Sturmfluten sind an sich nichts Ungewöhnliches und treten mehrmals im Jahr auf. Doch im Oktober 2023 brach eine schwere Sturmflut von der Ostsee über das Land herein, wie sie die Region seit 150 Jahren nicht erlebt hat. Mehrere Deiche hielten den Wassermassen nicht stand. Die Folge: enorme Sachschäden. Solche Extremwetterereignisse könnten bei fortschreitendem Klimawandel in Zukunft häufiger auftreten. Wie sicher sind die deutschen Küstenregionen?
Was ist eine Sturmflut?
Sturmfluten sind extreme Wetterereignisse an den Küsten. In Deutschland treten sie regelmäßig zwischen Oktober und April auf. Hamburg verzeichnet durchschnittlich sechs Sturmfluten pro Saison. Sie entstehen durch starken Wind, der das Wasser gegen die Küste treibt. Dadurch steigt der Wasserstand. Sturmfluten können zu Überschwemmungen führen und die Infrastruktur in Küstengebieten beschädigen oder zerstören.
Wenn Flüsse, Bäche oder Seen über die Ufer treten, spricht man von Hochwasser. Der Unterschied zwischen Sturmfluten und Hochwasser liegt in der Ursache: Hochwasser wird durch Regen ausgelöst, eine Sturmflut durch Wind.
In welchem Ausmaß haben Sturmfluten zugenommen?
In der vergangenen Saison traten überdurchschnittlich viele Sturmfluten auf, wie das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg vermeldete. Im Oktober 2023 kam es zu einer sehr schweren Sturmflut an der Ostseeküste. Sie verursachte Sachschäden in dreistelliger Millionenhöhe. Unzählige Häuser wurden überschwemmt, Wohnmobile von der Flut mitgerissen, Yachten versenkt, Wege, Strände und Stege weggespült. Langzeitbeobachtungen zeigen bisher aber nicht, dass es insgesamt deutlich mehr oder stärkere Sturmfluten gibt als früher.
Wie sind die Prognosen für die Zukunft? Welche Regionen sind am stärksten betroffen?
Die Wahrscheinlichkeit von Sturmfluten steigt laut des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie. Zum einen hat der Klimawandel bereits zu einem Anstieg des Meeresspiegels geführt und damit zu höheren Wasserständen an den Küsten. Zum anderen könnten veränderte Wetterbedingungen in Zukunft Sturmfluten begünstigen.
Der Weltklimarat IPCC geht in seinem Worst-Case-Szenario davon aus, dass der Meeresspiegel im globalen Mittel bis zum Jahr 2100 um 1,8 Meter ansteigen wird, sofern der Klimawandel weiter voranschreitet und die Treibhaugasemissionen nicht reduziert werden.
Eine schwere Sturmflut, die statistisch alle 100 Jahre auftritt, könnte bei diesem sehr pessimistischen Meeresspiegelanstiegs-Szenario jedes Jahr eintreten, sagt der Geograf Joshua Kiesel. An der Freien Universität Amsterdam simuliert der Forscher am Computer extreme Ostsee-Sturmfluten.
Die Gefahr, dass Sturmfluten über das Land hereineinbrechen und zu Zerstörungen in den Küstengebieten führen, ist an der Ostseeküste größer. Während die Nordseeküste komplett von Deichen geschützt ist, ist die Ostseeküste nur zu 30 Prozent eingedeicht.
Welche Maßnahmen helfen gegen Sturmfluten?
Deiche schützen die Menschen, die an den Küsten leben, seit Jahrhunderten gegen Sturmfluten. Sie wurden im Laufe der Zeit immer wieder vergrößert. Allerdings müssten sie aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels noch höher gebaut werden.
