Archiv

Suche nach Gauck-Nachfolge
"Man kann sich nur auf einen externen Kandidaten einigen"

Im Februar 2017 wird eine neuer Bundespräsident gewählt. Doch die Suche nach einem Nachfolger für Joachim Gauck werde schwierig, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter im DLF. Er glaubt, dass sich die Parteien auf einen externen Kandidaten oder Kandidatin einigen werden - weil die Alternativen fehlen.

Jürgen Falter im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Der Nachfolger von Joachim Gauck muss in große Fußstapfen treten, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter im DLF. (picture alliance / Erwin Elsner)
    Christoph Heinemann: Rot-rot-grüne Sondierungen und neue Suche nach einem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Jürgen Falter, Forschungsprofessor an der Universität Mainz. Guten Tag!
    Jürgen Falter: Guten Tag!
    Heinemann: Herr Falter, wenn Norbert Lammert den Hut nimmt, wer bleibt dann übrig fürs höchste Amt im Staat.
    Falter: Oh, das wird schwer, da haben Sie völlig recht. Da könnte man sich natürlich den Außenminister vorstellen, der sicherlich eine Mehrheit hinter sich kriegen könnte, wenn die CDU, wenn die Unionsparteien da mitmachten. Aber es wird insgesamt sehr schwer werden, da die Parteien sich ja schon im Vorwahlkampf befinden und eigentlich keine der anderen den Triumph gönnt, ihren Kandidaten durchzubekommen. Das heißt, streng genommen kann man sich nur auf einen externen Kandidaten einigen, wie das im Falle Gauck der Fall war, denn keines der Lager - reden wir mal von Lager, also weder rot-rot-grün noch der Rest haben eine Mehrheit, die in den ersten beiden Wahlgängen den Bundespräsidenten durchkriegen könnte. Es wird also mit anderen Worten spannend werden. Ich sehe im Augenblick niemanden, der wirklich ein würdiger Gauck-Nachfolger werden könnte.
    Heinemann: Schwierig. Der Bundespräsident soll ja vor allem durch Reden überzeugen. Wer kann denn reden?
    Falter: Lammert hätte wunderbar reden gekonnt, wäre ein wunderbares Gegenprogramm zu Gauck gewesen. Er ist witzig, er ist schlagfertig, er nimmt nicht alles so ernst und ist gleichzeitig doch ungeheuer scharfsinnig und ein in der Wolle gefärbter Demokrat, vor allem ein in der Wolle gefärbter Parlamentarier. So etwas täte der Bundesrepublik sicherlich als Bundespräsident gut. Ist die letztgültige Entscheidung gefallen mit seinem Rückzug aus der Politik? Das ist mir noch nicht hundertprozentig klar. Also wie gesagt, Lammert wäre ein solcher Kandidat. Ansonsten, wenn man lange herumdenkt, fallen einem zwar der eine oder andere Wortmächtige ein, aber keiner hat dann doch das Format, das man vom Bundespräsidenten erwartet.
    "Gaucks Fußstapfen sind sehr groß"
    Heinemann: Wie groß sind denn die Fußstapfen, die Joachim Gauck hinterlässt?
    Falter: Die Fußstapfen sind sehr groß. Gauck hat sich besser entwickelt, als viele erwartet haben. Er galt ja als sehr eitel, und viele hatten die Befürchtung, dass er an seiner Eitelkeit scheitern würde. Das hat er aber wunderbar in den Hintergrund gedrängt. Er versieht das Amt mit Würde, er ist in der Lage, tiefgründig klingende Statements und gute Reden in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die meisten fühlen sich von ihm tatsächlich repräsentiert, auch wenn es eine kleine Minderheit gibt, die ihn auf der Straße beschimpft. Aber die sollte man vielleicht nicht gar zu ernst nehmen. Also ich glaube, die Fußstapfen sind in der Tat groß.
    Heinemann: Herr Falter, ein Grund für Norbert Lammerts Verzicht liegt möglicherweise darin oder auch darin, dass seine Frau, die mit dem Amt für die jeweiligen Partner üblichen repräsentativen Pflichten nicht übernehmen möchte. Ist das überhaupt noch zeitgemäß, dass sich Partnerinnen und Partner von Spitzenpolitikern im Ausland mit Volkstanzgruppen im Takt wiegen?
    Falter: Ja gut, es wird praktiziert. Ob das zeitgemäß ist, ist eine andere Frage. Aber es wird in so vielen Ländern praktiziert, dass man das sicherlich nicht abstellen kann. Und da ist es natürlich wichtig, dass die Partnerin oder der Partner mitmacht. Wenn nicht, und dann wird es schwieriger - es gibt ja Fälle, wo dann Präsidenten ihre Tochter mitgenommen haben beispielsweise. Ob das bei Norbert Lammert möglich wäre, habe ich keine Ahnung. Man muss das aber respektieren. Wenn seine Frau sagt, sie will das nicht, sie kann das nicht, sie fühlt sich vielleicht dem auch nicht gewachsen, vielleicht hält sie es auch für Firlefanz. Ich weiß es nicht, ich kenne sie nicht persönlich.
    "Gabriel will sich nicht zerfleischen lassen im Vorfeld"
    Heinemann: Angela Merkel ziert sich vor ihrer Spitzenkandidatur, Sigmar Gabriel ebenfalls. Ein natürlicher Kandidat, haben wir jetzt gehört, für das Bundespräsidentenamt ist auch nicht in Sicht. Fehlt Spitzenpolitikern heute der Wille zur Macht?
