Regieren in Baden-Württemberg ist für die SPD "eine Riesenchance"
Michael Brandt: Herr Schmid, Sie sind seit 17 Tagen Minister für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg, Sie sind der Chef der baden-württembergischen SPD, und außerdem sind Sie stellvertretender Ministerpräsident des Landes. Haben Sie sich schon ans Regieren gewöhnt?Nils Schmid: So langsam gewöhne ich mich dran. Ich habe mein Büro kennen gelernt, mein Haus kennen gelernt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennengelernt. Und ich entwickle auch ein Verständnis für die Abläufe in diesem großen Haus. Aber ich kann schon jetzt sagen: Regieren ist besser als in der Opposition zu sitzen.Brandt: Dennoch, am 27. März haben Sie für die SPD Baden-Württembergs das historisch niedrigste Ergebnis eingefahren. Es hat nur mit dem Rekordergebnis der Grünen gereicht, um die schwarz-gelbe Koalition unter Stephan Mappus abzulösen. Gleichzeitig hat Kurt Beck in Rheinland-Pfalz die absolute Mehrheit verloren. Was ist mit Ihrer Partei los, muss die SPD Kellner lernen?Schmid: Wir müssen nicht Kellner lernen, wir müssen uns aber daran gewöhnen, dass die Parteienlandschaft in Bewegung geraten ist und dass wir als SPD erst noch dabei sind, wieder uns zu berappeln von der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl 2009. Übrigens haben wir in Baden-Württemberg, zumindest im Verhältnis zur Bundestagswahl, leicht an Boden gewonnen, aber wir sind noch lange nicht am Ende einer langen Strecke, bei der es darum geht, für die SPD Profil zu gewinnen, Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es kann uns aber dann gelingen, wenn wir jetzt gut regieren in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in Sachsen-Anhalt, in Hamburg. Überall dort, wo wir in Regierungsverantwortung sind, müssen wir uns jetzt bewähren.Brandt: Sie haben ja im Wahlkampf verstärkt auch auf klassische sozialdemokratische Themen, auf soziale Themen, auf das Thema "Arbeit" gesetzt, sich gegen prekäre Arbeitsplätze eingesetzt – und damit teilweise natürlich auch gegen die Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Muss die SPD insofern sich ein bisschen auf ihre Wurzeln besinnen und weiter links werden?Schmid: Wir müssen nicht weiter links werden, wir müssen uns auch nicht von der Agenda-Politik von Schröder verabschieden. Es geht darum, dort, wo Fehlentwicklungen am Arbeitsmarkt sich ergeben haben, dagegen zu steuern. Und das ist bei Leih- und Zeitarbeit der Fall. Ich finde es besonders überzeugend für die SPD, wenn sie sich zu der Zeit von Schröder und zum Regierungshandeln von Schröder bekennt, auch zum Regierungshandeln in der großen Koalition, und dann klar benennt, wo sie Handlungsbedarf sieht. Ich halte nichts davon, wenn die SPD jetzt alles über Bord wirft, was sie an der Regierung geleistet hat. Sie sollte immer Herr ihrer eigenen Geschichtsschreibung bleiben und darauf achten, dass sie sich zu den Leistungen in der Wirtschaft, in der Sozialpolitik, aber auch in der Gesellschaftspolitik – wenn ich an die Veränderung des Staatsangehörigkeitsrechts denke – bekennt. Und gerade die Debatte um die Abschaltung von Atomkraftwerken zeigt ja an, wie wichtig die rot-grüne Regierungszeit für unsere Republik war. Es war Schröder zusammen mit der rot-grünen Bundesregierung, der eben einen Atomkonsens schon erreicht hatte, den dann die CDU und Frau Merkel leichtfertig über Bord geworfen hat.Brandt: Wo müssen die sozialpolitischen Schwerpunkte der SPD sein in Zukunft, damit