Jun Hee Kyung kann die Aufregung gar nicht verstehen. Die 42-jährige Abgeordnete sitzt in ihrem aufgeräumten Büro und wundert sich:
"Schon jetzt lernen doch alle Schüler die gleiche Geschichte. Aber es gibt Variationen, und wir wollen, dass das alles besser geordnet ist. Die guten und schlechten Aspekte unserer Geschichte müssen besser ausgewogen sein."
Ganz so harmlos ist es wohl nicht. Sonst würden nicht Historiker und Lehrerverbände seit Monaten gegen die sogenannte Vereinheitlichung der Schulbücher Sturm laufen. Yi Mahn-yol, Direktor des 'Nationalen Instituts für Koreanische Geschichte', erklärt:
"Zur Zeit gibt es acht Geschichtsbücher für die Mittel- und Oberschulen. Eins davon stammt von der Regierung, die anderen von freien Verlagen. Das Regierungsbuch ist so fehlerhaft, dass es nur an einer einzigen Schule in ganz Korea benutzt wird. Das sind weniger als 0,01 Prozent der Schulen! Offenbar sind sie jetzt entschlossen, alle anderen zu verbieten, damit aus 0,01 100 Prozent werden."
62 Prozent der Bevölkerung gegen die Vereinheitlichung des Unterrichts
Der emeritierte Professor ist nicht allein mit seiner Empörung. Umfragen zufolge waren 62 Prozent der Bevölkerung dagegen, Südkoreas Schulbücher für Geschichte von Staats wegen zu vereinheitlichen. Nachdem 2.700 Historiker und Geschichtslehrer eine Protest-Petition veröffentlicht hatten, stieg die Ablehnung sogar auf mehr als 90 Prozent. Stimmen auf der Straße:
"Ich finde es gefährlich, wenn alle dasselbe lernen. Das könnte dazu führen, dass Ereignisse, die die Regierung verstecken möchte, gar nicht mehr gelehrt werden. Wenn alle Lehrer dasselbe unterrichten, wäre das falsch."
"Ich bin dagegen, die Geschichte gleichzuschalten. Es muss unterschiedliche Meinungen geben. Ich habe den Verdacht, dass die Regierung ihr Bild von der Geschichte vermitteln will. Auch wenn sie das nicht sagt, ist es doch das, was viele Leute denken.
Den Kindern "die richtige Sichtweise beibringen"
Die Abgeordnete Jun Hee Kyung, die das Schulbuchgesetz bereits durchs Parlament geboxt hat, hält das Projekt dagegen für eine patriotische Pflicht:
"Zum Beispiel der Korea-Krieg. Da muss den Schülern klargemacht werden, dass die Verantwortung für den Krieg eindeutig bei Nordkorea lag. Das wird bisher nicht ausreichend betont. Wir müssen unseren Kindern die richtige Sichtweise beibringen. Da wird viel über Frieden geredet. Aber wenn wir uns nur auf den Frieden konzentrieren, dann gefährden wir die Sicherheit unseres Landes. Nordkorea ist nun mal nicht friedlich."
Beim Begriff der "richtigen Sichtweise" platzt dem Historiker Yi Mahn-yol der Kragen.
Die Schüler demokratisch erziehen und nicht ideologisch
"Nein, wir können Nordkorea nicht besiegen, indem wir dessen Methoden anwenden! Wir müssen die Schüler demokratisch erziehen, nicht ideologisch. Frau Jun ist eine klassische Ideologin. Was Nordkorea anbelangt, versucht sie, Hass zu schüren. Zur Demokratie gehören nun mal Vielfalt und Kreativität. Wo der Geschichtsunterricht gleichgeschaltet ist, kann keine Demokratie entstehen."
Die Abgeordnete Jun moniert, sie wünsche sich eine andere, eine positive Wahrnehmung der südkoreanischen Vergangenheit:
"Wir haben eine Geschichte, in der sich Wirtschaft und Demokratie parallel entwickelt haben. Es wäre falsch, die Erfolge unserer Väter zu verachten. Park Chung-Hee als Diktator ist nicht wichtig. Wichtig sind die Industrialisierung und der wirtschaftliche Aufschwung, die Korea durch ihn erlebt hat. und das sollen die Kinder lernen. Deswegen sind die Schulbücher auch nur der Anfang. Wir werden uns die Bücher der Privatschulen vornehmen, die Internetseiten, die Eingangstests für die Universitäten, und wir werden dafür sorgen, dass Geschichte zum Pflichtfach erklärt und nur noch die wahre Geschichte gelehrt wird."