Sinnvoller wäre es, die Deiche weiter ins Landesinnere zu verlegen, um dem Meer wieder mehr Platz einräumen, meint der Geograf Joshua Kiesel. Die Deiche würden dann eine natürliche Pufferzone schaffen, in der Küstenfeuchtgebiete gedeihen könnten. Dadurch erhalte man ein wertvolles Ökosystem und schütze gleichzeitig die Küste.
Auch Mauern oder mobile Hochwasserschutzwände halten Sturmfluten ab. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, müssten die Ufermauern aber direkt im Wasser stehen, erklärt Küstengeograf Christian Winter von der Universität Kiel. „Einen natürlichen Strand wird es nicht geben, wenn der Meeresspiegel steigt und die Küstenlinie gehalten werden soll.“
Steilküsten sind ein natürlicher Küstenschutz. Allerdings brechen bei jeder Sturmflut Sedimente ab. Da oft zu nah an den Steilküsten gebaut wurde, müssten Deiche vorgelagert werden, um die Menschen zu schützen. Asphaltierte Ufer, zugewachsene, abgeflachte Steilküsten und verarmte Ökosysteme wären der Preis für eine komplett abgeschottete Küste, die Meer und Land trennt.
Ein alternativer Ansatz zum Deichbau ist der naturbasierte Küstenschutz. Dazu zählen Überschwemmungsgebiete, die Dünenpflege und Lahnungen. Lahnungen sind lange Steinreihen oder doppelte Pfahlreihen mit aufgeschichteten Zweigen in der Mitte, die im Wattenmeer errichtet werden und der Landgewinnung dienen. An den Pfählen im Watt sollen sich Sedimente ansammeln, damit nach und nach aus Meer Land wird.
Allen Maßnahmen ist gemein, dass sie sich nicht schnell umsetzen lassen und das liegt nicht nur an den Kosten. Viele Küstengebiete sind Naturschutzgebiete und beherbergen Nationalparks. Das Wattenmeer an der Nordsee gehört seit 2009 zum Weltnaturerbe. Dort gelten bei Eingriffen in das Ökosystem strenge Richtlinien. Bei allen Maßnahmen muss zwischen Naturschutz und Küstenschutz abgewogen werden. Hinzukommen die unterschiedlichen Interessen der Menschen, die in den Küstenregionen leben: Landwirte, die ihr Land nicht dem Meer überlassen wollen, Anwohner, die auf den unverstellten Meerblick nicht verzichten wollen, Gastronomen und Hoteliers, die auf die Touristen angewiesen sind.
Wie schützen sich andere Länder gegen Sturmfluten?
Jede Küstenregion ist anders, daher müssen überall individuelle Maßnahmen getroffen werden, sagen Forschende. Um schweren Sturmfluten vorzubeugen, müsste vor allem der Klimawandel in Schach gehalten werden. Denn jeden Tag nagen Wellen und Wind an den Küsten der Welt. Und mit jedem Zentimeter Meeresspiegel-Anstieg geht dabei mehr Land verloren. In Panama sind Inselbewohner bereits jetzt gezwungen, ihr Eiland zu verlassen und aufs Festland zu ziehen. Ihr Versuch, die Insel durch aufgeschüttete Korallen zu schützen, war erfolglos.
Vorreiter in Sachen Küsten- und Hochwasserschutz sind die Niederlande. Ein Drittel des Landes liegt auf dem Meeresspiegelniveau, ein weiteres Drittel liegt darunter. Nach der verheerenden Flutkatstrophe von 1953, bei der in den Niederlanden 1.834 Menschen starben, hat das Land konsequent in seinen Küsten- und Hochwasserschutz investiert und über einen Zeitraum von rund 40 Jahren die so genannten Deltawerke errichtet. Das sind Sturmflutwehre, Schleusen und Dämme. Ohne die Deltawerke und die tausenden Deiche und Dünen wäre das Land nur eingeschränkt bewohnbar. Statt gegen das Wasser zu kämpfen, haben die Niederländer gelernt, mit dem Wasser zu leben und ihm den Raum zu geben, den es benötigt.
rey