die Partei, wie Sie es gesagt haben, wieder Profil gewinnt?Schmid: Sie muss weiterhin ein feines Gespür für die Verwerfungen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt haben und die Fehlentwicklungen am Arbeitsmarkt, die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen mit Befristungen, mit Leih- und Zeitarbeit. Und dort, wo dann Korrekturbedarf ist, sollte die SPD es auch klar benennen. Schröder selbst hat gesagt, die Agenda 2010 ist nicht in Stein gemeißelt, nicht als Gesetzestafel von Moses zu sehen, sondern wenn man neue Erkenntnisse hat, muss man auch den Mut haben zu sagen: Okay, bei der Leih- und Zeitarbeit sind wir übers Ziel hinaus geschossen, die Öffnung für tarifvertragliche Lösungen hat sich nicht bewährt und deshalb müssen wir wieder stärker als Gesetzgeber regulieren. Aber wir sollten auch daran festhalten, dass die SPD die Partei ist, die die sozialen Sicherungssysteme nachhaltig sichert. Und dazu gehören auch Reformen, so wie wir es mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit gemacht haben, so wie wir es mit der Einführung der Riesterrente gemacht haben.Brandt: Mit Teilen dieses Themenspektrums, das Sie jetzt gerade skizziert haben, hat ja im Wahlkampf in Baden-Württemberg die Linkspartei versucht, zu punkten, eben auch mit einer sehr deutlichen Position gegen prekäre Arbeitsplätze. Ist das, was die SPD gemacht hat mit dieser thematischen Positionierung möglicherweise ein Rezept, um die Linkspartei aus Ihrer Perspektive in ihre Schranken zu weisen?Schmid: Wir haben in Baden-Württemberg nicht den Fehler gemacht, dass wir der Linkspartei hinterher gelaufen sind. Die Linkspartei hat mit ihren ollen Kamellen, wie der Ablehnung der Rente mit 67 und der Attacke auf die Hartz-IV-Gesetzgebung hier im Land keine Resonanz gefunden. Ich sehe eine Chance, dass wir in Westdeutschland zumindest die Linkspartei wieder aus den Landtagen drängen können – mit einer Politik der SPD, die Wirtschaft und Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit zusammenbringt. In Baden-Württemberg ist es gelungen, in Rheinland-Pfalz ist es gelungen, die Linkspartei draußen zu halten, jetzt in Bremen nicht ganz. Aber es zeigt an: Die Linkspartei hat in Westdeutschland ihren Zenit überschritten, wenn die SPD das tut, was sie immer stark gemacht hat, nämlich Schutzmacht der kleinen Leute zu sein und gleichzeitig Modernität auszustrahlen in Wirtschaft und Gesellschaft. Dann gibt’s keinen Raum und auch keine parlamentarische Daseinsberechtigung für die Linkspartei.Brandt: Nun hat Ihr Parteichef Sigmar Gabriel ja einen Vorstoß gemacht, um der Linkspartei – in Anführungszeichen – "Mitglieder oder Köpfe" abzuwerben. Aus der Perspektive, die ich gerade von Ihnen gehört habe, dass Sie sagen: Wir haben nicht den Fehler gemacht, der Linkspartei hinterher zu laufen, ist das ja gerade das Gegenteil, er läuft der Linkspartei hinterher. Was halten Sie davon?Schmid: Er läuft den reformorientierten Kräften der Linkspartei hinterher, wenn Sie so wollen. Er macht ihnen ein attraktives Angebot, nämlich dass sie sich nicht von den Resten der Ex-Kommunisten und von unrealistischen West-Linkspartei-Leuten weiter fesseln lassen, sondern dass sie eine Reformperspektive mit der SPD suchen. Und das ist ein Angebot, was sich im Einverständnis vor allem an die Kräfte der Linkspartei in Ostdeutschland wendet, denn die Linkspartei ist in Ostdeutschland deutlich breiter aufgestellt als in Westdeutschland. Sie hat sich in Ostdeutschland auf