"Die Geschichte vom Soldaten" von Demis Volpi
"Zu viele Musikstücke hören erst viel zu lange nach ihrem Ende auf", wusste Igor Strawinsky, eine Bemerkung, die man leicht auf viele Ballette anwenden kann. Im Fall von Demis Volpis Choreografie zu Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" muss man sagen, die Sache geht erst viel zu lange nach ihrem Anfang los.
Denn bevor die Musik einsetzt, lässt Volpi das Ensemble Koffer hereinschleppen, aufklappen, zumachen, wieder herausbefördern, Kostüme umhertragen, etc. Nun ist die Geschichte vom Soldaten ein Spiel auf dem Spiel, das Stück war konzipiert als ein Tourneestück, alles wahr. Aber über das Zeigen der Requisiten und Kostüme hinaus erzählt Volpi gar nichts. Der ganze szenische Prolog bleibt vollkommen oberflächlich. Und darum wird er auch so schnell langweilig.
Volpi gelingt es nicht, Geschichten in der Geschichte zu erfinden, Begegnungen zu erzählen, kleine gespielte Anekdoten. Seine einzige Anekdote bleibt die hübsche Szenerie von Katharina Schlipf. Manche ihrer Koffer etwa ergeben aufgeklappt Küchentische komplett mit Kaffeekannen, Wanduhren und Suppenkellen. An diesen Pappkulissen warten die Soldatenbräute auf ihre Urlauber, einsame Mahlzeit um einsame Mahlzeit - sprechendste und witzigste Szene des Stücks.
Der Rest davon ist ein langes Solo der wundervollen Ballerina Alicia Amatriain, weiß gepudert, mit Hörnchenperücke und Teufelsmaske zunächst kaum wiederzuerkennen, die ihre dämonenhaften Bewegungen hinreißend dehnt und dem kleinen Soldaten den Kopf verdreht. Amatriains Spiel und die bösen Verrenkungen ihres ballerinenschönen Körpers sind es wert, in Volpis Stück zu gehen. Sie holt so viel aus dieser Partie heraus, wie sie darf.
Das naive Herumgetanze des restlichen Ensembles aber ist von einer selbstzufriedenen Biederkeit geprägt, die staunen macht. Komplizierte Musik? Ach iwo, tanzen wir drüber.
Mit einem herrlichen Effekt macht der Teufel dem Menschenquatsch ein Ende: Er klappt ein paar Koffer mehr auf und entfaltet Pappfeuerflammen in ihnen. Mit einem herrlichen pyrotechnischen Knall und echten Flammen ist das Stück dann eigentlich zu Ende.
Volpi hängt aber noch ein Schubert-Lied hinten dran und es fällt schwer, sich zu erinnern, was dazu gleich noch geschah. Siehe Strawinsky: Zu viele Stücke hören erst viel zu lange nach ihrem Ende auf.
"Le Chant du Rossignol" von Marco Goecke
Erst nach Marco Goeckes nicht wirklich neuem "Le Chant du Rossignol"- eines seiner üblichen Männerrückenverrenkungsballette, 2009 für Paul Chalmers Leipziger Ballett kreiert - und nach Volpis Uraufführung kam dann Sidi Larbi Cherkaouis für Stuttgart geschaffener "Feuervogel".
"Der Feuervogel" von Sidi Larbi Cherkaoui
Ein riesiger schwarzer Klotz nimmt die Bühnenmitte ein, in dunkles Licht getaucht. Wie von Götterfaust gespalten, öffnet sich die Skulptur und gibt den Blick auf eine in rote Schleppen gewickelte Gestalt frei. Cherkaouis "Feuervogel" entsteigt einem Vulkan. Mit dieser abstrakt mythologischen Deutung gelingt es dem Choreografen, der Musik über das Rhythmische und Atmosphärische hinaus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Das Ensemble, aus dem am Ende auch eine Art Zauberer und ein Prinz wie im Original erkennbar hervortreten, scheint den Tanz wie in ritueller Übereinkunft auszuführen. Erneuerung und Befreiung, Eintauchen in den Kreislauf des Lebens, all das bergen die fließend ineinander übergehenden tänzerischen Sequenzen.
Drehungen und Hebungen zeigen, was Höhe und Tiefe im Tanz bedeuten. Immer wieder knicken die Männer ein und sinken auf die Knie und ganz zu Boden, als hätten ihnen unsichtbare Mächte die Beine weggezogen. Immer wieder werden Frauen gehoben, gehalten, in Balance gezeigt und wie schwebend auf Spitze, in Zuständen großer Leichtigkeit und ungehindert fließender Energien.
Es ist dieses Interesse an Transformationsprozessen, natürlichen und metaphysischen, das Cherkaoui mit Strawinsky verbindet und ihm zu dieser einzigartigen, intuitiv wirkenden Musikalität verhilft.