"Wir leben wie Schweine im Schweinestall!", sagt Thabang Wesi aus Bekkersdal, einem Township südwestlich von Johannesburg. Er stapft über eine illegale Müllkippe. Viele Bewohner von Bekkersdal leben in Blechhütten. Bis zu sechs Familien teilen sich ein Plumpsklo. Wasser gibt es nur von einem Gemeinschaftshahn. Und Strom haben sie nur, wenn sie ihn irgendwo illegal anzapfen. "Seit 20 Jahren schicken wir Bittbriefe und politische Vorschläge an die Gemeinde. Aber es hat sich nichts getan. In diesem Township hat sich nichts zum Besseren gewandelt."
30 Kilometer von Bekkersdal entfernt. Nokubonga Kumenga sitzt in ihrem kleinen schmucken Häuschen vor dem Fernseher und schaut ihre Lieblingssoap, IsiBaya. Das Haus haben Nokubonga und ihre fünf Kinder von der Regierung bekommen. Im Rahmen des RDP, des Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramms, welches vor 20 Jahren von der Regierung Mandelas gestartet wurde.
"Wir haben uns wahnsinnig gefreut, weil wir davor mehrere Jahre in einer Blechhütte gewohnt hatten. Da ist überall Wasser reingelaufen, wir hatten Probleme mit Ratten. Im Haus ist es deutlich angenehmer. Wir haben jetzt ein viel besseres Leben."
Zwei Menschen, die stellvertretend für viele Millionen Südafrikaner stehen. Ihre Geschichten beschreiben Fortschritt und Stillstand, die das Land in den letzten 20 Jahren erlebt hat.
Arbeitslosigkeit bei 40 Prozent
Vieles ist besser geworden in Südafrika: 300 Jahre Unterdrückung durch die weiße Minderheit sind Geschichte, die Menschen sind frei. Eine komplette schwarze Mittelschicht ist entstanden. Anders als damals nutzen schwarze und weiße Menschen die gleichen Busse, studieren in den gleichen Universitäten, gehen in die gleichen Bars und Restaurants. Die Regierung hat rund drei Millionen Häuser gebaut. Deutlich mehr Südafrikaner haben jetzt Zugang zu Wasser, Strom, Bildung und Gesundheitsversorgung. Frans Cronje vom angesehenen Südafrikanischen Institut für Rassenbeziehungen sagt: Südafrika ist ein viel besserer Ort als vor 20 Jahren. Aber auch ein Ort mit großen sozialen und wirtschaftlichen Problemen.
"Das größte ist die Arbeitslosigkeit, die bei rund 40 Prozent liegt. Bei jungen schwarzen Menschen sogar über 50 Prozent. Unser Bildungssystem gehört laut dem Weltwirtschaftsforum zu den schlechtesten der Welt. Das Wirtschaftswachstum ist zu niedrig. Wir ziehen zu wenige Investoren aus dem Ausland an. Die Kriminalität ist immer noch sehr hoch. Keine Frage: Südafrika ist ein besserer Ort, aber es ist noch weit von dem entfernt, wo es sein könnte."
Auch in der Gesellschaft muss sich noch einiges tun, meint die Schriftstellerin Lebogang Mashile. Nelson Mandelas Vision der Regenbogennation sei noch längst nicht Realität.
"In Augenblicken großer Trauer oder großer Hoffnung erwacht die Regenbogennation zum Leben. So wie bei der Wahl 1994, so wie während der Fußball-WM 2010, so wie beim Tod Nelson Mandelas. Dann sieht man diesen Traum aufflackern. Aber im Alltag? Nein, da ist es noch immer mehr ein Ideal. Ich denke es dauert Generationen, bis die Psyche einer Nation sich verändert."
