Mit Grubenlampen an der Stirn hangeln sie sich an Seilen in die Archivhöhle hinab, der Ermittler und die Verkörperungen seiner inneren Stimmen. Bis an die Decke ragt ein neunteiliger Block von Archivschubladen, aus dem nun die Erinnerungen, Fakten und Figuren der Geschichte von den "apathischen Kindern" herauskommen und in denen sie wieder verschwinden. Ein Ermittler erinnert sich und ist wieder auf der Suche nach der Wahrheit. Und die Stimmen und Figuren in seinem Kopf werden im Spiel lebendig.
Die Bühnen- und Spielsituationen, die Bühnenbildner Jorge Enrico Caro und Regisseurin Mina Salehpour entwickelt haben, geben dem Denkraum des literarischen Dokumentarstücks von Jonas Hassen Kehmiri eine zugleich metaphorische Kraft wie spielerische Leichtigkeit. Wie hier ein ernstes Thema mit Witz, aber auch mit analytischer Ernsthaftigkeit von fünf famosen, von Rolle zu Rolle springenden Schauspielern angegangen wird, das nimmt das Publikum von der ersten Szene an gefangen.
Khemiris Stück beruht auf der Buchreportage des Journalisten Gellert Tamas über die Erkrankung zahlreicher Flüchtlingskinder Mitte der Nuller-Jahre in Schweden. Die Kinder von Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt war oder die eine Ablehnung erwarteten, hörten auf, sich zu ernähren und Kontakt zu anderen Menschen aufrechtzuerhalten.
Was war das; Simulation, taktische Selbstvergiftung oder Auswirkung der Asylbedingungen? Tamas nannte seine Reportage "Die Apathischen. Über Macht, Mythen und Manipulation". Khemiri nun lässt eine Vielzahl von Figuren aufmarschieren, Flüchtlinge wie Behördenvertreter, Politiker wie Nachbarn und Schulkameraden. Unterschiedliche Haltungen und Haltungen stoßen aufeinander, Klischees und Fakten werden gegeneinander gesetzt. Dabei geht es ihm immer um die Frage nach einer objektiven Wahrheit, die Khemiri weder zu erkennen noch zu verkünden mag. Wie bei der Faktensuche auch wie Haltungen manipuliert werden, ist ein entscheidendes Thema. Da schickt die Leiterin des Untersuchungsausschusses für apathische Flüchtlingskinder eine Warnmail an einen Kinder- und Jugendpsychiater:
"Passen Sie auf! Ich habe Informationen darüber, dass zwei kasachische Mädchen apathisch geworden sind, weil sie mit russischen Drogen vergiftet wurden. Der Facharzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Söderhamn war natürlich entsetzt."
- Schockiert.
"Aber irgendwie hatte man schon so ein Gefühl."
- Der Facharzt leitete die Mail an drei Freunde weiter.
"Nein, um Gottes willen!"
- Drei Freunde gingen Mittagessen und erzählten es drei Kollegen.
"Sie werden vergiftet, von ihren Eltern unter Drogen gesetzt!"
- Drei Kollegen kamen nach Hause und erzählten es drei Lebensgefährten.
"Begreift ihr, wie absurd das ist?"
- Drei Lebensgefährten erzählten es drei Nachbarn.
"Vergiftet. Russland. Nadelstiche."
- Drei Nachbarn erzählten es drei Pizzabäckern.
"Eine Calzone. Übrigens, wisst ihr, was ich neulich erfahren habe?"
