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Südsudan
Der schwere Prozess der ethnischen Aussöhnung

Ein blutiger Bürgerkrieg hat den Südsudan zurückgeworfen. Es gibt einen Waffenstillstand, aber gelöst sind die tief wurzelnden Rivalitäten zwischen den großen Ethnien im Land damit nicht. Und deshalb leiden die Zivilisten weiter.

Von Jesko Johannsen |
    In einem Flüchtlingscamp mit zahlreichen Zelten werden Wassertanks durch Soldaten befüllt.
    Südkoreanische Soldaten versorgen Flüchtlinge im Südsudan mit Wasser. (picture alliance / dpa / Yna)
    John Garbel sitzt neben einer Wasserstelle im Flüchtlingslager UN-House in Juba und wäscht seine Kleider. 15.000 Menschen leben hier inzwischen in selbst gebauten Zelten auf engstem Raum. Garbel ist vor den Kämpfen in der südsudanesischen Hauptstadt hierher geflüchtet. Als ethnischer Nuer fühlte er sich bedroht und glaubt nicht an einen schnellen Frieden.
    "Wir sind hier und wir bleiben hier bis die Rebellen nach Juba kommen, die Regierung stürzen und wir wieder nach Hause können. Aber derzeit können wir nicht rausgehen. Denn dann werden wir getötet."
    Das Flüchtlingslager ist längst eine Stadt in der Stadt. Es gibt Krankenhäuser und kleine Geschäfte. Zwei Jugendliche verkaufen Kaugummis und Getränke. Sie haben ihren Stand auf Pappkartons aufgebaut. Schatten spendet ein roter Regenschirm. Darauf steht ausgerechnet "Wählt Salva Kiir". Dabei hat der Machtkampf zwischen Südsudans Präsident Kiir und seinem politischen Gegner Riek Machar sie erst in dieses Lager getrieben.
    "There is no need for me to mention my name.”
    Der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, ist ebenfalls ein Binnenflüchtling. Er und zwölf andere Männer sitzen vor einem Zelt im Schatten. Sie sind so etwas wie der Ältestenrat des Flüchtlingslagers – und er ist ihr Sprecher. Viele Nuer in hochrangigen Positionen in Politik und bei der Regierungsarmee sind hierher geflohen. Auch die Männer, die hier zusammensitzen, gehören dazu. Für ihn ist die Ursache für den neuen Konflikt im Südsudan eindeutig: Er hat einen ethnischen Hintergrund.
    "Es gibt Massentötungen. Und wenn wir heute umgebracht werden, können wir nicht rausfinden, wer uns umgebracht hat. Wir sind alle hier eine ethnische Gruppe. Was bedeutet das?"
    Für ihn bedeutet das, dass Südsudans Präsident Kiir von der Volksgruppe der Dinka und sein entlassener Vertreter Machar von der Volksgruppe der Nuer einen ethnischen Konflikt austragen. In den Lagern für die Binnenflüchtlinge findet man meistens Nuer. Doch in vielen Landesteilen müssen auch Dinka vor Gräueltaten der Rebellen fliehen. Es gibt Berichte über Massentötungen, Plünderungen und Vergewaltigungen. In der Provinzhauptstadt Bor wurden Kranke in ihren Betten erschossen. Insgesamt mussten bislang 900.000 Menschen ihre Häuser verlassen und sind auf der Flucht. Fast 80.000 davon haben Schutz bei den Vereinten Nationen gesucht.
    So wie John Garbel, der seit fast zwei Monaten im Flüchtlingslager ist. Auch er ist als ethnischer Nuer geflohen. Der Konflikt, sagt er, sei tief in der Gesellschaft verwurzelt.
    "Das Kämpfen liegt den Dinka und Nuer im Blut. Der Streit hat nicht jetzt erst angefangen. Es gibt ihn schon seit langer Zeit."
    In Jubas Innenstadt ist von dem Konflikt nichts zu spüren. Längst herrscht hier wieder Alltag. Die Geschäfte sind geöffnet, Menschen gehen zur Arbeit, Zeitungen werden wieder gedruckt. Das knappe Benzin und die nächtliche Ausgangssperre sind die einzigen Indizien für eine Krise. Und so haben die Menschen hier auch eine andere Sicht der Dinge:
    - "Es ist kein ethnischer Konflikt, sondern ein politischer. Die, die was anderes sagen, haben Unrecht, auch weil wir die ethnische Trennung innerhalb der Bevölkerung nicht mögen. Wir sind eine Nation."
    - "Wenn man hier in die Stadt kommt, wird man sehen, dass Dinka und Nuer friedlich zusammenleben. Das ist zu 90, wenn nicht zu 100 Prozent ein politischer Konflikt."
    Das sieht auch Toby Lanzer, der Koordinator für die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen in Südsudan, nicht anders:
    "Ich glaube immer noch, dass es ein politischer Machtkampf ist – ein politischer Konflikt. Er hat ethnische Untertöne. Aber ich kann mehr Beispiele von Gemeinden geben, in denen die Menschen aufeinander aufpassen und zusammenarbeiten als andersherum."
    Im Flüchtlingslager will derzeit trotzdem kaum jemand an ein friedliches Zusammenleben glauben. Auch nicht Stephen Boang und seine Frau Stella. Sie haben hier inzwischen eine Schneiderei aufgemacht.
    "Wie sollen wir hier überleben ohne Unterstützung? Deswegen haben wir nach Mitteln und Wegen gesucht, um die Nähmaschine hierher zu bringen. Sie soll es uns ermöglichen, hier im Lager zu überleben."
    Stephen Boang ist Pastor. Jeden Sonntag betet er religionsübergreifend mit den anderen Flüchtlingen. Vielleicht hat er auch deshalb die Hoffnung auf einen friedlichen Südsudan noch nicht ganz aufgegeben.
    "Wenn es Frieden gibt, bringt uns das wieder zusammen. Besonders Dinka und Nuer. Es ist unser Land und wir alle leben zusammen in diesem Land. Niemand ist besser als der andere. Wir sind alle gleich."
    Die Älteren, die hier im Lager im Schatten zusammensitzen, wurden aus ihren hohen Ämtern in der Regierung oder bei der Regierungsarmee vertrieben. Trotzdem bauen sie auf Politik, Diplomatie und Verhandlungen.
    "Es wird verhandelt und die Menschen versuchen, sich zu versöhnen. Wir haben Vermittler wie die ostafrikanische Vermittlungskommission IGAD oder auch lokale Politiker. Die Menschen diskutieren intensiv und treten in einen Dialog. Wo liegen die Wurzeln für diesen Konflikt? Sie werden es rausfinden."
    Doch ohne politischen Willen wird ein dauerhafter Frieden im Südsudan kaum möglich sein, glaubt Toby Lanzer von den Vereinten Nationen.
    "Es ist eine schreckliche Menge Blut vergossen und Schmerz verspürt worden. Um eine stabile politische Versöhnung und ein echtes Fundament für eine Entwicklung dieses Landes zu erreichen, wird es einige Zeit brauchen. Es werden zumindest wichtige Signale sein, die die politischen Führer jetzt in den Friedensverhandlungen geben."