Tobias Armbrüster: Heute vor 100 Jahren wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Frauen dürfen seitdem wählen gehen und gewählt werden. Deutschland war damals mit diesem Gesetz ganz vorne mit dabei. Das wird heute in Berlin auch ganz offiziell gefeiert mit einem Festakt. Rund um diesen Jahrestag gibt es aber auch viele, die sagen, es muss sich noch viel mehr ändern. Katarina Barley, die Bundesjustizministerin von der SPD, hat am Wochenende vor allem den niedrigen Frauenanteil im Bundestag kritisiert. Ihr Vorschlag: Die Wahlkreise in Deutschland sollen vergrößert werden, sodass jeder Wahlkreis zwei Kandidaten in den Bundestag schicken kann, einen Mann und eine Frau. Das wäre so etwas wie eine Quotenregelung für den Bundestag.
Wir wollen das besprechen. Am Telefon ist Katja Suding, Parteivize der FDP und Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen.
Katja Suding: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Suding, ärgern Sie sich auch manchmal über die vielen grauen Anzüge im Bundestag?
Suding: Ja, es ist natürlich nichts, was uns irgendwie zufriedenstellen könnte, sogar etwas, was uns besorgen muss, dass der Anteil der Frauen, der ja in der letzten Legislaturperiode schon bei 36 Prozent gewesen ist, jetzt bei knapp 31 Prozent liegt. Damit bin ich auch alles andere als glücklich.
Heute feiern wir ja 100 Jahre Wahlrecht für Frauen. Das ist eine historische Errungenschaft, das ist eine ganz wunderbare Sache. Und wir müssen feststellen, dass unser Weg zu einer wirklichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen heute immer noch nicht zu Ende gegangen ist und dass wir da noch sehr viel mehr unternehmen müssen.
"Das wäre nur das Bekämpfen eines Symptoms"
Armbrüster: Könnte eine Frauenquote helfen?
Suding: Natürlich würde eine Frauenquote den Anteil der Frauen im Parlament erhöhen. Aber dennoch bin ich skeptisch, ob das der richtige Weg ist. Quoten bedeuten ja auch immer, dass man ein Misstrauen gegenüber dem Wähler ausspricht, wen er da eigentlich wählt, und das halte ich für falsch. Wenn wir früher darüber geredet haben, das Wahlrecht auf Frauen auszuweiten oder das Wahlalter abgesenkt haben, dann wollten wir ja die Basis der Wähler verbreitern. Jetzt geht es aber darum, dass wir auch bestimmen wollen, wer eigentlich gewählt wird, und das ist aus meiner Sicht der falsche Weg. Ich glaube, das wäre auch nur das Bekämpfen eines Symptoms; wir würden aber nicht an die Ursachen herangehen, und die müssen wir uns sehr viel genauer angucken, warum ist es denn so.
Armbrüster: Frau Suding, über die Ursachen möchte ich gerne mit Ihnen sprechen. Eine Bitte ganz kurz: Die Handy-Leitung, die wir haben, ist extrem schwach. Ich würde Sie bitten, wenn das möglich ist, möglichst nah an ein Fenster zu gehen. Dann kann das vielleicht besser klingen. – Genau darüber würde ich gerne mit Ihnen sprechen. Was läuft denn schief? Wie ist das zu erklären, dass der Anteil der Frauen im Bundestag wieder so deutlich zurückgegangen ist?
Suding: Ich glaube, dass wir gerade in manchen neueren Parteien zu wenig Frauen auf den Listen haben. Das gilt übrigens auch genauso gut für meine eigene Partei. Wir müssen einfach dafür sorgen, dass wir durch andere Strukturen in der Parteiarbeit, durch eine bessere Ansprache von Frauen mehr Frauen ermuntern, auch zu kandidieren, so dass auch mehr Frauen zur Wahl stehen.
"Frauen ermuntern, auch zu kandidieren"
Armbrüster: Frau Suding, genau das wird seit Jahrzehnten gefordert, und der Anteil ist nie über 30 plus Prozent hinausgegangen. Und wie gesagt, er geht jetzt zurück. Scheint nicht zu helfen.
Suding: Ich glaube, wir haben es einfach nicht konsequent umgesetzt. Es wurde gefordert, da haben Sie vollkommen recht, aber es wurde nicht umgesetzt. Wir erleben in den Parteien immer noch Strukturen, wo es nächtelange Sitzungen gibt, wo am Wochenende, am Sonntag gearbeitet wird. Ich glaube, dass wir da einfach heran müssen, und zwar wirklich konsequent, nicht nur darüber reden, sondern das wirklich auch zentral umsetzen müssen.
