Anhaltende Proteste
Die Demokratiebewegung im Sudan gibt nicht auf

Seit das Militär im Sudan im Oktober 2021 die Übergangsregierung gestürzt und die Macht an sich gerissen hat, ebben die Proteste nicht ab. Die Folgen des Ukraine-Kriegs verschärfen die Spannungen und lassen die Sorge vor einer weiteren Eskalation wachsen.

Von Felix Wellisch |
    Protestierende in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum im März 2022 mit Plakaten
    Protestierende in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum im März 2022 - ihnen ist vor allem die Militärführung ein Dorn im Auge (picture alliance / AP / Marwan Ali)
    Auch Monate nach dem Putsch im vergangenen Oktober gehen im Sudan weiterhin Woche für Woche tausende Menschen gegen die Militärjunta unter General Abdel Fattah al-Burhan auf die Straße.

    Was fordern die Menschen auf der Straße?

    Die Protestierenden haben eine klare Forderung: Das Ende der Militärherrschaft in dem ostafrikanischen Land mit rund 44 Millionen Einwohnern und die Rückkehr zu einer zivilen Regierung.
    Die Junta weiß sich nicht anders als mit Gewalt zu helfen. Die Sicherheitskräfte gehen brutal gegen die Proteste und gegen kritische Berichterstattung vor. Dass bei den Protesten sudanesischen Ärzten zufolge bereits rund einhundert Menschen getötet worden sind, schreckt die Demonstranten aber nicht ab.
    Protestierende im Sudan am Jahrestag vorangegangener Volksaufstände am 6. April 2022 auf der Straße in Khartum
    Protestierende im Sudan am Jahrestag vorangegangener Volksaufstände am 6. April 2022 (picture alliance / AP / Marwan Ali)
    Die mittlerweile weitgehend unabhängig von etablierten Parteien organisierten Proteste werden getragen von der Erfahrung einer jungen Generation, die 2019 durch Druck von der Straße den Machthaber Omar al-Baschir nach rund 30 Jahren im Amt gestürzt hat. Viele hoffen nun, dass das abermals gelingt. Es gibt jedoch einen großen Unterschied zu 2019: Damals stellte sich das Militär schließlich auf die Seite der Protestbewegung und besiegelte so den Sturz al-Baschirs. Heute aber richten sich die Demonstrierenden gegen die Militärführung selbst.
    Die Fronten sind verhärtet: Nach dem Scheitern der Übergangsregierung aus Militärs und Zivilisten unter Ministerpräsident und Hoffnungsträger Abdalla Hamdok wollen die Demokratie-Aktivisten keinerlei Kompromisse mehr mit dem Militär eingehen. Sie haben gespürt, was es heißt, Freiheit zu haben und wollen sie nicht mehr aufgeben. Der Deutschlandfunk-Korrespondentin Miriam Staber zufolge begrüßen mittlerweile viele gar den finalen Rücktritt Hamdoks Anfang Januar und hoffen auf demokratische Wahlen. “Viele sagen, Hamdok sei nur ein Feigenblatt gewesen, nur eine demokratische Fassade für dieses Regime”, sagte Staber im Januar 2022 im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Junta auf der anderen Seite hat viel zu verlieren, nicht nur wirtschaftlichen Einfluss.

    Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf das Land aus?

    Die Auswirkungen der russischen Invasion in der Ukraine treffen auch den Sudan hart: Die Preise für Nahrungsmittel und Treibstoff sind in die Höhe geschossen. Im Sudan stammen mehr als 85 Prozent der Weizen-Importe aus Russland oder der Ukraine, wie die NGO Save the Children mitteilte.
    Afrika ist der Kontinent, der weltweit den größten Anteil seiner Lebensmittel importiert und wo die Menschen den höchsten Prozentsatz ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Nun rechnet das Welternährungsprogramm, das im vergangenen Jahr rund 900.000 Tonnen Getreide aus der Ukraine und Russland bezog, mit Engpässen. Das könnte zu Spannungen führen: Auch der Arabische Frühling hatte im Jahr 2010 in Tunesien mit Protesten unter anderem gegen stark gestiegene Brotpreise begonnen.

