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Stuttgart 21-Bauzaun wird zum Museumsobjekt

Nach der Volksabstimmung in Baden-Württemberg vom 27. November scheint der Kampf um Stuttgart 21 beendet zu sein. Ein Symbol für diesen Kampf ist der Bauzaun, der mit Plakaten übersät ist. Der Protest ist nun Geschichte und der Bauzaun ein Fall für das Haus der Geschichte Baden-Württemberg.

Von Thomas Moser |
    Eine Frau zum Bauzaun:

    "Der Bauzaun ist was für mich, was sehr wichtiges. Jedes Mal, wenn ich hier bin, hab ich das Gefühl, es ist so viel Neues da. Also ich bin immer ganz erstaunt, wie kreativ die Menschen sind, um eben auch ihrer Meinung Ausdruck zu geben."

    Stuttgart, Deutschlands derzeit berühmtester Bahnhof. Am Nordausgang steht, 100 m lang, ein reich dekorierter Bauzaun. Plakate mit Parolen: "Mappus Volks-Zertreter", "S21-Gier frisst Hirn", Demo-Devotionalien: Schirme, Besen, Schuhe für Schuster, den OB. Immer noch wird das Drahtgestell genutzt. - Aber: Es gibt noch einen zweiten Bauzaun: drinnen. Paula Lutum-Lenger:

    "Ist ein originales, authentisches Exponat, mit dem wir uns jetzt in aller Ruhe und im Warmen Stunden und Aberstunden beschäftigen können."

    Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart. Die Museumsmacher haben den Zaun vor einem Jahr, mitten in den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21, abgebaut und abtransportiert und durch den jetzigen ersetzt. Nun wird dieses Symbol des Widerstandes museal präsentiert. Gleiches Inventar, Zettel, Tafeln, Transparente mit Aufschriften wie: "Geister-Bahn", "Tali-Bahn", "Kaputtgart".

    "Geschichte, die noch qualmt,"

    sagen die Ausstellungsmacher. Schließlich ist damit eine historische Regierungsabwahl verbunden, die sich auch auf der Wand abbildet.

    "Mappus, die Figur, die am häufigsten vorkommt, die die meisten Transparente und Zettel haben."

    Die Exponate dokumentieren eine gestörte Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten. Und sie belegen, wie gebildet die Krachmacher sind: Persönlichkeiten werden zitiert, Humanisten und Künstler wie Brecht, Humboldt oder Melanchton; moderne Popikonen wie Jimi Hendrix, Bob Marley oder Josef Beuys. - Der Bauzaun: nicht nur eine politische Protestbühne, sondern auch ein Kunstobjekt.

    "Der Zaun eben auch als soziale Skulptur, hätte Beuys das genannt. Man kann plastizierend in die Gesellschaft eingreifen. Das war ja seine Idee: Jeder Mensch ist ein Künstler."

    Ausschnitt Tagesschau vom 28.11.11:

    "Nach der Volksabstimmung in Baden-Württemberg stehen die Signale für Stuttgart 21 auf grün."

    Mit der Volksabstimmung vom 27. November scheint der Protest nun erst Recht ein Fall fürs Archiv zu sein. "Dagegen leben?" Fragezeichen, nennen die Museumsmacher die Ausstellung. Das erinnert an die Polemiken über die "Dagegen-Republik". Paula Lutum-Lenger schränkt ein:

    "Dagegen leben? - Ja. Dagegen leben meint, es ist viel mehr als dagegen sein."

    Und schon ist man wieder mitten in der Diskussion:

    "Für etwas anderes, für etwas Besseres, für mehr Demokratie, für mehr Ökologie, für angenehmere Städte usw. Da haben Sie schon Recht."

    Über 2600 Exponate zählten die Historiker vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, hergestellt von ungezählten Bürgern. Sie alle sind die Urheber der Schau. Und deshalb gibt es zum ersten Mal freien Eintritt in dem Haus. Allerdings: Bei der Live-Ausstellung am Hauptbahnhof ist es schließlich ja auch so. - Dort hat die Stuttgart 21-Gegnerin, die ihren Namen nicht sagen will, nichts dagegen:

    Besucherin im Museum:

    "Das find ich gut, dass es eben für alle Zeiten mal gesichert ist, dass es so was im Ländle mal gab. Dass die Schwaben aufgestanden sind."


    Die Ausstellung ist von heute an bis zum 2. April 2012 zu sehen. Die am Bauzaun neben dem Hauptbahnhof wohl noch länger.