kommunaler Ebene und auf Landesebene als pragmatische Regierungskraft bewährt.Brandt: Sie können Sigmar Gabriel also folgen, wenn er diesen Anwerbeversuch macht?Schmid: Ich kann diesen Anwerbeversuch für Ostdeutschland sehr gut verstehen. Es ist ein weiterer Beitrag dazu, die parlamentarische Daseinsberechtigung der Partei einzuengen und überhaupt politische Spielräume der Linkspartei in Deutschland einzuengen, ja.Brandt: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat in der vergangenen Woche ein Konzept vorgelegt, wie sich die SPD auch gegenüber Nichtmitgliedern öffnen könnte, indem sie beispielsweise mitwählen können, wenn es um Kandidaten für Landtage oder andere Parlamente geht. Was halten Sie davon?Schmid: Ich halte es für einen guten Ansatz. Die SPD als Volkspartei muss ihre Tore weit aufmachen für die Gesellschaft. Ihre gesellschaftliche Relevanz hat nachgelassen, das kann man an dem Mitgliederzahlen ablesen, leider auch an einigen Wahlergebnissen. Und deshalb tut die SPD gut daran, ihre Personen und ihre Inhalte auch in der Gesellschaft zu prüfen und nicht nur bei den Mitgliedern auf den Prüfstand zu stellen. Wenn wir eine Machtperspektive haben wollen in dieser vielfältigen Gesellschaft, wo die Parteimitgliedschaft an Bedeutung verloren hat, dann sollten wir solche Spitzenpositionen wie Kanzlerkandidaturen oder vielleicht auch mal andere Spitzenpositionen in offenen Vorwahlen – in solchen Primaries - zur Diskussion und zur Abstimmung stellen. Sozialdemokratische Parteien in Europa haben das ja schon verschiedentlich ausprobiert. Und ich finde, wir sollten als SPD offen sein für solche neuen Wege. Brandt: Sie haben jetzt in dieser Diskussion schon einmal Ihre Stimme erhoben. Die baden-württembergische SPD ist ja nun in einer ungewohnten Position, sie ist plötzlich auf Augenhöhe in der Regierung. Wie wird sich der Einfluss und auch der Anspruch der baden-württembergischen Landespartei innerhalb Ihrer Bundespartei verändern?Schmid: Die neue Regierung in Baden-Württemberg hat eine Ausstrahlung weit über das Land hinaus, und zwar weniger deshalb, weil jetzt die Grünen ein Mandat mehr haben als die SPD und deshalb den Ministerpräsidenten stellen - das ist jetzt erst mal eine grüne Angelegenheit. Aber für die SPD ist diese Regierungsbildung hier in Baden-Württemberg eine Riesenchance, denn zum ersten Mal seit vielen Jahren regiert die SPD eines der wirtschaftsstarken Länder im Süden der Republik. Seitdem wir in Hessen nicht mehr an der Regierung sind, ist es nicht mehr der Fall. Und es ist für die bundesweite Bedeutung der SPD sehr wichtig, dass wir zeigen, dass wir ein wirtschaftsstarkes Bundesland gut regieren können, dass wir dort Industrie und Arbeitsmarkt gut gestalten können, dass wir das Ziel der Vollbeschäftigung über vernünftige Rahmenbedingungen in der Wirtschaftspolitik erreichen können, dass wir zeigen können, dass unsere bildungspolitischen Konzepte auch in einem lange Zeit von der CDU geprägten Land mit einer starken Wirtschaft und einem starken dualen Ausbildungswesen auf Akzeptanz stoßen. Umgekehrt führt das dazu, dass die SPD im Bund heterogener wird, weil wir nicht mehr nur die kleineren und eher finanzschwachen Länder vertreten. Und das wird die SPD Baden-Württemberg in die bundespolitischen Diskussionen über Länderfinanzausgleich, über Wirtschafts- und Finanzpolitik immer wieder einbringen.Brandt: Einer der Prüfsteine, ob die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg erfolgreich sein wird, ist