In der Nähe vom Hauptbahnhof in Köln ist ein Treffpunkt der Anonymen Alkoholiker. Auch Elke kommt regelmäßig hierher. Die brünette Frau mit schulterlangen Haaren wirkt jünger als 52 Jahre. Eigentlich erstaunlich, denn sie hat ihrem Körper extrem viel zugemutet. Elke hat 15 Jahr lang am Stück getrunken. Bier, Wein, Schnaps - eigentlich alles.
"Ich hab getrunken, bis ich betrunken war. Erst dann war ich zufrieden. Ich hab oft Probleme gehabt, mit anderen Leuten. Die haben gesagt: ‚Du bist ein netter Menschen, aber wenn du zu viel getrunken hast, bist du unausstehlich. Und ich war unausstehlich. Dann konnte ich sehr beleidigend sein. Was mir dann am nächsten Tag leidgetan hat, wenn es ganz doll war, war dann auch Gedächtnisverlust da. Man wacht am nächsten Morgen auf und muss sich erst mal überlegen: Wie bin ich nach Hause gekommen? Beziehungsweise: Wer hat mich nach Hause gebracht?"
Seit zwei Jahren trinkt die Kölnerin nun keinen Schluck mehr. Was ihr guttut: "Ich fühl mich gesünder, ich auch krieg auch von Leuten Komplimente, die sagen: Du siehst richtiger erholt aus, viel frischer und gesünder aus, und wenn ich aufwache, weiß ich immer, was ich am Abend vorher getan hab."
Doch nicht jeder schafft es, so stark zu sein wie Elke. Und nicht jeder will das auch. Therapeuten wie Gert Henke aus Bonn wissen das:
"Es ist so, dass Klienten zu mir gekommen sind und von vornherein gesagt haben: Ich will nicht ganz mit dem Trinken aufhören, aber ich will meinen Konsum deutlich reduzieren, weil sie gemerkt haben, dass es Probleme gibt im Beruf, in der Familie oder der Konsum überhandnimmt."
Nur wenige Alkoholiker starten eine Therapie
Der Diplom-Pädagoge arbeitet als Therapeut in einer stationären Einrichtung für Suchtkranke. Jahrzehntelang gab es in der Suchttherapie in Deutschland ein großes Dogma: totale Abstinenz, also keinen Tropfen Alkohol mehr. Das war das alleinige Ziel. Was für viele eine zu große Hürde darstellte, um überhaupt Hilfe zu suchen. Nach Angaben der Deutschen Stelle für Suchfragen haben sich in den vergangenen Jahren nur zehn Prozent der Alkoholkranken an eine Beratungsstelle gewandt oder es mit einer Therapie versucht.
"Nehmen wir an, ein Mann mittleren Alters trinkt in der Woche 40 Flaschen Bier. Das ist natürlich viel zu viel. Wenn der Mann nur noch 20 oder 15 Flaschen Bier trinkt, dann ist das definitiv ein Erfolg, den er hat."
Und groß angelegte internationale Studien haben gezeigt, dass Alkoholiker dauerhaft weniger trinken können. Und dabei genauso erfolgreich sind wie Abstinenzler. Das hat auch in Deutschland ein Umdenken in der Suchttherapie eingeleitet. Das oberste Ziel bleibt zwar die Abstinenz, aber das kontrollierte Trinken wird offiziell als eine Alternative erlaubt. Die entsprechende die ärztliche Leitlinie dazu wurde im Februar geändert. So hofft man Alkoholikern früher helfen zu können. Aber weniger trinken, dass klappe nicht bei jedem, meint Harald Seeger. Er leitet die Beratungsstelle des Suchthilfeverbandes Blaues Kreuz in Köln: "Dieses Programm funktioniert bei Abhängigen nicht."
Also solchen, die schon Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüche und Schlafstörungen haben, wenn sie nichts trinken. In Deutschland gelten rund 1,8 Millionen Menschen als abhängig von Alkohol.
Problem Suchtgedächtnis
"Es funktioniert bei Menschen, die aus meiner Sicht missbräuchlich trinken." Solchen zum Beispiel, die einen spürbaren Drang nach Alkohol verspüren, weil sie glauben, Problemen damit besser begegnen zu können.
"Also jemand, der die Grenze von Missbrauch zu Abhängigkeit überschritten hat, wird nicht die Erfahrung machen, dass wieder es ein Zurück gibt. Es gibt ein Suchtgedächtnis und die Fähigkeit kontrolliert mit Alkohol kontrolliert umzugehen, die ist weg. Und die kehrt auch nicht wieder."
Andere Therapeuten dagegen halten das kontrollierte Trinken für eine Methode, die bei allen anwendbar ist. Für manche jedenfalls kann es eine Brücke zur Abstinenz bedeuten. Auch Elke gehört zu den Abstinenzlern. Anfangs fiel es ihr schon schwer, nichts mehr zu trinken. Aber sie hatte eine gute Therapeutin und ihre eigene Methode, um mit der Sucht klarzukommen.
"Dann bin ich zum Beispiel an Plätze gefahren, wo ich weiß, das sitzen Alkoholiker, und hab die einfach nur beobachtet. Um dieses Abstoßende zu sehen, wie man sich benimmt. Auch wie ich mich benommen hab, wenn ich voll war."