Aber Mashile ist sich sicher: Südafrika ist auf einem guten Weg. Alleine die Tatsache, dass all die Probleme auf dem Tisch lägen. Dass sie diskutiert würden. Das zeige: das Land sei noch eine Baustelle. Aber es arbeite an einer besseren Zukunft. Auch die Machthaber spüren das. Jetzt, kurz vor den Wahlen am 7. Mai, wächst die Kritik an der allmächtigen Regierungspartei ANC und an Präsident Jacob Zuma. Sie hätten nicht mehr das Wohl der Bevölkerung im Blick. Sondern vor allem das eigene.
Skandale in der ANC
Zwei Skandale machen dem ANC gerade ziemliche Probleme: Präsident Zuma hat sein Privathaus für mehr als 15 Millionen Euro Steuergeld ausbauen lassen. Und tut so, als habe er damit nichts zu tun. Auch das blutige Massaker von Marikana ist noch lange nicht abgehakt. Vor anderthalb Jahren hat die Polizei 34 streikende Minenarbeiter erschossen. Bis heute ist niemand dafür zur Verantwortung gezogen worden.
Viele langjährige ANC-Mitglieder verlassen frustriert die Partei. Verdiente Freiheitskämpfer rufen die Südafrikaner öffentlich auf, eine andere Partei zu wählen. Aber Zuma und Co. wissen: Sie können sich auf die Treue der Südafrikaner verlassen und werden auch diese Wahl deutlich gewinnen. Für Frans Cronje vom Institut für Rassenbeziehungen ist all das kein Grund, die Hoffnung zu verlieren.
"Schauen Sie: Südafrika ist es schon deutlich schlechter gegangen. Denken Sie an die letzten Jahre der Apartheid. Wie haben uns davon erholt, insofern bin ich optimistisch. Unsere Vorhersage ist: der ANC wird zu spät merken, dass er an Rückhalt verliert. Er wird innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Wahl verlieren. Und eine Koalition aus Oppositionsparteien wird Südafrika regieren. Mancher Beobachter mag das utopisch finden. Aber zumindest bei den jüngeren Wählern ist der ANC längst nicht mehr alternativlos. Die sogenannte Born-Free-Generation, also die Südafrikaner, die nach dem Ende der Apartheid geboren sind, interessieren sich nicht mehr für die alten Heldengeschichten des Befreiungskampfes. Sie wollen Jobs, Ausbildung, Perspektiven. Und sie schauen sich die Programme anderer Parteien an, wie diese beiden Jungen aus Soshanguve, einem Township in der Nähe der Hauptstadt Pretoria. Sie sind Anfang 20 und arbeitslos, wie so viele hier."
"Ich glaube, der ANC hat nicht mehr die richtigen Antworten für die Menschen hier. Er hat viel versprochen und wenig gehalten. Wir sind alle enttäuscht. Vielleicht sollten wir mal die Democratic Alliance wählen. Vielleicht können die hier etwas verändern."
20 Jahre demokratisches Südafrika. Für viele Millionen Südafrikaner ein Grund zum Feiern. Für sie hat sich das Leben deutlich verbessert. Aber für mindestens ebenso viele ist das Leben nicht besser geworden. Sie leben noch immer in Armut, ohne Perspektiven, ohne die Errungenschaften des Fortschritts. Jay Naidoo ist ein Weggefährte Nelson Mandelas, Ex-Minister, langjähriges ANC-Mitglied und ziemlich kritisch gegenüber der aktuellen Führung. Er bringt die Stimmung im Land in einem Blog-Artikel auf den Punkt:
20 Jahre Demokratie seien ein Meilenstein, eine Reise aus der Dunkelheit des Autoritarismus in das Licht der Demokratie. Allerdings sei offenbar niemand so richtig in Partystimmung. Die Machthaber hätten die Menschen im Stich gelassen. Naidoos Aufruf an alle: Die Südafrikaner sollten feiern und in den Straßen tanzen. Und dann gemeinsam als Bürger für ein Ziel kämpfen: Ein vernünftiges Leben für alle im Land.