die Finanzpolitik, ist die Frage, ob sie mit Geld umgehen können. Herr Schmid, Sie sind auch Finanz- und Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, lassen Sie uns übers Geld reden. Die Opposition im Landtag wirft Ihnen vor, dass Sie die Null-Verschuldung für Baden-Württemberg weit in die Zukunft schieben. Wie gut können Sie mit Geld umgehen?Schmid: Wir haben eine Finanzplanung der alten Landesregierung vorgefunden, die Finanzierungslücken von drei Milliarden Euro pro Jahr ausgewiesen hat. Und deshalb war diese Netto-Null-Verschuldung im Jahr 2014 immer nur eine Ansage, die aus Wahlkampfgründen gemacht worden ist, und sie war das Papier nicht wert, auf dem es aufgeschrieben worden ist. Deswegen werden wir die mittelfristige Finanzplanung überarbeiten müssen, nachdem wir einen Kassensturz gemacht haben. Diese CDU-Regierung hat in den vergangenen Jahren zu wenig getan, um das Landesvermögen zu erhalten. Wir haben Sanierungsstau bei Hochschulgebäuden, bei anderen Landesgebäuden, bei Landesstraßen. Wir haben zu wenig Vorsorge vorgefunden für die Pensionsverpflichtungen des Landes. All dieses führt dazu, dass wir erst mal eine ehrliche Abschlussbilanz von schwarz-gelb brauchen. Und dann können wir im Sommer über einen Nachtragshaushalt die ersten Akzente setzen, die notwenige Sanierung vornehmen und bildungspolitische Akzente setzen. Wir werden aber nicht mehr ausgeben als wir durch entsprechende Gegenfinanzierungen in den Haushalt rein bekommen. Deshalb haben wir beispielsweise beim Ausbau der Kleinkindbetreuung gesagt, dass wir den unpopulären Weg gehen und die einzige Steuerart, die uns zur Verfügung steht, nämlich die Grunderwerbssteuer, erhöhen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Hebesatzrechte auch für andere Steuerarten hätten, aber da wir nur die Grunderwerbssteuer haben, müssen wir auf sie zurück greifen und werden sie erhöhen, um den Kommunen mehr Geld für den Ausbau von Krippenplätzen und zur Qualität in den Kindergärten zufließen zu lassen. Brandt: Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann hat in dieser Woche in seiner Regierungserklärung von einer neuen Gründerzeit für Baden-Württemberg gesprochen. Er meint den Wandel zu einer Wirtschaft unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit. Können Sie da als Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg uneingeschränkt zustimmen?Schmid: Mir gefällt der Begriff der Gründerzeit gut, weil er die wirtschaftliche Dynamik hervorhebt, die in Baden-Württemberg zuhause ist und die auch weiter entstehen wird in dieser SPD/Grünen-Regierung. Wir haben eine unheimlich starke industrielle Basis, und die hat er auch noch mal ausdrücklich gewürdigt, vor allem auch die Autoindustrie und den Kranz der Zulieferer, der drum herum entstanden ist. Und klar ist, dass wir das in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Ziel der Vollbeschäftigung nur mit einer prosperierenden Industrie und einer prosperierenden Wirtschaft werden erreichen können. Dazu gehört auch, dass unsere Wirtschaft sich Schritt für Schritt ökologisch nachhaltig ausrichten wird.Brandt: Vor drei Wochen gab es ja diesen fatalen Halbsatz von Winfried Kretschmann, weniger Autos seien besser als mehr Autos. Daraufhin gab es eine laute öffentliche Debatte. Sehen Sie sich, sehen Sie die SPD da vielleicht auch ein bisschen als Korrektiv der Grünen in der Landesregierung – Sie haben ja gesagt, wir haben Benzin im Blut –, um Winfried Kretschmann genau auf diese Position, die