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    Im März stieg im Sudan laut der Nachrichtenagentur AFP der Preis für Brot mancherorts bereits um rund 40 Prozent. Als Folge der steigenden Ölpreise seien demnach auch die Kosten für Mobilität landesweit um rund 50 Prozent gestiegen.
    Auch politisch ist der Krieg in Osteuropa im Sudan zu spüren. Viele Demonstranten zeigten bei den Protesten Solidaritätsplakate für die Ukraine. Die Generäle hingegen stehen eher auf Seiten Russlands. Bei einer Abstimmung über eine UN-Resolution gegen Russlands Angriff auf die Ukraine enthielt sich der Sudan. Russland hatte sich laut einem UN-Diplomaten nach dem Putsch im Oktober im UN-Sicherheitsrat seinerseits für General al-Burhan stark gemacht und ihn als Garant für Stabilität bezeichnet. Nur einen Tag vor dem Beginn der Invasion war eine sudanesische Delegation mit dem einflussreichen Militärführer Mohammed Hamdan Daglo in Russland empfangen worden.
    Abdel-Fattah Al-Burhan spricht während der Zeremonie zur Unterzeichnung der der politischen und verfassungsrechtlichen Erklärung für den Sudan 2019
    General Abdel-Fattah Al-Burhan (imago/Xinhua/Mohamed Khidir)
    Bereits der autokratische Präsident al-Baschir hatte wegen der langjährigen Isolation seines Landes auf militärische Unterstützung aus Russland gesetzt. Der Denkfabrik European Council of Foreign Relations zufolge hatten al-Baschir und Russlands Präsident Wladimir Putin 2017 Vereinbarungen über den Abbau von Gold und die Errichtung einer Marinebasis in der Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer getroffen. Im Zusammenhang mit illegaler Goldförderung kritisierten Vertreter der USA, Großbritanniens und Norwegens zudem im März eine Verwicklung der russischen Söldner-Organisation Gruppe Wagner. Die sudanesische Führung widersprach: Es befänden sich keine Mitglieder der Gruppe Wagner im Sudan.

    Vorgeschichte

    Rund 30 Jahre lang war der Sudan von Omar al-Baschir regiert worden, der 1989 ebenfalls durch einen Putsch an die Macht gekommen war. Im April 2019 wurde er nach anhaltenden Protesten durch einen erneuten Militärputsch gestürzt. Die landesweiten Demonstrationen hatten wenige Monate zuvor wegen gestiegener Preise für Brot und gegen Korruption begonnen, sich aber schnell gegen al-Baschir selbst gerichtet. Getragen wurden sie vor allem von jungen Menschen.
    Zuvor hatte die Wirtschaft des Sudans 20 Jahre lang unter internationalen Sanktionen gelitten. Zuletzt verschärfte sich die Lage durch die Abspaltung des Südsudan und den damit verbundenen Wegfall eines Großteils der Einnahmen aus der Ölförderung. Viele gebildete, junge Menschen erhofften sich von einem Machtwechsel neue Perspektiven.
    Das Land war daraufhin zunächst auf einem guten Weg: Militärs und Zivilisten einigten sich auf einen gemeinsamen Übergangsrat. Dessen Führung sollte zunächst beim Militär liegen und nach 21 Monaten auf zivile Vertreter übergehen. Mit dieser kreativen Lösung wurde eine Auseinandersetzung zwischen der Armee und der Opposition zunächst verhindert. Premierminister Abdalla Hamdok, der im August 2019 als Übergangs-Regierungschef vereidigt wurde, galt als Hoffnungsträger: Die Scharia wurde abgeschafft, Religionsfreiheit gewährt, es gab freie Medien, Gewerkschaften und die Rolle der Frauen wurde gestärkt.
    “Man hat die Freiheit gespürt, die Journalisten und Bloggern gegeben war”, sagte ARD-Korrespondent Martin Durm im Studio Kairo im vergangenen Oktober kurz nach der Machtübernahme der Militärführung. 2019 war der Sudan auf der Rangliste der Pressefreiheit noch auf Platz 175 von 180 erfassten Ländern gestanden. Daran habe sich nach der Revolution 2019 viel geändert, sagte Durm. “Es gibt Zeitungen, die die Übergangsregierung hart kritisiert haben und auch das Fernsehen hat immer wieder kritisch berichtet.”

