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Südafrika
Ungleichheit und Armut sind geblieben

Soziale Ungleichheit, Korruption und die Mängel des Bildungssystems in Südafrika fallen nach der Trauerfeier für Nelson Mandela wieder in den Blick. Es fehlt jemand in dem Land, der zwischen den unterschiedlichen Kräften vermitteln kann, erklärt die Afrika-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung, Renate Tenbusch.

Peter Kapern im Gespräch mit Renate Tenbusch |
    Das Bild zeigt eine südafrikanische Armensiedlung, an deren Rand eine Reihe von Toilettenhäuschen stehen
    Armut und wirtschaftliche Ungleichheit sind weiter ein großes Problem in Südafrika (Jörg Poppendieck)
    Dirk Müller: Hunderttausende, Millionen vor den Bildschirmen haben teilgenommen, haben mitgetrauert gestern, der große Abschied von Nelson Mandela. Auch die nominell Großen der Politik, der Eliten haben sich den Feierlichkeiten in Südafrika angeschlossen, allen voran Barack Obama. Nelson Mandela wird nun in Pretoria aufgebahrt.
    Mein Kollege Peter Kapern hat darüber mit der Afrika-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung gesprochen, Renate Tenbusch. Seine erste Frage: Ist Südafrika immer noch ein geteiltes Land?
    Renate Tenbusch: Sie haben das große Problem angesprochen, das das Land hier gerade einfach zu bewältigen hat, und das ist natürlich diese große Ungleichheit und die große Armut, von der Sie gerade gesprochen haben, von der natürlich immer noch die schwarze Mehrheit der Bevölkerung am meisten betroffen ist. Die politische Transformation hat im Großen stattgefunden, es ist ein demokratisches System etabliert worden, es haben viele freie und faire Wahlen stattgefunden, nächstes Jahr haben wir wieder Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vor uns. Ja, wir haben eine dominante Partei, die seitdem regiert in der Allianz mit dem Gewerkschafts-Dachverband und der kommunistischen Partei Südafrikas. Dennoch: das war auch der Wille der Mehrheit, der sich darin immer wieder ausgedrückt hat. Die Wahlen waren frei und fair. Politische Transformation hat stattgefunden, ökonomische Transformation in dem Sinne nicht. Die Armut ist groß, die Ungleichheit ist groß, die Arbeitslosigkeit ist groß, vor allen Dingen unter Jugendlichen und natürlich auch Frauen, und dieses Problem ist bisher nicht bewältigt.
    Peter Kapern: Ist das der Grund dafür, dass Südafrikas Präsident Jacob Zuma heute ausgebuht und ausgepfiffen wurde, als er in das Stadion von Soweto kam?
    Tenbusch: Erstens mal haben sich mit Zuma große Hoffnungen verbunden. Als er ins Amt gehoben wurde 2009, wurde er vor allen Dingen genau von diesen Menschen gewählt, die große Hoffnungen in Präsident Zuma gesetzt hatten, dass er jetzt derjenige ist, der auch diese wirtschaftliche Transformation für sie verwirklicht: Zugang zu Bildung, Zugang zu Jobs, zu Einkommen, alles was damit zusammenhängt. In seiner Amtszeit hat sich aber leider Gottes für alle diejenigen, die diese Hoffnungen in ihn gesetzt haben, gezeigt, dass die Selbstbereicherung in Form von Korruption in der Führung durch Zuma sowohl in der Regierung als auch in der ANC, also der Partei Nelson Mandelas, gelinde gesagt, viel zu wünschen übrig lässt und für diese Menschen einfach eine riesengroße Enttäuschung ist. Da ist eine Menge Vertrauen verloren gegangen und ich denke, das hat sich heute ausgedrückt in diesen Buhrufen im Stadion.
    Kapern: Frau Tenbusch, warum erscheinen Mandelas Nachfolger allesamt im Vergleich zu ihm wie politische Versager? Sind sie wirklich so schlecht, oder ist die Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, einfach zu groß?
    Fröhlich tanzende Südafrikaner nehmen Abschied vom verstorbenen Ex-Präsidenten Nelson Mandela
    Die Südafrikaner nehmen Abschied von ihrem Nationalhelden (dpa / picture alliance / Kim Ludbrook)
    Da ist viel vernachlässigt worden
    Tenbusch: Ich glaube, der zweite Teil ist sicherlich sehr richtig. Diese Aufgabe ist riesengroß. Während Subsahara-Afrika gerade einen Boom erlebt, hinkt eigentlich Südafrika hinterher mit einem sehr niedrigen Wachstum. Da sind riesige Probleme, die zu bewältigen sind. Aber ja: auch Mbeki hatte andere Probleme. Er hat sich natürlich sehr stark auf Afrika als solches, als Kontinent konzentriert und hat sicherlich teilweise die innenpolitischen Schwierigkeiten vernachlässigt, viele andere Dinge auch, Bildung vor allen Dingen. Bildung ist hier das riesengroße Thema, ist groß vernachlässigt worden, sowohl unter Mbeki und jetzt auch wieder unter Zuma. Da sind große Investitionen nötig, die zum Teil auch getätigt werden. Das Problem ist: es gibt hier ganz viele Strategien. Es gibt die Ideen, es gibt die Analyse, man weiß ganz genau, wo die Probleme liegen. Das Problem ist die Umsetzung, die Implementierung. Die Administration, die Verwaltung hat ein Riesendefizit. Es fehlt an Kapazitäten, es fehlt an der Fähigkeit, wirklich auf kommunaler Ebene, auf der städtischen Ebene, aber auch auf der nationalen Ebene diese Programme effektiv umzusetzen. Korruption spielt eine riesengroße Rolle. Der ANC hat viele Positionen auch in der Verwaltung besetzt mit politischen loyalen Kräften, die aber nicht die Fähigkeit haben, dann auch wirklich diese verwaltungstechnische Aufgabe zu übernehmen. Ein riesengroßes Problem, das nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Dazu muss man auch sagen, das ist sicherlich ein wichtiges Problem: Es bräuchte jemanden, der moderiert wie Nelson Mandela, der einzigartig dazu in der Lage war, die unterschiedlichen – hier wird immer Stakeholder gesagt; wir reden über Wirtschaft, wir reden über die Gewerkschaften und wir reden über die Zivilgesellschaft und wir reden über die politische Elite -, die wieder an einen Tisch zu bringen. Sie müssten gemeinsam an einem Strang ziehen. Dazu fehlt aber zurzeit komplett das Vertrauen. Großer Antagonismus, großes Misstrauen spielt hier eine Rolle. Eine Führungskraft, wie Nelson Mandela die hatte, wäre da vonnöten, um, was wir sagen würden, diesen social compact zustande zu bringen, der nötig wäre, um diese Probleme wirklich zu beheben.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Renate Tenbusch, Afrika-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kapstadt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.