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Sucht bei Sportlern
Drogen, um die Leere nach der Karriere zu füllen

Der Zusammenhang zwischen Doping und Drogensucht ist ein Thema, dem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsste. Es berührt neben soziologischen, auch psychologische und neurologische Aspekte. Sportorganisationen müssten handeln, fordert der französische Suchtforscher William Lowenstein.

William Lowenstein im Gespräch mit Jessica Sturmberg |
    Weiß-orangefarbene Pillen und weißes Pulver auf schwarzem Hintergrund.
    Medikamentenkapseln und Pulver. (imago stock&people)
    Jessica Sturmberg: Herr Lowenstein, sie sind Mediziner und Suchtforscher. Wird dem Zusammenhang zwischen Doping und Drogensucht nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt?
    William Lowenstein: Das ist sehr häufig, man vergisst diesen Schnittpunkt, die Verbindung zwischen Hochleistungssport, vielleicht schon Bewegungssucht, Doping und Sucht. Das hängt damit zusammen, dass der Sport ein positives Image hat. Er ist gut für die Gesundheit und den Sport mit Sucht in Verbindung zu bringen ist unnatürlich und ähnlich wie im politischen Umfeld wird eben nicht an dieser Verbindung festgehalten. Es gibt schlicht kein Interesse daran die beiden Bereiche miteinander zu verbinden und zu behandeln.
    Sturmberg: Ist das nicht genug durchgedrungen als Problem?
    Lowenstein: Die großen Sportorganisationen wie die FIFA oder das IOC haben absolut kein Interesse die Frage des Leistungssports, das Wettbewerbsspektakel mit Abhängigkeit und Sucht zu verknüpfen. Deswegen gibt es einen großen Widerstand und Vorbehalt, Studien dazu zu finanzieren. Weil der Sport wichtiger ist als die Gesundheit des Sportlers. Der Sport ist ein Milliardengeschäft, die Gesundheit des Athleten ist weniger interessant.
    "Wenn man in dem Bereich Sport, Doping und Sucht forscht ist das nicht gern gesehen."
    Sturmberg: Was hat sich in den letzten Jahren verändert, oder hat sich überhaupt etwas getan?
    Lowenstein: Ja, in Frankreich gab es Ende der 90er Jahre, kurz nach der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich eine Regierung und eine Ministerin, die sich für das Problem interessiert haben und auch auf den Tisch geklopft haben. Sie haben gesagt, der Sport muss mehr kontrolliert werden, besonders im Hinblick auf die Gesundheit der Athleten und die Suchtgefahr.
    Aber die internationalen Organisationen sind unabhängig, das ist ein großes Problem. Eigentlich methodologisch, weil die Organisationen, die den Sport regieren, allen voran die FIFA versammeln viel mehr Länder hinter sich. Mehr sogar noch als Organisationen wie die Vereinten Nationen und man hat es hier mit einer eigenständigen Macht zu tun. Die Gesetze im Sport, das ist ein bisschen wie beim Militär, haben ihre eigene Spezifikationen. Und wenn man in dem Bereich Sport, Doping und Sucht forscht und arbeitet, das ist nicht gern gesehen.
    Sturmberg: Sie haben in dem Bereich geforscht, in welcher Weise haben Sie den Zusammenhang zwischen Doping und Drogensucht untersucht?
    Lowenstein: Es gibt mehrere Antworten auf Ihre Frage zum Verhältnis zwischen Doping und einer daraus folgenden Sucht. Die erste Antwort ist ganz einfach chemisch. Wenn man Dopingmittel nimmt um den Sport täglich auszuüben, trainiert man eine pharmakologische Abhängigkeit. Und wenn man mit dem Leistungssport aufhört, geht diese Abhängigkeit weiter.
