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Südafrika
Die Gangs von Kapstadt

Die Gewaltkriminalität in Südafrika hat bürgerkriegsähnliche Ausmaße – alle 26 Minuten wird laut Polizeistatistik ein Mord verübt. Besonders betroffen sind Menschen in den Armutsvierteln von Kapstadt. Aufklärungs- und Präventivprogramme sollen nun beim Kampf gegen die Gewalt helfen.

Von Leonie March |
Der Museumsgründer und die beiden Ex-Gangster vor dem Museums-Container im Towhnship Khayelitsha
Rehabilitierte Gangster führen Besucher durch den Museums-Container im Township Khayelitsha (Deutschlandradio/ Leonie March)
Willkommen im "18 Gangster Museum", sagt Samkelwe Vuza. Lässig steht er vor dem Schiffscontainer, in dem das kleine Museum untergebracht ist. Mitten in Khayelitsha, einem Township am Rand von Kapstadt. Hier ist der 33-Jährige aufgewachsen.
"Als Junge wollte ich so werden wie mein älterer Bruder. Der kam an den Wochenenden mit schicken Autos vorgefahren. Er und seine Freunde hatten immer viel Spaß, viel Geld und scheinbar keine Probleme. Später habe ich erfahren, dass er einer Gang angehörte. Was das wirklich bedeutet, ist mir erst klargeworden, als ich selbst schon mitten drin steckte. Mein Bruder wurde von einer rivalisierenden Gang erschossen und ich habe wegen Mordes im Gefängnis gesessen."
Während Samkelwe das erzählt, verzieht er keine Miene. Offen über seine kriminelle Vergangenheit zu sprechen, ist Teil seines neuen Jobs. Rehabilitierte Gangster wie er führen Besucher durch den Museums-Container: Touristen, durch deren Eintrittsgelder sich das Projekt finanziert und Schulkinder aus den Townships, erzählt Wandisile Nqeketho, der dieses Museum gegründet hat.
"Wir bringen jungen Leuten bei, welche Konsequenzen es hat, sich einer Gang anzuschließen. Ex-Häftlinge erzählen aus ihrer eigenen Erfahrung. Das hat größere Wirkung, als wenn ich das tun würde. Mein Halbbruder war zwar ein berüchtigter Gangster, aber er hat mich vor diesem Leben gewarnt. Meine Familie hat mich immer unterstützt und gefördert. Im Gegensatz zu vielen anderen hier, hatte ich also Alternativen, die mich davor bewahrt haben, falsche Entscheidungen zu fällen."
Kinder als leichte Beute
Wandisile schaut vom Innenhof seines Museums auf die Straße. Ein paar Kinder rennen an den kleinen Steinhäuschen und Blechbuden vorbei. Armut und Arbeitslosigkeit, Gewalt und zerrüttete Familien bestimmen hier den Alltag. Spielplätze oder andere Freizeitangebote gibt es kaum. Deshalb verbringen Kinder und Jugendliche viel Zeit auf der Straße. Sie sind leichte Beute für die Gangs, meint Wandisile. Daran werde auch die vor einem halben Jahr von der Regierung gegründete Spezialeinheit nichts ändern.
"Die Anti-Gang-Einheit beschäftigt sich nicht mit den Ursachen des Problems: Den verheerenden Lebensbedingungen der Menschen hier. Sie brauchen unter anderem Jobs und Bildung. Stattdessen schickt die Regierung bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheiten und steckt Kriminelle in mangelhafte Gefängnisse. Dort werden sie nicht rehabilitiert, sondern entwickeln sich erst Recht zu Hardcore-Gangstern. Sie richten also noch mehr Schaden an und rekrutieren noch mehr junge Leute."
Auch davon berichten die Ex-Gangster. Eine Hälfte des Schiffscontainers ist wie eine Gefängniszelle eingerichtet. Dort sitzt der wegen Einbruchs, Raubüberfällen und Drogenhandels verurteilte Siyabonga Tosele auf dem Etagenbett.
Samkelwe Vuza in der nachgestellten Gefängniszelle des 18 Gangster Museums
Samkelwe Vuza in der nachgestellten Gefängniszelle des 18 Gangster Museums (Deutschlandradio/ Leonie March)
"23 Stunden verbringt man in der Zelle, nur eine Stunde darf man raus und dann gibt es noch die Besuchszeit. Zweimal am Tag gibt es Essen. Die Zellen sind vollkommen überfüllt. In meiner waren wir 65 Insassen. Mächtige Gangs bestimmen, was hinter Gittern passiert. Wer sich keiner anschließt, wird wie ein Sklave misshandelt und muss auf dem Boden schlafen. Wer ein Bett will muss der Gang beweisen, dass er es auch verdient hat. Ich bin deshalb Mitglied der "28s" geworden."
Geheimnisse der Gangs
28, 27, 26 – das sind die berüchtigten Gefängnis-Gangs in Südafrika, deren Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Sie sind militärisch organisiert, neue Mitglieder durchlaufen geheimnisumwobene Initiationsrituale und werden mit Tätowierungen regelrecht gebrandmarkt. Es sei nicht leicht für sie, danach ein normales Leben zu beginnen, sagt Wandisile Nqeketho. Das Museums-Projekt solle ihnen dabei helfen.
"Sie hatten vorher nie ein Forum, in dem sie erzählen konnten, was sie erlebt haben. Das hier ist wie eine Therapie für sie. Außerdem finden sie durch die Arbeit mit den Kindern einen Sinn und eine Aufgabe. Sie spielen Fußball und malen mit ihnen. Das trägt dazu bei, dass diese Kinder widerstandsfähiger werden."
Was die Gangs dazu sagen, dass das Museum ihnen den Nachwuchs streitig macht? Wandisile winkt ab.
"Sie haben sich uns nie in den Weg gestellt. Einige Gang-Mitglieder finden unsere Initiative sogar cool. Sie haben selbst Kinder oder jüngere Geschwister, für die sie sich ein besseres Leben wünschen. Auch wenn sie schizophrenerweise weiterhin andere Jugendliche rekrutieren. Vorsichtig müssen wir nur mit bestimmten Informationen umgehen. Die Gangs haben viele Geheimnisse, über die wir nicht öffentlich reden können. Wir müssen also Schritt für Schritt vorgehen. Dies ist nur der erste."