Die Laubengänge im historischen Zentrum von Bozen, Bolzano auf Italienisch: Geschäfte, Cafés und Kneipen, alles sehr pittoresk. Hier mischen sich die Sprachen, doch italienisch überwiegt. Aber selbst ohne Worte lässt sich recht gut erkennen, wer zur italienischen Sprachgruppe gehört: die mit den Daunenjacken bei 19 Grad, und wer zur deutschen: die ohne Jacke. Die Atmosphäre ist mediterran; man sitzt draußen und trinkt Prosecco, grüßt sich über die Straße hinweg, gestikuliert mit dem Handy am Ohr.
Bozen, die Hauptstadt Südtirols, ist mit den Jahren immer italienischer geworden. Für Außenstehende wirkt das wie gelungenes multikulti, doch das sei nur die Oberfläche, sagt Francesca Schir, die an der Universität der Provinz Bozen arbeitet und im Stadtrat von Meran, der zweitgrößten Stadt in Südtirol, sitzt.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Wind von rechts in Südtirol.
"Das Problem von der Gesellschaft, wo man separat ist, gibt es noch. Meine persönliche Erfahrung ist: Ich habe die Schule in Obermais gemacht, die italienische Schule. Und Deutsch war dort nur ein Fach unter vielen."
Francesca Schir hat damals begonnen, Kontakt zu deutschsprachigen Südtirolern zu suchen, um ihre Schulkenntnisse praktisch anzuwenden. Und obwohl die deutsche Schule im selben Gebäude untergebracht war, war das gar nicht so einfach. Ihre braun-grünen Augen verdunkeln sich.
"Weil wir hatten verschiedene Eingangsstundenpläne und auch die Pause war auf verschiedene Uhrzeiten so gemacht, dass wir wirklich keine Möglichkeit hatten, uns zu treffen. Es ist auch von Politikern der SVP klar gesagt worden: Wir leben besser getrennt als gemischt und ich glaube, das ist gar nicht wahr. Vor allem in dieser Zeit, wo wir wirklich europäisch sein brauchen."
Team K - neue "interethnische" Partei
Francesca Schir isst in einem traditionellen Lokal zu Mittag, man kennt sie und hat ihr einen Tisch am Fenster reserviert. Ihr Menü: Prosecco zum Aperitif, danach Kürbisrisotto mit Gorgonzolakäse und als Dessert Zwetschgenknödel. Die 47-Jährige will mehr Miteinander der Sprachgruppen. Ihre politischen Ideen bringt sie jetzt in der Partei Team K ein, das aus der Fünf-Sterne-Bewegung Südtirol hervorgegangen ist und bei den Landtagswahlen 2018 auf Anhieb 15,2 Prozent der Stimmen bekam. Warum schon wieder eine neue Partei?
"Wir wollen eine interethnische Partei sein, wo die Fähigkeit der Einzelnen gesehen wird." Und das war bei den Fünf-Sternen nicht möglich. Die Botschaft aus Rom lautete: die Bewegung soll eine auf die italienische Sprachgruppe beschränkte politische Kraft bleiben. "Wir sagen immer, dass Südtirol eine Brücke zwischen Italien und Europa ist. Aber wenn wir in diesem Land nicht in der Lage sind, wirklich miteinander zu leben, ist auch schwer, eine Brücke für die anderen zu sein." Südtirols Politik müsse sich dringend ändern, damit die weitreichende Autonomie ein Erfolgsmodell bliebe. "Wir hätten alle Eigenschaften, dass alle zufrieden zu leben, wenn wir diese Gelegenheit nutzen würden. Man müsste mehrsprachige Schule haben. Es gibt noch nicht."
"Die Gesellschaft und die Bedürfnisse haben sich geändert"
Zwar wird in den Schulen der deutschen Sprachgruppe Italienisch gelehrt und in den italienischen Schulen Deutsch, aber eben nur als Fremdsprache. Und auch fast alle Vereine, von den Sportvereinen bis zu den Kulturvereinen haben eine deutsche und eine italienische Sektion. Nicht, weil die Menschen das unbedingt so wollen, sondern weil es politisch forciert wird und man eher staatliche Zuschüsse bekommt, wenn man sich eindeutig zuordnet. Und daran werde sich sobald auch nichts ändern, klagt Francesca Schir.
"Wir haben diese neue Regierung mit der Lega und die Lega ist eine rechte Partei. Sie haben von Anfang an gesagt, dass die Sache der zweisprachigen Schule keine Priorität ist. Sie haben sich auf die Ideen der SVP eingelassen. Und mit der SVP haben wir gar keine Chance, die zweisprachige Schule zu gründen. Das ist ein Problem mit der Identität, und weil es mit der Geschichte zu tun hat. Die SVP spielte eine wichtige Rolle am Anfang, sie mussten die Rechte der Deutschen verteidigen und das war ganz richtig nach dem Faschismus, richtig und eine Notwendigkeit, aber jetzt ist es nicht mehr so. Die Gesellschaft hat sich geändert, die Bedürfnisse der Leute haben sich geändert, also man muss etwas tun, um diesen Reichtum nicht zu verlieren."
Vor dem Fenster spaziert ein junges Paar entlang. Sie fragt ihn etwas auf Deutsch, er antwortet si, si. Francesca Schir schmunzelt. Dann wird sie wieder ernst. "Wir haben ein neues Thema und zwar die Kinder aus gemischten Ehen, die dürfen wir nicht vergessen, auch wenn, das muss auch gesagt werden, dass seit 1981 die Anzahl der gemischten Ehen gleichgeblieben ist."
Südtiroler müssen sich zu einer Sprachgruppe bekennen
Auch wer sich in beiden Sprachgruppen zuhause fühlt, wird aufgefordert, sich trotzdem für eine zu entscheiden bei den alle zwei Jahre stattfindenden Volkszählungen. Dabei geht es nicht um Abstammung, sondern um das persönliche Zugehörigkeitsgefühl. Wer sich weigert, hat bei der Bewerbung auf eine öffentliche Stelle, in der Verwaltung, bei der Post, in der Schule oder im Krankenhaus Nachteile durch das Proporzsystem. Es setzt Quoten fest, weil jeder Sprachgruppe eine genau definierte Anzahl an Arbeitsplätzen zusteht. Eine gerechte Sache im Allgemeinen. Im konkreten Fall kann dieses starre System aber auch als sehr ungerecht empfunden werden. Wenn nämlich die Sprachgruppenzugehörigkeit wichtiger ist als die Qualifikation.
Gerade in den Tälern, wo fast nur Angehörige der deutschen Sprachgruppe lebten, gebe es Orte, wo jemand aus der italienischen Sprachgruppe nur aufgrund dieser Zugehörigkeit die besten Chancen habe, eingestellt zu werden, sagt Francesca Schir und lacht.
"Aber das nutzt nicht, weil du bist allein dort. Das ist wirklich traurig."
Die streitbare Stadträtin bezeichnet sich als italienischsprachige Südtirolerin, denn Südtirol sei auch ihre Heimat, das müssten die deutschsprachigen Südtiroler ein für alle Mal anerkennen. "Es muss klar gesagt werden, unter dem Faschismus haben die Deutschsprachigen sehr gelitten, aber jetzt sind 100 Jahre vergangen und wir müssen eine neue Richtung, die uns nur Vorteile bringen kann, das müsste man tun in so eine reiche und schöne Land."