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Subkultur
Die römische Occult-Psychedelic-Szene

In Roms Stadtteil Pigneto gedeiht seit einigen Jahren eine Musikszene, die in Italien als "occult psychedelia movement" bezeichnet wird. Herz der Bewegung ist ein kleiner Klub namens DalVerme, in dem jedes Jahr das Musikfestival "Thalassa" stattfindet - ein Feuerwerk aus düsterer und zugleich bunter Subkultur.

Von Olaf Karnik |
    Begibt man sich in die Vororte und Randbezirke, dann ist Rom eine ziemlich sonderbare Stadt. Einzelne Viertel und dazwischen braune Felder, antike Ruinen, zeitgenössische Ruinen. Es gibt Stadtteile, wo man sich wie in Europa fühlt, an der nächsten Ecke wie in Nordafrika und zwei Straßen weiter wie in einem hippen Ausgehviertel - so zum Beispiel in Pigneto. In diesem multikulturellen Stadtteil im Osten Roms gedeiht seit ein paar Jahren eine Musikszene, die von der Musik-Presse als "Occult Psychedelia Movement" bezeichnet wird. Ihr Sound ist düster, experimentell und esoterisch und "Heroin In Tahiti" ist die bekannteste Band aus diesem Umfeld. Ihr Gitarrist Valerio Mattioli kennt sich in Pigneto bestens aus:
    "Pigneto war und ist ein ebenso beliebtes wie armes Viertel. Die Mieten waren niedrig, das Leben einfach, die Leute locker. Ich bin in dieser Gegend aufgewachsen. In den letzten zehn Jahren sind viele Leute aus solchen Gründen hierhin gezogen. Viele haben angefangen, Musik oder Kunst zu machen, andere haben Veranstaltungsorte oder Clubs aufgemacht, bald ist daraus eine richtige Community entstanden. Und wenn mal all diese Dinge teilt, wird daraus sowas wie eine große Familie. Die Musik, die hier entsteht, ist stilistisch durchaus unterschiedlich, aber sie basiert auf einer ähnlichen Haltung - sie atmet die Atmosphäre, die hier herrscht."
    Metal-Musiker aus Bangladesh
    Zur "großen Familie" zählen Bands und Projekte wie Heroin In Tahiti, Cannibal Movie oder Donato Epiro, Labels wie No=Fi Recordings und Clubs wie das DalVerme, wo seit 2012 jährlich das dreitätige Musik-Festival "Thalassa" stattfindet - quasi als Showcase der Szene. "Thalassa" ist ein großes Festival in kleinem Rahmen: denn die Location ist eine nur 50 Quadratmeter große Kneipe samt Konzertkeller, in dem Monat für Monat italienische Geheimtipps und internationalen Underground-Größen gastieren. Veranstaltet wird "Thalassa" von Toni Cutrone, einem ambitionierten Mittdreißiger, der auch No=Fi Recordings und das DalVerme betreibt und experimentelle elektronische Musik veröffentlicht.
    "Occult Psychedelia ist nicht bloß ein journalistisches Schlagwort, sondern etwas, das man spüren konnte, bevor es so hieß. Und es betrifft nicht nur Musik aus Pigneto, sondern aus ganz Italien. Es ist real, all diese Bands, die dazu gehören, sind untereinander befreundet, man arbeitet schon seit Jahren zusammen."
    Neben dieser Nischenkultur gibt es in Pigneto: Metal-Musiker aus Bangladesh, Laut-Poesie-Performances von Rom-Chinesen, Piraten-Radio aus einem Second Hand-Shop. Dazu kommen ambitionierte Buch- und Plattenläden, Kneipen-Cafés mit kollektiven Listening Sessions oder ein Kulturverein im Gewölbe eines Aquädukts. Dem unweit gelegenen Bohème-Viertel San Lorenzo läuft Pigneto langsam den Rang ab, auch wenn es nach wie vor noch Brennpunkt ist. Die Mischung aus sozialer Malaise, kulturellem Aktivismus und schleichender Gentrifizierung prägt die sonderbare Atmosphäre des Stadtteils.
    Der Anspruch des Thalassa-Festivals besteht darin, jedes Jahr neue Talente und vergessene Heroen des italienischen Undergrounds zu präsentieren. Auf diese Weise führt man die heutige Szene mit ihren Vorbildern aus dem Italien der 70er- und frühen 80er-Jahre zusammen - jener kulturell blühenden wie blutigen Epoche Italiens, die von der Regierung Renzi heute verteufelt wird. Sie huldigt lieber einem realitätsfernen Optimismus. Für Valerio Mattioli von Heroin In Tahiti bringt die heruntergekommene Do-It-Yourself-Psychedelik seines Landes jedenfalls eine kollektive Erfahrung der Gegenwart zum Ausdruck:
    "Valerio Mattioli: Der Niedergang Italiens und die ökonomische Krise produzieren aber interessanterweise ein neues Gemeinschaftsgefühl, und seien es nur Frust und Depression. Ja, wir sind abgefuckt. Wir sind total abgefuckt! Lasst uns dieses Abgefuckt-sein ausstellen statt uns weiter etwas darauf einzubilden, das Land von Ferrari, Haute Cuisine und Spaghetti zu sein."