Man will allenfalls politisch Verfolgte aufnehmen, aber nicht Glückssucher, also Wirtschaftsflüchtlinge. Und so bringen die politischen Vorgaben Unehrlichkeit in die Beziehungen. Das ist das Problem, in Schweden wie überall in Europa. Die Flüchtlinge werden dazu gedrängt, politische Verfolgung und Folter als Grund zu nennen. Wenn ein Asylbewerber berichtet, wie man ihm als politischem Gefangenem seine Kinder als leckeres Fleischgericht vorgesetzt habe, hält er ein Miss-Piggy-Kuscheltier hoch oben aus einer Schublade. Und dann fliegen unendlich viele Kuscheltiere herab, jedes mit einer schlimmen, erfundenen Geschichte. Da verliert die Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde, die ein Asylheim übernimmt und später gar zur Leiterin eines Untersuchungsausschusses zu den apathischen Kindern ernannt wird, ihre anfängliche Gutwilligkeit ob der vielen, immer wieder kehrenden Horrorgeschichten. Denn auch, als sie im Asylheim den Liebesavancen eines Insassen glaubt, wird sie nur ausgenutzt.
Es ist ein bewegliches Stück in einer bewegten Inszenierung. Konfliktlagen werden aufgeblättert und als so nicht lösbar erkennbar. Eine Fülle von Wahrnehmungen, Tatsachen und Meinungen wird ausgestellt. Die Schauspieler springen von Rolle zu Rolle, zeigen wechselnde Figuren und Haltungen mit minimalem szenischen, aber viel mimisch-gestischem Aufwand vor - oft in zur Groteske zugespitzter Komödiantik. Schließlich werden auch noch die Darstellungsmöglichkeiten und Darstellungsmethoden des Theatermediums selbst spielerisch befragt.
Schüler nehmen im Spiel Haltung zur Aufführung ein:
"Wir haben gedacht: Mein Gott, wie gut, dass sich mal jemand mit dieser wichtigen Frage befasst hat. Mein Gott, wie gut, dass das Stück deutlich Stellung bezogen hat. Und mein Gott, wie gut jetzt ein Glas Wein schmecken wird. Als Musical wäre es auch schön gewesen! Du, das wird voll krass, wenn da jemand eine Musicalversion draus macht."
Und dann zeigt die Schlussszene, mit Fahnenschwenker, einen Soldaten, auf dessen Blauhelm eine weiße Taube sitzt. Und einem glücklichen Chorus, wie so ein schreckliches Musical aussehen könnte. Denn wie man für ambivalente Haltungen und Situationen eine Spielform finden kann, die weder verkitscht noch gutmenschenhaft falsche Eindeutigkeit verkündet, bleibt offen.
Wie die Inszenierung, die mit Ernsthaftigkeit und Witz, mit Fantasie und Spielfreude rundum überzeugt.
Die Bühnen- und Spielsituationen, die Bühnenbildner Jorge Enrico Caro und Regisseurin Mina Salehpour entwickelt haben, geben dem Denkraum des literarischen Dokumentarstücks von Jonas Hassen Kehmiri eine zugleich metaphorische Kraft wie spielerische Leichtigkeit. Wie hier ein ernstes Thema mit Witz, aber auch mit analytischer Ernsthaftigkeit von fünf famosen, von Rolle zu Rolle springenden Schauspielern angegangen wird, das nimmt das Publikum von der ersten Szene an gefangen.
Khemiris Stück beruht auf der Buchreportage des Journalisten Gellert Tamas über die Erkrankung zahlreicher Flüchtlingskinder Mitte der Nuller-Jahre in Schweden. Die Kinder von Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt war oder die eine Ablehnung erwarteten, hörten auf, sich zu ernähren und Kontakt zu anderen Menschen aufrechtzuerhalten.
Was war das; Simulation, taktische Selbstvergiftung oder Auswirkung der Asylbedingungen? Tamas nannte seine Reportage "Die Apathischen. Über Macht, Mythen und Manipulation". Khemiri nun lässt eine Vielzahl von Figuren aufmarschieren, Flüchtlinge wie Behördenvertreter, Politiker wie Nachbarn und Schulkameraden. Unterschiedliche Haltungen und Haltungen stoßen aufeinander, Klischees und Fakten werden gegeneinander gesetzt. Dabei geht es ihm immer um die Frage nach einer objektiven Wahrheit, die Khemiri weder zu erkennen noch zu verkünden mag. Wie bei der Faktensuche auch wie Haltungen manipuliert werden, ist ein entscheidendes Thema. Da schickt die Leiterin des Untersuchungsausschusses für apathische Flüchtlingskinder eine Warnmail an einen Kinder- und Jugendpsychiater:
"Passen Sie auf! Ich habe Informationen darüber, dass zwei kasachische Mädchen apathisch geworden sind, weil sie mit russischen Drogen vergiftet wurden. Der Facharzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Söderhamn war natürlich entsetzt."