    Die Mehrheit wird ihre Dopingmittel weiter benutzen, besonders wenn es sich um anabole Mittel handelt, andere werden sich in den Alkohol flüchten, Kokain oder manchmal Heroin, manche leiden auch unter Essstörungen, nehmen innerhalb eines oder zwei Jahren 10, 15, 20 Kilo zu. Die erste Antwort ist also eine chemische, weil es sich um Ersatzhandlung zu den Leiden des Sports handelt und dem Versuch der Substitution.
    Die zweite Antwort ist vielmehr eine Verhaltenssoziologische: Wenn ein Sportler mit 12, 13 Jahren seine Karriere voller Hoffnungen beginnt und oft sein familiäres Umfeld verlässt und dann mit 30, 35 seine Karriere beendet, ist das als ob er in eine andere Galaxie wechselt. Er verlässt eine Umgebung, in der alles für ihn vorbestimmt war, Wettkämpfe, Trainingszeiten, Rhythmen, alles bis auf den Millimeter geplant. Und er findet sich plötzlich in einer großen Leere. Um diese auszufüllen, ist die Versuchung oft groß, auf diese Mittel, Alkohol, Kokain, Heroin zurückzugreifen um das Gefühl des Taumelns zu begrenzen, in der Existenz nach dem Ende der Karriere und dem Verlust der sportlichen Aktivität.
    Sturmberg: Ist das nicht in erster Linie ein soziologischer Aspekt?
    Lowenstein: Ja es ist soziologisch, aber auch neurologisch. Weil jemand der sich täglich bewegt, und zwar im Hochleistungsbereich mit hohem Maß an Anstrengung und Können, und wenn dann Ende ist, dann fühlt sich das für diejenigen an wie gelähmt sein. Die Mehrheit der Sportler haben einen Zwang zur Bewegung, zur Hyperaktivität, mit einer hohen Sieger-Entschlossenheit. Und man muss diese Entschlossenheit, Sieger sein zu wollen, 15 oder 20 Jahre nach der Entscheidung für den Leistungssport aufrecht erhalten. An dem Tag, an dem dieses sehr, sehr reglementierte, vorbestimmte und assistierte Umfeld aufhört, erleben sie eine erschreckende Leere.
    Da geht es um soziologische Aspekte aber auch psychologische und neurologische, weil der Mensch ist gemacht um sich zu bewegen. Wenn er aufhört zu rennen oder zu springen, zu trainieren, erlebt er diese Trennung vom Sport als äußerst schmerzhaft.
    "Es geht um Geld und Glanz und nicht um die Gesundheit des Sportlers."
    Sturmberg: Können Sie nochmal biochemisch erklären, warum ein Sportler abhängig wird?
    Lowenstein: Ja, man hat eben heraus gefunden dass kleinste Teile des Hirns insbesondere bei Ausdauersportlern angesprochen werden, die sie abhängig davon machen, Leistung zu bringen.
    Z.B. beim Marathon, beim Langstreckenschwimmen werden Endorphine, also Glückshormone ausgeschüttet. Wenn man mit dem Sport aufhört, wird dieses System unterbrochen mit Folgen für den Schlaf, die Stimmung und den Appetit.
    Sturmberg: Wie kann man Sportler vor diesen Folgen bewahren? Was ist Ihr Rat?
    Lowenstein: Mein Rat wäre die Ausrichtung im Sport völlig zu ändern, aber das ist ein Rat, der unmöglich ist. Weil er nicht durchsetzbar ist. Meiner Meinung wollen die Sportorganisationen, die die Macht haben, lieber Medaillen, Ergebnisse, es geht um Geld und Glanz und nicht um die Gesundheit des Sportlers. Da ist das Problem.
    Ich habe keine Ideallösung, die realisierbar wäre. Weil ich weiß, dass keine Änderung eintreten wird. Aber man muss Strategien entwickeln um die Risiken zu minimieren, obwohl ich verstehe dass das schwer umzusetzen ist, d.h. der Versuch die Schäden zu begrenzen.
    Das gesamte Gespräch können Sie mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.