Sie jetzt eben beschrieben haben, hin zu bekommen?Schmid: Ich bin froh, dass er jetzt in der Regierungserklärung das sehr ausgewogen und auch sehr ausführlich dargelegt hat. Es war in der Anfangsphase der Regierung ein kurzer Moment, wo man den Eindruck gewinnen konnte, die Regierung ist ideologisch oder gar wirtschaftsfeindlich unterwegs. Diesen Eindruck hat Kretschmann, haben wir auch gemeinsam – glaube ich – widerlegen können. Diese Regierung weiß um die wirtschaftliche Stärke des Landes und weiß auch, dass das von den Unternehmern, den Beschäftigten kommt. Sicherlich haben die Sozialdemokraten da einen etwas breiteren Zugang als Volkspartei. Uns ist Industrie und auch die Lebenswelt der Produktion sehr nahe. Ich habe auch einen großen Respekt vor der Leistung derjenigen, die Tag für Tag am Band stehen, in den Entwicklungsbüros arbeiten und forschen. Und ich glaube, dieser Respekt, den sollten wir immer wieder deutlich machen, weil das die Basis dafür ist, dass wir dann zusammen mit den Unternehmen und den Beschäftigen diese ökologische Nachhaltigkeit, die wir im Koalitionsvertrag verankert haben, dann auch in die Tat umsetzen können.Brandt: Sie haben Respekt – das merkt man auch – vor der Notwendigkeit, Infrastruktur zu schaffen. Ich leite über zu Stuttgart 21. Sie sind für Stuttgart 21, die Grünen sind gegen Stuttgart 21. Nun gibt es ebenfalls seit 17 Tagen einen grünen Verkehrsminister Winfried Hermann, der sich in den vergangenen Tagen gleich mehrmals in Interviewäußerungen zu Stuttgart 21, ich will nicht sagen 'in die Nesseln gesetzt hat’. Einmal hat er gesagt, dass er die Verantwortung für Stuttgart 21 abgeben will, wenn der Bahnhof gebaut wird, und zum zweiten hat er gesagt, dass das Land für Ausfallkosten aufkommen werde, wenn der Baustopp verlängert wird. Beide Male musste er zurückrudern. Wie lange kann das mit Winfried Hermann gut gehen?Schmid: Das kann weiter gut gehen. Winne Hermann muss sich einfach daran gewöhnen, dass er nicht mehr in der Opposition ist, sondern jetzt ein hohes Regierungsamt bekleidet und dass jedes Wort genau beachtet wird. Er wird sicher auch manchmal von den Medien besonders überspitzt interpretiert. Klar ist aber, dass er die Verantwortung für die gesamte Verkehrspolitik hat, sonst hätte er nicht Minister werden dürfen. Klar ist auch, dass die Landesregierung nicht bereit ist, Kosten für den Baustopp zu übernehmen. Schließlich hat ja auch die Bahn ein großes Interesse daran, dass sie Sicherheit für diese große Investition bekommt. Und diese Sicherheit können wir erreichen, indem dann im Oktober die Volksabstimmung stattfindet und danach klar ist, ob weiter gebaut wird oder nicht. Ich sehe in der Volksabstimmung eine Riesenchance für die Befürworter von leistungsfähiger Verkehrsinfrastruktur in Baden-Württemberg und in Deutschland. Wenn es uns gelingt, über diese Volksabstimmung ein positives Votum der Bürgerinnen und Bürger des Landes Baden-Württemberg zu Stuttgart 21 zu erreichen, dann hat es Signalwirkung weit über das einzelne Projekt hinaus. Dann ist klar, dass man, selbst mit einer schwierigen Debatte und einer nachträglichen Volksabstimmung, die immer eine Ausnahme sein muss, dass man aber mit dieser Volksabstimmung es geschafft hat, für Infrastruktur, für ein großes Schienenprojekt die Zustimmung zu erreichen. Das finde ich in Deutschland wichtig, dass das Werben für große Infrastrukturvorhaben gelingt, dass die Politik Mittel und Wege findet, immer wieder für solche Verkehrsvorhaben eine