- Schockiert.
"Aber irgendwie hatte man schon so ein Gefühl."
- Der Facharzt leitete die Mail an drei Freunde weiter.
"Nein, um Gottes willen!"
- Drei Freunde gingen Mittagessen und erzählten es drei Kollegen.
"Sie werden vergiftet, von ihren Eltern unter Drogen gesetzt!"
- Drei Kollegen kamen nach Hause und erzählten es drei Lebensgefährten.
"Begreift ihr, wie absurd das ist?"
- Drei Lebensgefährten erzählten es drei Nachbarn.
"Vergiftet. Russland. Nadelstiche."
- Drei Nachbarn erzählten es drei Pizzabäckern.
"Eine Calzone. Übrigens, wisst ihr, was ich neulich erfahren habe?"
Man will allenfalls politisch Verfolgte aufnehmen, aber nicht Glückssucher, also Wirtschaftsflüchtlinge. Und so bringen die politischen Vorgaben Unehrlichkeit in die Beziehungen. Das ist das Problem, in Schweden wie überall in Europa. Die Flüchtlinge werden dazu gedrängt, politische Verfolgung und Folter als Grund zu nennen. Wenn ein Asylbewerber berichtet, wie man ihm als politischem Gefangenem seine Kinder als leckeres Fleischgericht vorgesetzt habe, hält er ein Miss-Piggy-Kuscheltier hoch oben aus einer Schublade. Und dann fliegen unendlich viele Kuscheltiere herab, jedes mit einer schlimmen, erfundenen Geschichte. Da verliert die Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde, die ein Asylheim übernimmt und später gar zur Leiterin eines Untersuchungsausschusses zu den apathischen Kindern ernannt wird, ihre anfängliche Gutwilligkeit ob der vielen, immer wieder kehrenden Horrorgeschichten. Denn auch, als sie im Asylheim den Liebesavancen eines Insassen glaubt, wird sie nur ausgenutzt.
Es ist ein bewegliches Stück in einer bewegten Inszenierung. Konfliktlagen werden aufgeblättert und als so nicht lösbar erkennbar. Eine Fülle von Wahrnehmungen, Tatsachen und Meinungen wird ausgestellt. Die Schauspieler springen von Rolle zu Rolle, zeigen wechselnde Figuren und Haltungen mit minimalem szenischen, aber viel mimisch-gestischem Aufwand vor - oft in zur Groteske zugespitzter Komödiantik. Schließlich werden auch noch die Darstellungsmöglichkeiten und Darstellungsmethoden des Theatermediums selbst spielerisch befragt.
Schüler nehmen im Spiel Haltung zur Aufführung ein:
"Wir haben gedacht: Mein Gott, wie gut, dass sich mal jemand mit dieser wichtigen Frage befasst hat. Mein Gott, wie gut, dass das Stück deutlich Stellung bezogen hat. Und mein Gott, wie gut jetzt ein Glas Wein schmecken wird. Als Musical wäre es auch schön gewesen! Du, das wird voll krass, wenn da jemand eine Musicalversion draus macht."
Und dann zeigt die Schlussszene, mit Fahnenschwenker, einen Soldaten, auf dessen Blauhelm eine weiße Taube sitzt. Und einem glücklichen Chorus, wie so ein schreckliches Musical aussehen könnte. Denn wie man für ambivalente Haltungen und Situationen eine Spielform finden kann, die weder verkitscht noch gutmenschenhaft falsche Eindeutigkeit verkündet, bleibt offen.
Wie die Inszenierung, die mit Ernsthaftigkeit und Witz, mit Fantasie und Spielfreude rundum überzeugt.