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    Warum hat das Militär erneut geputscht?

    Seit dem Sturz von al-Baschir waren sich zivile Führer und ihre militärischen Kollegen immer wieder uneins gewesen. Der UN-Sondergesandte Volker Perthes hatte die Zusammenarbeit im Deutschlandfunk eine “Koalition der Unwilligen” genannt. General al-Burhan begründete den erneuten Putsch im Oktober damit, die Errungenschaften der Revolution und die Stabilität des Landes zu sichern. Tatsächlich lässt sich der Schritt wohl durch mehrere Gründe erklären.
    Zuletzt hatten die Spannungen im Übergangsrat zugenommen. Die geplante Übergabe der Leitung des Rates an Zivilisten, zunehmende Rufe nach einer umfassenden Reform der Sicherheitsbehörden sowie die mögliche gerichtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit, all das wäre mit weiteren Macht- und Kontrollverlusten der Militärführung einhergegangen. Im Rahmen des Übergangsprozesses waren zudem Forderungen laut geworden, die großen und vom Militär geführten Wirtschaftsunternehmen des Landes zu mehr Transparenz zu zwingen. Diese verwalten einen großen Teil der maroden Wirtschaft des Landes, von Ölförderung über Bauunternehmen bis zum Import von Elektronik. Der Profit wandert dabei oft in die Taschen der militärischen Elite. Hätte es freie Wahlen und im Anschluss eine rein zivile Regierung gegeben, wäre es mit diesen Privilegien womöglich vorbei gewesen.

    Welche Auswege könnte es geben?

    Im Sudan steht viel auf dem Spiel: Das Land ist auf internationale Unterstützung angewiesen, die die internationale Gemeinschaft in den Wirren der Nach-Putsch-Zeit jedoch weitgehend gestoppt hat. “Wir haben mehr als 50 Prozent der Bevölkerung hier, die in der ein oder anderen Form auf Nahrungsmittelhilfe oder andere Unterstützung angewiesen sind”, sagte der UN-Sondergesandte Volker Perthes im Oktober kurz nach dem Putsch. Gefährdet sei zudem der innere Frieden des Landes, in dem im Darfur-Konflikt hunderttausende Menschen getötet und Millionen vertrieben worden sind. Mit dem Putsch riskieren die Militärs auch neue Gewalt mit Rebellengruppen, die noch immer in mehreren Regionen des Landes existieren.
    Die Staatengemeinschaft spricht vor diesem Hintergrund jedoch nicht mit einer Stimme: Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien machen weiterhin Geschäfte mit der Militärregierung und Russland hat seine Verbindungen in den Sudan in den vergangenen Jahren zunehmend ausgebaut. Viele Sudanesen haben den Vereinten Nationen zudem übelgenommen, dass sie die zwischenzeitliche Wiedereinsetzung Hamdoks im November zunächst als pragmatischen Schritt begrüßt hatten. Einen möglichen Verhandlungsprozess unter UN-Führung könnte das erschweren.
    Währenddessen stehen die Generäle unter großem Druck. Weil das Land mit 70 Milliarden Dollar hoch verschuldet ist, geht dem Regime zunehmend das Geld für Subventionen aus, deren Wegfall noch mehr Menschen auf die Straße bringen könnte. Dass das Militär einfach abtreten wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Daher liegt es auch an der fragmentierten Demokratiebewegung, inwieweit und wie schnell es gelingt, ein Gegengewicht zur Armeeführung aufzubauen und eine gemeinsame zivile Vision für den Umgang mit dem Militär zu formulieren.