Ungefähr 30 Jahre ist es her, da war dieser Titel wochenlang in den Charts: "This night I can't stay on your side". Jetzt dudelt der alte Hit hinter einer zerrissenen Plastikplane hervor, die als Notunterkunft für eine Familie dient. Das niedrige provisorische Zelt – es ist nicht einmal hüfthoch - steht auf einem Friedhof in Juba, der Hauptstadt des Südsudan.
Zwischen den Gräbern wird gekocht und Wäsche getrocknet, Kinder spielen vor baufälligen Hütten, hier und da läuft ein Hund geduckt an den Töpfen vorbei, die auf offenen Feuerstellen stehen. Viele der einfachen Hütten haben noch nicht einmal eine Plastikplane als Dach. Stattdessen liegen Säcke oder Stofffetzen über den hölzernen Gerippen, die aber vor Sonne und Regen kaum schützen. Kinder spielen auf den Gräbern, nutzen die niedrigen Platten als Bank.
Auf einem der Gräber sitzt ein kleines Mädchen und weint. Es hat sich mit anderen Kindern gestritten. Neben der Kleinen die Inschrift: Maryla Ashetom, geboren 1910, gestorben am 16. Juni 1999.
Gräber, überall Gräber.
Jackson Nado Moga beschreibt mit seinem Arm einen weiten Bogen, zeigt über den Friedhof im Stadtviertel Konyo Konyo. Der 36-Jährige ist der Sprecher der Friedhofsbewohner, ein hagerer Mann in abgerissener Kleidung. Die Holzhütte, vor der er sitzt, steht halb auf einer Grabplatte. Natürlich lebe er nicht freiwillig hier, betont Moga.
"Ich bin vor der Gewalt während des Krieges geflohen, damals wurden viele Menschen getötet. Sogar kleine Kinder wurden umgebracht. Meine Eltern wurden beide ermordet, danach habe ich mich hier versteckt, weil unsere Feinde uns nicht bis auf den Friedhof verfolgten. Seitdem bin ich hier, weil ich keine andere Wahl habe. Ohne Geld und ohne Bildung, ich kann weder lesen noch schreiben. Deshalb habe ich im Leben keine Chance. Unsere Kinder müssen unbedingt etwas lernen."
Etwa 600 Kinder leben auf dem Hai-Malakal-Friedhof, glaubt Moga, aber genau wisse er das nicht. Auch die genaue Zahl der erwachsenen Friedhofsbewohner kennt nicht einmal er, obwohl er offiziell ihr Sprecher ist. Sie ist schwer zu schätzen, die niedrigen Hütten verschwinden förmlich zwischen dem hohen Gras. Hier und da wächst auch Mais, kleine Felder zwischen den Gräbern. Zerrissene Decken und zerlumpte Kleidung liegen zum Trocknen in der Sonne. Moga selbst haust seit fast 30 Jahren hier, seine Fluchtgeschichte datiert noch aus dem Krieg um die Unabhängigkeit vom Sudan.
Als der Süden im Juli 2011 ein eigener Staat wurde, feierten das die Menschen in Juba euphorisch. Auch Moga hoffte auf Frieden und ein besseres Leben. Vielleicht, so dachte er, könnte er den Friedhof bald verlassen. Aber:
"Über die Zeit seit der Unabhängigkeit kann ich nichts Gutes sagen. Und ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringen wird. Wir wären schon zufrieden, wenn wir genug zu Essen hätten und unsere Kinder etwas lernen würden. Das alles hat man uns für die Zeit nach der Unabhängigkeit versprochen, aber nichts davon ist wahr geworden. Die neue Regierung hat unser Land nur noch mehr zerstört."
Der Südsudan wirkt bettelarm, trotz der sechs Milliarden US-Dollar, die das Land jedes Jahr durch den Verkauf von Erdöl verdient. Nur eine neue politische Elite hat von der Unabhängigkeit profitiert. Jenseits der Friedhofsmauern sind neue Hotels und Bürogebäude entstanden, mehrstöckige Häuser mit verspiegelten Fassaden. Aber eine Kanalisation, Wasserleitungen oder Stromversorgung über ein öffentliches Netz gibt es auch jenseits der Friedhofsmauern nur in ein paar bevorzugten Vierteln.
In den übrigen Wohngebieten sind sogar in der Hauptstadt viele Straßen mit einer Mischung aus Wasser und Fäkalien überschwemmt, wenn es regnet. Noch schlimmer sieht es im Rest des Landes aus. Jederzeit kann Cholera ausbrechen, und das gilt auch für den Friedhofsbereich.
Um eine Epidemie zu verhindern, hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen selbst zwischen den Gräbern und Bretterbuden auf dem Friedhof alle paar Meter Plakate aufgehängt: "Wascht Euch immer die Hände! Ihr habt Eure Gesundheit selbst in der Hand." Nur: Auf dem Friedhof gibt es kein sauberes Wasser. Und an Seife ist schon gar nicht zu denken. Neben Moga saß schon die ganze Zeit ein Nachbar. Auch er beklagt sich:
"Ich fühle mich hier auf dem Friedhof absolut nicht wohl. Und ich habe alle Hoffnung verloren. Der Südsudan ist unabhängig. Und noch immer vergießen wir Blut. Wohin soll das führen? Menschen hungern, Menschen werden vertrieben. Und wir haben jede Hoffnung in unsere Regierung verloren."
Lino Kiir ist seit drei Jahren hier, also seit der Süden unabhängig geworden ist. Damals wurde er aus dem Haus vertrieben, das er bis dahin bewohnt hatte. Seitdem lebt er auf dem Friedhof und ernährt sich von dem, was er im Abfall findet, so wie alle Bewohner hier. Dabei kann Kiir sogar lesen und schreiben, aber einen Beruf hat er während des ersten langen Bürgerkriegs nie gelernt.
Die einzige Unterstützung, die er jemals bekommen hat, erhält er von einer Hilfsorganisation, die den Friedhofskindern das Schulgeld bezahlt. Ausländische Helfer und die eigenen Kinder – eine andere Hoffnung haben die Menschen hier nicht.