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Südseeboote in Berlin
Teil der Identität der Kulturen im Pazifik

Im Humboldt-Forum sollen die Südseeboote des Ethnologischen Museums Dahlem einmal einen prominenten Platz einnehmen. Dort sollten sie auf die Bedeutung des Meeres verweisen, sagte die Kuratorin der Südsee-Sammlung, Dorothea Deterts, im DLF. Es gehe um das Meer als Identitätsstifter, Verkehrs- und Kommunikationsweg.

Dorothea Deterts im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung der neuen Bootshalle mit Schaudepot, Ethnologisches Museum
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung der neuen Bootshalle. (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, Ausstellungsgestaltung: Ralph Appelbaum Associates / malsyteufel)
    Maja Ellmenreich: Wer zu Besuch in Köln ist und das obligatorische Touristenprogramm bereits absolviert hat, Dom, Bötchenfahrt auf dem Rhein, Brauhaus und die Museen in und am Rande der Altstadt, den führt sein Weg ja vielleicht zum Rautenstrauch-Joest-Museum am Kölner Neumarkt. Gleich im Foyer des ethnologischen Museums wird der Besucher quasi begrüßt vom größten Exponat der Sammlung, von einem mehrfamilienhaushohen und prachtvoll dekorierten Reisspeicher aus Indonesien. Dieses Gebäude im Gebäude ist so etwas wie das Wahrzeichen des Rautenstrauch-Joest-Museums, steht der Rundgang durch die Ausstellung doch unter der Überschrift „Der Mensch in seinen Welten“.
    Auch im Humboldt-Forum, das in vier Jahren im wiederaufgebauten Stadtschloss in Berlin beheimatet sein wird und dem wir in "Kultur heute" in diesen Wochen unsere Sommerreihe widmen, auch dort sollen einzelne Exponate an ganz prominenter Stelle präsentiert werden. Die berühmten Südseeboote aus dem Ethnologischen Museum in Dahlem, ihnen wird dieses Privileg zuteilwerden. Deshalb meine Frage nach Berlin an die Südsee-Kuratorin des Museums, an Dorothea Deterts: Wo genau werden die Südseeboote zu sehen sein in dem Bau von Franco Stella?
    Dorothea Deterts: Ja, das wird ein Raum von vier Räumen zu Ozeanien sein, und sie müssen es sich vorstellen: Das ist ein Raum mit 500 Quadratmetern Fläche, geht über zwei Geschosse, und dort werden wir sechs Boote in Originalgröße und etwa 50 Bootsmodelle zeigen.
    Ausleger- und Doppelrumpfboote
    Ellmenreich: Wenn Sie sagen Originalgröße, dann frage ich gleich: Sind es auch Originale, oder sind es Nachbauten?
    Deterts: Fünf sind Originale und ein Boot ist eine Rekonstruktion.
    Ellmenreich: Wir sprechen so selbstverständlich von diesen Südseebooten. Was genau sind das für Boote?
    Deterts: Es sind insgesamt sechs Boote. Fünf sind Auslegerboote, ein Boot ist ein Doppelrumpfboot - das ist auch die Rekonstruktion - und sind alles Boote aus ganz verschiedenen Inselgruppen Ozeaniens, also aus polynesischen und mikronesischen Inseln, das heißt aus dem Osten beziehungsweise Nordwesten des Pazifiks.
    Ellmenreich: Wenn diese Boote aus den unterschiedlichen Teilen kommen, sind es auch ganz unterschiedliche Bauweisen oder Benutzungsweisen. Was unterscheidet die beziehungsweise was eint diese Boote?
    Deterts: Ja, es sind zum einen Auslegerboote. Das heißt, Sie müssen sich vorstellen: Ein Auslegerboot, das ist ein Einbaum, also ein ausgehöhlter Baumstamm, und an den Längsseiten haben Sie dann Planken in mehreren Reihen befestigt. Wenn ich sage befestigt, dann meine ich gebunden. Das heißt, es wurde mit Kokosfaser-Schnüren und mit Lianen gebunden, weil nämlich diese hochseetüchtigen Boote alle ohne einen einzigen Nagel gebaut wurden. Dann haben Sie die Seiten und an einer Seite des Bootskörpers ist dann ein Schwimmer, ein sogenannter Ausleger als Gegengewicht mit Stangen befestigt, damit das Boot stabil bleibt und nicht kentert. Das ist ein Auslegerboot. Doppelrumpfboote müssen Sie sich vorstellen: Der Ausleger ist dann gegen einen zweiten Rumpf ersetzt worden.
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung des Bereichs Amazonien, Ethnologisches Museum
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung des Bereichs Amazonien, Ethnologisches Museum (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, Ausstellungsgestaltung: Ralph Appelbaum Associates / malsyteufel)
    Ellmenreich: Okay. Und es sind Segelboote?