Wir wissen aus Ländern, wo der Anteil von Frauen höher ist, dass das immer einhergeht mit einer stärkeren Gleichberechtigung von Frauen auch in der Arbeitswelt. Da wo Frauen in der Arbeitswelt wie selbstverständlich auch in Führungspositionen vertreten sind, da sind sie auch im Parlament stärker vertreten. Auch darum müssen wir uns viel mehr kümmern und gucken, dass wir Strukturen schaffen, dass es für Frauen besser möglich wird, auch im Arbeitsleben Fuß zu fassen, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dafür sorgen, dass Frauen für die gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden.
Das sind Dinge, an denen wir noch viel konsequenter arbeiten müssen, und da würden wir an die Ursachen herangehen und nicht nur ganz oberflächlich an die Symptome. Das kann funktionieren, da bin ich sicher, aber das ist nicht das, was wir eigentlich erreichen müssen und was wir eigentlich wollen.
"Das ist einfach für uns nicht der richtige Weg"
Armbrüster: Könnte dann eine parteiinterne Quote helfen, keine gesetzlich verordnete für den Bundestag, aber dass sich alle Parteien, ähnlich wie das ja die Grünen seit vielen Jahren auch schon machen, einfach eine Verordnung geben, wir stellen abwechselnd Mann und Frau auf?
Suding: Wie gesagt, die Grünen machen das. Das funktioniert gut. Ich glaube, dass es zu einer Partei wie den Freien Demokraten, der ich angehöre, nicht passen würde. Das ist einfach für uns nicht der richtige Weg. Für uns zählt die Leistung und die Qualifikation eines Kandidaten und da möchte ich einfach dafür sorgen, dass es nicht eine feste Quote gibt, sondern ich möchte eine Selbstverpflichtung: Lasst uns dafür sorgen, dass wir genug Frauen aufstellen, dass wir genug Frauen ansprechen. Das muss der Weg sein.
Armbrüster: Haben Sie den Eindruck, wenn Sie sich mal die Grünen angucken, mal ganz abgesehen jetzt von den inhaltlichen Differenzen, dass bei denen unqualifiziertes Personal an die Spitze kommt?
Suding: Nein, überhaupt nicht. Das wäre auch überhaupt nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen. Darum geht es nicht. Ich habe gerade gesagt, dass eine festgelegte Quote etwas ist, was nicht zu einer Partei passt, die den Leistungsgedanken in den Vordergrund stellt. Deswegen möchte ich dafür sorgen, weil ich weiß, dass es viele gute Frauen gibt, dass die auch noch mehr den Mut haben und den Willen haben zu kandidieren. Dafür – und da komme ich auf das zurück, was ich eben gesagt habe – müssen wir die Strukturen in den Parteien noch verändern.
"Ich möchte die Strukturen in der Parteiarbeit ändern"
Armbrüster: Frau Suding, dann sagen Sie uns ganz kurz: Was wollen Sie in Ihrer Partei ändern? Wie gesagt, Ihre Partei steht in Punkto weibliche Abgeordnete besonders schlecht da im Bundestag, übertroffen nur noch von der Union und der AfD.
Suding: Ich sage es gerne noch mal. Ich möchte die Strukturen in der Parteiarbeit so ändern, dass die vielen guten Frauen, die wir haben und die auch Lust auf Politik haben, dass die auch sagen: Ja, das ist etwas, was ich machen möchte, das ist ein gangbarer Weg für mich und den gehe ich jetzt auch. Diese Strukturen möchte ich schaffen.
Armbrüster: Woran werden die gehindert?
Suding: Beispielsweise, was ich eben sagte, durch viele nächtliche Sitzungen, durch unstrukturierte Parteiarbeit, dadurch, dass sie vielleicht auch nicht genug angesprochen werden. Frauen brauchen eine Ansprache, die Männer vielleicht nicht so sehr brauchen. Das sind alles Strukturen. Wenn man die beachtet – in Hamburg funktioniert das übrigens ganz gut, in dem Landesverband, aus dem ich komme -, dann haben wir auch Frauen in den Positionen. In Hamburg haben wir eine Landesvorsitzende, in Hamburg haben wir Frauen an der Spitze der Bürgerschaftsfraktion. Das funktioniert, wenn man sich da ein bisschen Mühe gibt. Dieser Weg, der ist mühevoll, aber ich glaube, das ist der richtige Weg, weil er wie gesagt an die Ursachen herangeht und nicht nur die Symptome bekämpft.
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