Neu-Kaledonien ist für südpazifische Verhältnisse eine große Insel. 300 Kilometer lang und 100 Kilometer breit. Auf ihr lebt die Neu-Kaledonische Krähe, ein Vogel, der den Biologen Christian Rutz von der Universität St. Andrews in Schottland fasziniert.
Seine ganze restliche Karriere wird er wohl diesen Vögeln widmen, sagt er. Und das hat gute Gründe. Die Tiere stellen nämlich ihr eigenes Werkzeug her.
Christian Rutz will wissen, warum gerade diese Krähen, solche Fähigkeiten entwickelten, und andere nicht. Er vermutete dass es auf dieser Insel Umweltfaktoren geben müsste, die Einfallsreichtum evolutionär belohnen. Zunächst probierte er also aus, ob die Krähen von Geburt an, besonders geschickte Werkzeugmacher sind, die Fertigkeiten also angeboren sind. Dafür zog er Krähenküken in Gefangenschaft auf. Und tatsächlich: Die Tiere fingen von sich aus an, mit Stöcken und Blattstückchen zu hantieren.
"Spannend dabei war aber, dass sie von sich aus nur die Grundlagen der Werkzeugtechnik beherrschen. Die kleinen, feinen Tricks müssen sie erst lernen: Entweder, indem sie selbst lange herumprobieren, oder indem sie sich das von anderen Krähen abschauen."
Zusammenarbeit am Baumstamm
Soziale Interaktion ist also der Schlüssel. Christian Rutz stattete deshalb bei seinem letzten Besuch auf Neu-Kaledonien 33 Krähen für knapp drei Wochen mit kleinen Peil-Sendern aus. Das Besondere an den Sendern war, dass sie nicht nur aufzeichneten, wo sich eine Krähe befand, sondern auch, ob eine andere Krähe gerade in ihre Nähe war.
"So konnten wir uns Tag für Tag anschauen, wie sich das soziale Netzwerk der Tiere entwickelt. Nach einiger Zeit haben wir dann ausprobiert, was passiert, wenn wir ihnen eine Gelegenheit bieten, bei der sich der Gebrauch von Werkzeug besonders lohnt. Dafür legten wir einen dicken Baumstamm in den Wald, in dem sich gerade dicke, schmackhafte Käferlarven entwickelten. Die Frage war, ob sich die sozialen Interaktionen dadurch verändern würden."
Und das taten sie. Die Krähen sammelten sich in Scharen um den Baumstamm. Dabei duldeten sich selbst fremde Krähen direkt nebeneinander. Ein für Tiere eher ungewöhnliches Verhalten.
"Oft ist es ja genau anders herum, dass Tiere eine attraktive Nahrungsquelle besonders vehement gegen Eindringlinge verteidigen. Das hätte genauso gut sein können, dass das ortsansässige Krähenpärchen nur sich und seinen Nachwuchs und niemanden sonst an den Stamm mit den Larven heranlässt."
Von der Konkurrenz lernen
Doch die Tiere stochern friedlich nebeneinander in den Löchern im Holz. Dabei begegneten sich auch Tiere, die sonst nie miteinander zu tun hatten. Die Extra-Portion Käferlarven sorgte also dafür, dass die Chancen von anderen Neues zu lernen sprunghaft stiegen. Anders gesagt: Indem die Krähen auch Fremde dulden, gewinnen sie mehr als sie verlieren, denn sie schaffen sich die Gelegenheit, von der Konkurrenz zu lernen. Dieses Verhalten könnte, meint Christian Rutz, einer der Faktoren sein, der aus diesen Krähen im Laufe der Evolution besonders schlaue Exemplare hat werden lassen.