Mehrheit zu erlangen. Und deshalb sollte die Bahn und sollte übrigens auch die Bundesregierung als Eigentümer der Bahn alles dran setzen, dass der Stresstest selbstverständlich bestanden wird, aber dass dann auch die Volksabstimmung stattfindet. Man sollte dann nicht über Nebenkriegsschauplätze wie die Frage der Baukosten dieses große Ziel in Frage stellen. Ich bin überzeugt davon, dass für den Wirtschaftsstandort Deutschland es existenziell ist, dass wir leistungsfähige Verkehrswege hinbekommen. Und wenn wir das mit der Volksabstimmung am Beispiel Stuttgart 21 untermauern können, dann haben alle, die für leistungsfähige Infrastruktur in Deutschland kämpfen, egal welcher Partei sie angehören, einen großen Schritt nach vorne getan.Brandt: Nun ist die politische Vorbereitung auf die Volksabstimmung das eine, der Protest gegen Stuttgart 21, der ja munter weiter geht, das andere. Ich habe festgestellt, dass mittlerweile die Bilder von Ihnen und von SPD-Fraktionschef Klaus Schmiedel, Stefan Mappus abgelöst haben. Die Gegner scheinen sich jetzt auf die SPD als Stuttgart 21-Befürworter einzuschießen. Wie ist das denn so?Schmid: Das überrascht mich wenig, aber die Gegner müssen auch wissen, dass es demokratische, rechtstaatliche Verfahren gibt, wie man mit solchen Streitfragen umgeht. Und wir als SPD und auch ich als Person habe meinen Beitrag dazu geleistet, diesen gesellschaftlichen Konflikt zu entschärfen mit dem Vorschlag einer Volksabstimmung. Ich erwarte allerdings auch von den Gegnern, dass sie bereit sind, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sie mit ihrer Position endgültig unterliegen und dass der Bahnhof gebaut wird. Auch das gehört zu einer demokratischen Gesellschaft dazu, so wie ich auch bereit bin, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass wir als Befürworter des Projekts bei der Volksabstimmung unterliegen und dann das Projekt abgebrochen wird, was ich für einen fatalen Fehler hielte, aber was ich dann auch respektieren muss.Brandt: Es ist wohl unbestritten, dass Stuttgart 21 eines der Themen war, die den Weg für Grün-Rot in Baden-Württemberg geebnet haben. Das zweite war mit Sicherheit die Atompolitik vor dem Hintergrund des Unglücks in Fukushima. Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident, hat angekündigt, er will einen Atomausstieg nach Möglichkeit vor 2020. Ist die SPD da ganz genau an der Seite von den Grünen?Schmid: Wir wollen auch die Laufzeiten wieder deutlich verkürzen. Uns geht es zunächst mal darum, dass Wirtschaft und Gesellschaft eine Planungssicherheit bekommen beim Umgang mit der Atomkraft. Das war ja gerade die historische Errungenschaft von Schröder und der rot-grünen Bundesregierung, dass man gewusst hat, bis wann abgeschaltet wird und dass parallel dazu die erneuerbaren Energien staatlich gefördert werden, damit sie den Marktzutritt schaffen. Und jetzt muss die neue Bundesregierung von Frau Merkel mühselig den von ihr selbst zerschlagenen Atomkonsens wieder herstellen. Und dazu gehört auch ein endgültiges Abschaltdatum ohne die Möglichkeit der Übertragung von Reststrommengen auf andere Meiler. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dieses endgültige Datum vor dem Datum, das im alten Atomkonsens von Schröder fixiert worden ist, liegt, weil wir gesehen haben in den letzten Jahren, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich schneller voran geht, als man damals 2000/2001 prognostiziert hat. Also insofern ist 2020 ein richtiges Zieldatum. Ich würde sagen, es kommt auf das Gesamtpaket an. Es kommt darauf an, dass wir definitive Abschaltdaten festlegen, wie gesagt ohne die Übertragungsmöglichkeiten, dass wir die Frage der Endlagersuche definitiv regeln. Denn das gehört zur Bewältigung der Altlasten der Atomzeit dazu.Brandt: Wie ist denn da Ihre Position? Winfried Kretschmann hat ja gesagt, er ist für eine ergebnisoffene Endlagersuche, wenn ein Abschaltdatum feststeht. Also ergebnisoffen bedeutet, auch in Baden-Württemberg.Schmid: Dies ist die Haltung der Landesregierung, wie wir sie auch in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben. Uns geht es um eine Suche nach objektiven, wissenschaftlich nachvollziehbaren Kriterien. Und da kann sich kein Land einfach ausnehmen. Wie weit dann baden-württembergische Standorte infrage kommen, wird man sehen. Bisher ist die Aussage eher so, dass es unwahrscheinlich ist, dass man in Baden-Württemberg etwas findet. Aber zum Föderalismus und zur bündischen Solidarität im Föderalismus gehört eben auch, dass wir in Deutschland diese Erblast des Atomzeitalters gemeinsam schultern und nicht nach Kirchturmdenken, sondern nach rational nachvollziehbaren Kriterien diesen Suchlauf starten.Brandt: Herr Schmid, Sie haben zu Beginn gesagt, dass die SPD es jetzt zeigen muss, dass sie es auch kann, dass sie ein wirtschaftsstarkes Bundesland regieren kann. Deswegen die Frage: Was muss bis 2016 passiert sein? Wie muss das Land, wie muss die Koalition 2016 dastehen, um eine Chance zu haben, wiedergewählt zu werden und nicht das zu werden, was sich die Opposition wünscht, nämlich ein Betriebsunfall?Schmid: Solange die Opposition denkt, es wäre ein Betriebsunfall, sichert sie uns die Wiederwahlchancen im Jahr 2016. Wir werden das Land solide regieren in Haushaltsfragen. Das ist die absolute Vorbedingung. Wir werden die Wirtschaft stark halten über die strategischen Stellschrauben, die wir in der Landespolitik zur Verfügung haben. Das ist eine gute Forschungslandschaft, das ist eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen über den Ausbau der Ganztagesangebote in Kindergärten und Schulen und über die Erschließung des Fachkräftepotenzials bei Migrantinnen und Migranten über eine gerechte Bildungspolitik mit Sprachförderung in den Kindergärten und Ausbau der Ganztagsschulen. Und wir werden einen anderen Politikstil pflegen als die abgelöste CDU-geführte Landesregierung, nämlich den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnen, sie beteiligen an politischen Entscheidungsprozessen, nicht nur über mehr direkte Demokratie auf kommunaler Ebene und auf Landesebene, sondern auch über die Einbeziehung bei der Energiewende, wenn es um die Stationierung von Windkraftanlagen geht. Wir werden aber auch den Bürgerinnen und Bürgern etwas abverlangen. Denn wenn wir mehr Bürgerbeteiligung wagen, dann heißt das eben auch, dass sich die Bürgerschaft zwischen a und b entscheiden muss. Man kann nicht zu jedem Standort oder zu jeder Trasse nein sagen, sondern Bürgerbeteiligung öffnet die Auswahlmöglichkeit zwischen a und b als Standorte oder als Trassen. Die notwendigen Entscheidungen, dass Trassen vorgehalten werden, dass Standorte für Biogasanlagen, Windkraftanlagen festgelegt werden müssen, die müssen wir dann gemeinsam treffen.Brandt: Nils Schmid, stellvertretender Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Wirtschafts- und Finanzminister und Landesvorsitzender der baden-württembergischen SPD im Interview der Woche im Deutschlandfunk.