    Deterts: Es sind Segelboote, ja.
    Ellmenreich: Aus welcher Zeit stammen diese Boote?
    Deterts: Das ist ganz unterschiedlich. Drei sind so Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und drei in den 1950er-, 1960er-Jahren.
    Boote für die Besiedlung der Inseln
    Ellmenreich: Wie sind die nach Berlin gekommen ins Ethnologische Museum?
    Deterts: Auch ganz unterschiedlich. Die meisten wurden angekauft. Ein Boot, das größte unserer Boote, von der Insel Luf. Das ist eine Insel, die heute zum Staat Papua-Neuguinea zählt. Das ist angekauft worden und 1899 wurde es auf Luf gesehen in einem Bootshaus, konnte dort aber, weil es nur noch wenige Männer vor Ort gab, nicht mehr fortbewegt, geschweige denn gesegelt werden, und ist dann von einer deutschen Handelsgesellschaft, Hernsheim & Co, angekauft worden, dem Ethnologischen Museum in Berlin angeboten worden und dann 1904 nach Berlin gekommen.
    Ellmenreich: Nun ist davon die Rede, dass es sich um eine Neuinszenierung handeln wird im Humboldt-Forum. Welche Form der zeitgemäßen Präsentation wird dann dort angewandt?
    Deterts: Diese Boote, die allein schon wegen ihrer Größe nach wie vor beeindruckend sind, die werden aber noch in einen anderen Kontext gestellt, und zwar immer in den Kontext der Bedeutung des Meeres. Das heißt, wir möchten zeigen verschiedene Aspekte mit diesen Booten: Zum einen, dass das Meer nicht trennte, sondern die Inseln auch verbunden hat, dass es ein Verkehrsweg war, ein Kommunikationsweg, auch, dass es mehr identitätsstiftend war, früher bis heute, oder auch ein Nahrungslieferant, ein überlebenswichtiger Nahrungslieferant war.
    Ellmenreich: Das wäre jetzt meine Frage gewesen. Wofür wurden sie von ihren ursprünglichen Besitzern genutzt, diese Boote?
    Deterts: Auch da ganz unterschiedlich: Sei es zum Fischfang, sei es auf Handelsreisen oder auch Fernreisen für die Besiedlung. Unsere Rekonstruktion eines tongaischen Doppelrumpfbootes zum Beispiel, das ist ein Boot, was 1969 in Berlin gebaut wurde im Museum und zu der Zeit auch es keine Vorlage mehr gab. Aber die Vorfahren der Polynesier und Mikronesier, die haben mit solchen Booten den Pazifik ja erkundet und besiedelt, und Cook zum Beispiel hat 1777 auch noch solche Boote gesehen und mit Zeichnungen dokumentiert und aufgrund dieser Zeichnungen wurde dann das Boot in Dahlem rekonstruiert und gebaut.
    Das Meer hat mehr verbunden als getrennt
    Ellmenreich: Die Südseeboote sind heutzutage noch in Dahlem, eben noch nicht in Mitte, aber sind so etwas, um mit der Zoosprache zu sprechen, Publikumslieblinge, wenn ich das richtig verstehe.
    Deterts: Ja.
    Ellmenreich: Was macht die so faszinierend für die Besucher des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem?
    Deterts: Zum einen ist es einzigartig, dass man eine solche Anzahl und Vielfalt von Booten in einer Ausstellung bekommt, und das ist auch das Highlight, was wir auch im Humboldt-Forum genauso präsentieren möchten. Und es ist die Größt, aber auch alles, was dahinter steckt, an Geschichten und an sozialen Beziehungen, dass die Polynesier und Mikronesier den Pazifik mit diesen Booten besiedelt haben.
    Ellmenreich: Was lässt sich von ihnen lernen? Was lässt sich ablesen über das Leben im Südpazifik?
    Deterts: Was sehr eindrücklich ist, ist, dass man merkt, dass es eine europäische Sichtweise ist zu glauben, dass das Meer trennt, es aber viel stärker im Pazifik die Inselgruppen auch verbunden hat. Und wenn man näher hinguckt, dann sieht man auch, mit welchen sozialen Netzwerken dort operiert wurde, und wenn man auch nur Nachbarn besucht hat, andere Inseln erkundet hat, besiedelt hat oder Handelsfahrten stattfanden, wie weit dieses Netzwerk an Beziehungen überhaupt ging.
    Blick in das Foyer des Humboldtforums
    Blick in das Foyer des Humboldtforums (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Architekt: Franco Stella mit FS HUF PG)
    Ellmenreich: Verstehe ich Sie richtig, wenn ein weitaus angstfreierer und selbstverständlicherer Umgang mit dem Meer aus diesen Booten spricht?