    Falter: Also das kann man Angela Merkel wirklich nicht vorwerfen, dass ihr der Wille zur Macht fehle. Sie ist sicherlich die machtbewussteste Politikerin seit Langem, auch Männer mit einbezogen, mindestens in der Liga von Helmut Kohl beispielsweise oder auch von Konrad Adenauer. Und auch Sigmar Gabriel ist ja durchaus machtbewusst. Er ist sich nur nicht ganz sicher, ob er denn von der Partei so getragen wird, dass er sie wirklich hinter sich stehen hat. Und er ist sich nicht sicher, welche Chancen er denn hätte gegen Angela Merkel. Er will sich auch nicht zerfleischen lassen im Vorfeld. Irgendwie ist das ziemlich nachvollziehbar. Aber ich bin ziemlich sicher, dass er am Ende seinen Hut in den Ring werfen wird.
    Heinemann: Herr Falter, am Abend treffen sich Abgeordnete der SPD, der Linken und der Grünen zum gegenseitigen Beschnuppern. Könnte aus diesem Stuhlkreis eine rot-rot-grüne Bundesregierung im kommenden Herbst entstehen?
    Falter: Ausschließen sollte man das nicht. Die SPD hatte ja schon nach der krachenden Wahlniederlage von 2013 beschlossen, dass sie künftig für alle Koalitionsoptionen offen sei. Das heißt, sie hat sozusagen die Quarantäne dann doch offiziell schon aufgekündigt, unter die sie Die Linke lange Zeit gestellt hatte. Allerdings darf man nicht übersehen, es gibt doch weite Bereiche, in denen es sehr schwer sein dürfte, auf Bundesebene eine Koalition zwischen SPD, Grünen und Linken zu schließen. Und das bewegt sich hauptsächlich im Bereich des Außenpolitischen, der NATO-Mitgliedschaft, der EU-Politik, des Einsatzes der Bundeswehr, also Dinge, die in der SPD relativ unumstritten sind, wo Die Linke eine völlig andere Position fahren will.
    Ich glaube aber schon, dass das ein erster Schritt sein könnte, das zu versuchen, wenn die Mehrheiten da sind. Allerdings, das im Vorhinein anzukündigen, dürfte wahrscheinlich die Mehrheiten noch prekärer machen, noch schwieriger zu gestalten sein, weil nämlich dann es einen echten Lagerwahlkampf gäbe, wo die Frage sich aufstellt, möchte man von einer Linkskoalition, die klar links der Mitte steht, regiert werden, oder vielleicht doch lieber von einer Mitte-Koalition, so wie die Große Koalition das darstellt.
    Heinemann: Sie haben auf die Unterschiede hingewiesen. Die Linke ist in Teilen antisemitisch, sagt Gregor Gysi unter anderem, Sara Wagenknecht steht in ihrer Migrationspolitik der AfD nahe, Die Linke auch in ihrer Sympathie für Putin. Können sich Sozialdemokraten, können sich die Grünen auf einen solchen Partner einlassen?
    Falter: Nein. Nicht, wenn das in irgendeiner Weise dann sich in der praktischen Politik oder auch in der Programmatik niederschlagen sollte. Also, wenn es irgendwo in einem Koalitionsvertrag stünde oder wenn einer der Protagonisten dieser Positionen eine herausragende Rolle spielen würde in einer solchen Koalition, dann müsste Die Linke erst mal zu sich selbst finden, einen klaren Kurs fahren und außerdem darauf achten, dass diese Stolpersteine weggeräumt würden.
    "Ich könnte mir vorstellen, dass noch Kompromissmöglichkeiten da sind"
    Heinemann: Ein Stolperstein aus Sicht der Linken ist die Agenda 2010. Kann es sich die SPD erlauben, die wegzuräumen?
    Falter: Die SPD ist ja schon dabei, die in kleinen Schritten wegzuräumen, in Teilen zumindest. Die SPD ist nicht mehr ganz glücklich über die Agenda 2010, obwohl sie eigentlich stolz darauf sein müsste, denn die Agenda 2010 ist ja eigentlich nach Urteil fast aller ökonomischen Experten mit dafür verantwortlich, dass es uns wirtschaftlich im Vergleich zu unseren Partnern so gut geht. Also ich könnte mir vorstellen, dass da noch Kompromissmöglichkeiten da sind. Natürlich würde man die Agenda 2010 nicht offiziell beerdigen, aber den einen oder anderen kleinen Schritt auf die Linke könnte man sich vielleicht vorstellen im Sinne einer Koalitionsbildung, weil das ja die einzige Chance ist, dass die SPD überhaupt noch mal einen Kanzler stellen kann in absehbarer Zeit.
    Heinemann: Spaßbremse für ein rot-rotes Zusammengehen war ja lange Zeit der frühere SPD- und spätere Linken-Parteichef Oskar Lafontaine. Das spielt keine Rolle mehr?
    Falter: Ich glaube, der spielt keine große Rolle mehr, solange er in der Bundespolitik nicht mitmischt. Und im Augenblick hat er sich ja weitgehend ins Saarland zurückgezogen und beschränkt seine praktische politische Tätigkeit tatsächlich auf das Saarland. Er wird auch nicht von Tag zu Tag jünger, wie man sich vorstellen kann. Ich glaube, das Problem hat sich vielleicht noch nicht ganz erledigt, ist aber doch im Begriff, sagen wir mal, eine immer geringere Bedeutung anzunehmen.
    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Falter: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.