wenn man irgendwie noch eine Verantwortung hat, die Menschen wirklich zu retten, dann muss man auch die Strategie verändern.
    Heuer: Und dafür auch in Kauf nehmen, dass es vielleicht tatsächlich zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland kommt in Syrien?
    Steinbach: Darüber will ich jetzt wirklich nicht spekulieren. Solange nicht die prinzipielle Entscheidung gefällt ist, …
    Heuer: Aber das ist ja die Gefahr unter anderem.
    Steinbach: Ja! Aber lassen Sie uns doch beim Nächstliegenden anfangen. Erst einmal sehen, die Situation in Syrien ist in einer Sackgasse, was die Zukunft des Regimes von Baschar al-Assad betrifft, was die Menschen in Aleppo betrifft, was das syrische Volk insgesamt betrifft. Und wenn man sieht, dass die bisherige Politik in die Sackgasse geführt hat, dann muss man erst einmal sehen, wie kommt man da raus, und dann wird man sehen, welche internationalen Implikationen a la longue das möglicherweise haben wird.
    "Es kann durchaus sein, dass sich das militärische Geschehen relativ schnell auflösen wird"
    Heuer: Es werden sehr viele Menschen nun aus Mossul fliehen. Was bedeutet der Sturm auf Mossul, die jüngste Entwicklung für die Zivilisten, die darunter zu leiden haben?
    Steinbach: Ja, das ist kein schönes Schicksal. Aber die Zivilisten dort sind Leid gewohnt und es war nicht gemütlich, unter dem Islamischen Staat zu leben. Und noch einmal: Die Frage, wie dieser Kampf strategisch geführt wird in den nächsten Wochen, ist nicht ganz klar. Wir wissen nicht, wie lange und mit welchen Mitteln der Islamische Staat dort Widerstand leisten wird. Es kann durchaus sein, dass sich das militärische Geschehen relativ schnell auflösen wird, dass es nicht zu dem befürchteten Häuserkampf kommen wird, dass es nicht zu den Kämpfen kommen wird, monatelang in Mossul. Das wäre in der Tat verhängnisvoll für die Bevölkerung. Aber vielleicht geht ja auch alles anders aus.
    Heuer: Der Islam- und Nahostexperte Udo Steinbach war das. Herr Steinbach, haben Sie Dank für das Gespräch.
    Steinbach: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.