    Deterts: Nein, das nicht ganz, weil ein Aspekt, den wir auch zeigen möchten, ist, dass es zwar zur Identität der Kulturen im Pazifik gehört, aber dass natürlich das Meer auch Gefahren birgt, ob das jetzt heute und früher eine Fahrt raus aufs offene Meer ist, was mit Gefahren verbunden ist, aber man heute auch die Gefahren des Klimawandels ansprechen wird, um zu zeigen, dass es auch mit solchen Gefahren verbunden ist.
    Ellmenreich: Wie wurde damals navigiert?
    Deterts: Damals ohne Instrumente, ohne Sextant und Kompass, wie wir es von Europäern her kennen, sondern allein durch die Beobachtung der Natur. Das heißt, die Seefahrer waren sehr vertraut mit dem Meer, hatten sehr viele Erfahrungen und kannten die Strömungen, kannten die Winde, konnten auch das Verhalten von Vögeln oder auch Wolkenbildungen so einschätzen, um zu sagen, wie weit noch eine Insel entfernt ist.
    Altes Wissen soll wiederbelebt werden
    Ellmenreich: Nun haben sich die Zeiten nicht nur bei uns geändert, sondern die Zeiten natürlich auch im Südpazifik geändert. Was für ein Interesse besteht denn in den Ursprungsländern, also in den Herkunftsländern dieser Boote heute noch an solchen Booten? Wissen Sie was darüber?
    Deterts: Ja. Man muss zum einen sagen, dass viele der selbstgebauten Boote durch Motorboote ersetzt wurden. Aber was jetzt zum Beispiel die hochseetüchtigen Boote anbelangt, da gibt es seit einigen Jahrzehnten eine Wiederbelebungsbewegung. Das heißt, man hat die Boote neu gebaut und die Navigationskenntnisse reaktiviert, um auch dieses Wissen wiederzubeleben, an zukünftige Generationen zu geben, aber auch, um mit diesen neugebauten Booten dann weite Reisen zu machen.
    Ellmenreich: Ich habe ja vorhin vom Reisspeicher im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum erzählt. Der besitzt einen großen Symbolwert für dieses Museum. Wie vergleichbar ist das mit Berlin? Wofür werden die Südseeboote, weil sie an dieser prominenten Stelle gleich am Eingang gezeigt werden, stehen?
    Deterts: Ein bisschen stehen sie für den Anfang. Sie stehen für die Besiedlung des ganzen Pazifiks. Sie schlagen den Bogen bis zum Heute, weil sie nämlich auch für diese Revitalisierungsbewegungen stehen und dafür, wie wichtig das Meer und die Boote den Pazifik-Insulanern sind und nicht nur den Herkunftsgesellschaften vor Ort, sondern auch im Hinblick auf eine übergreifende pazifische Identität.
    Ellmenreich: Nun hat sich ja das Humboldt-Forum zum Ziel gesetzt, dass ein zeitgemäßer Blick auf die Ausstellungsstücke geworfen wird, dass man den alten, ich sage mal, Kolonialherrenblick ablegt. Inwiefern sind die Boote politische Exponate, oder inwiefern zeigt man sie auf eine andere Art und Weise?
    Durch ein Loch in der Mauer ins Museum
    Deterts: Ja das ist genau das, was wir mit diesem Bogen bis in die Gegenwart machen möchten, zu zeigen, inwiefern diese Boote auch heute noch eine Rolle spielen - und es gibt einige dieser Gruppierungen, die die Boote neu bauen, vielleicht mit den alten Konstruktionen, aber mit neuen Materialien -, und inwiefern sie dann wichtig sind in der Identität.
    Ellmenreich: Noch sind die Boote in Dahlem. Sie müssen aber in vier Jahren nach Berlin-Mitte. Wie werden die transportiert? Der Seeweg ist ausgeschlossen?
    Ellmenreich: Ja, der ist ausgeschlossen. Das werden unsere Boote nicht überleben. Deshalb wird es einen Weg mit Tiefladern geben über die Straße und die Boote müssen für diesen Transport ja erst einmal zerlegt werden. Dann geht erst der Transport los in das zwölf Kilometer entfernte Humboldt-Forum und dort müssen sie durch ein Loch, was bis dahin in der Mauer, in der Wand freigehalten wurde. Das müssen Sie sich vorstellen: Das ist ein Loch in neun Meter Höhe und vier Meter breit und sechs Meter hoch. Dort werden die Boote mit einem Kran und einer Laufkatze erst in die Höhe und dann seitlich durch das Loch in den Bootssaal gehievt. Wenn alle Boote dann drin sind, das letzte Boot drin ist, dann wird dieses Loch auch wieder zugemauert und dann wird auch kein Boot mehr diesen Saal verlassen können.
    Ellmenreich: Vielen Dank an Dorothea Deterts, die Kuratorin der Südsee-Abteilung des Ethnologischen Museums in Berlin. Wir sprachen über die Südseeboote, die eines Tages im Humboldt-Forum in Berlin an prominenter Stelle zu sehen sein werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.