"Das Thema ist in der Öffentlichkeit, glaube ich deswegen vernachlässigt, weil die Depression nicht so auffällt. Es fällt mehr auf, wenn jemand aggressiv wird; und es fällt auf, wenn jemand an Gewicht abnimmt; und es fällt mehr auf, wenn jemand Straftaten begeht, in Raufereien verwickelt ist wie hyperaktive Kinder; oder es fällt in der Schule mehr auf, wenn ein Kind ständig den Unterricht stört, aufsteht, hin- und hergeht, auf seinen Nachbarn einschlägt. Das sind laute Krankheiten. Während die Depression eine leise Erkrankung ist, die stärker übersehen wird. Stille Kinder machen eigentlich in ihrer Umgebung keinen Anlass zur Sorge - oberflächlich betrachtet. Aber dahinter kann sich viel verbergen."
Helmut Remschmidt ist Vorsitzender des "Wissenschaftlichen Vereins für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie". Im Fokus seines Interesses steht, dass auch junge Menschen an Depressionen erkranken, die zu selten erkannt, diagnostiziert und behandelt werden.
Immerhin zwei Prozent der Kinder und bis zu neun Prozent der Jugendlichen in Deutschland sind von leichten bis schweren Formen der psychischen Erkrankung betroffen, die nicht selten bis ins Erwachsenenalter hinein andauern.
Dass die Gesellschaft sich immer noch schwer tut mit seelischen Beeinträchtigungen, war ein wesentlicher Kritikpunkt auf der international besetzten Tagung. Weil aber gerade die Kinder und Jugendlichen über ihre Traurigkeit und Angst schweigen, ist das ein besonderes Problem, hoben die Kinder- und Jugendpsychiater hervor. Die Eltern ärgern sich über den antriebslosen, wortkargen Nachwuchs. Und die Lehrer merken oft nicht, wenn ein Schüler sich immer mehr zurückzieht, in Waffenfantasien verrennt oder gar an Selbsttötung denkt.
Schwierigkeiten bereitet zudem, dass depressive Symptome häufig nicht klar diagnostiziert werden können, gehen sie doch einher mit anderen psychischen Erkrankungen wie Ess- oder Angststörungen, Hyperaktivität oder Schizophrenie. Dazu der Marburger Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie Helmut Remschmidt:
"Die Depression ist ein Chamäleon, kann man sagen. Sie ist mit vielen anderen Störungen assoziiert. Und dieses Komorbiditätsproblem muss man immer im Blick haben, sonst ist man mit der Behandlung nicht auf der richtigen Schiene."
Remschmidts Kollegen charakterisierten die Symptome, die sich im Vorschulalter anders als bei Jugendlichen zeigen: Das Kind weint oft und hat keinen Spaß mehr am Spiel. Es scheint energielos und klagt über mangelnden Appetit. Manchmal spielt der Tod eine Rolle in seinen Beschäftigungen.
Mit zunehmendem Alter mehren sich die Symptome auf der kognitiven, emotionalen und körperlichen Ebene. Jungen und Mädchen können sich nicht mehr konzentrieren. Sie fühlen sich wertlos. Nichts scheint interessant. Mal sind sie traurig, mal gereizt. Sie nehmen ab und schlafen schlecht.
Vor allem bei Jugendlichen kann die Depression mit Selbstverletzungen oder suizidalem Verhalten einhergehen. 40 bis 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die versuchen, sich zu töten oder dies tun, sind depressiv. Armin Schmidtke, Vorsitzender des "Nationalen Suizid Präventions Programms für Deutschland", nimmt die Signale unter die Lupe:
"Auf der einen Seite quasi so einen Rückzug vom Leben, man sagt so eine Art Lebensknick. Das heißt, man zieht sich von Freunden zurück, geht nicht mehr aus, verschenkt seine Lieblings-CDs, also seine Lieblingsmusik. Dann gibt es so eine Phase, in der Suizidgedanken, ohne dass man will, sich quasi automatisch zwanghaft im Kopfe festsetzen. Dann wird es tatsächlich gefährlich, wenn die Umgebung das nicht erkennt, weil: Aus diesem Teufelskreis kommt man von alleine nur sehr schwer heraus. Und das Schlimme ist dann, wenn der Entschluss zum Suizid gefasst wird, die Kinder und Jugendlichen fast euphorisch sind - man nennt das Ruhe vor dem Sturm -, dann ist das tatsächlich sehr schwer zu erkennen."
Nach der heutigen Ansicht der Forscher beeinflusst eine Vielzahl von Faktoren die Entwicklung einer Depression. Neben der genetischen Veranlagung und Stoffwechselstörungen im Gehirn spielt die Persönlichkeitsstruktur eine wichtige Rolle: Introvertierte Kinder mit Angstneigung sind stärker betroffen. Traumatische Erlebnisse und aktuelle psychosoziale Belastungen wie eine Trennung der Eltern kommen als weitere Auslöser hinzu.
Für Helmut Remschmidt steht vor allem bei schweren Krankheitsverläufen eine dreidimensionale Therapie im Mittelpunkt, die mit der Aufklärung beginnt:
"Aufklärung heißt, dass man den Patienten oder die Patientin - egal in welchem Alter - über die Erkrankung aufklärt und der Person sagt, dem Kind oder dem Jugendlichen: Das ist jetzt nicht von dir eine Laune oder Böswilligkeit. Du machst das nicht mit Absicht, wenn es vielleicht sogar jemand so betrachtet, sondern es ist eine Krankheit. Und eine Krankheit, die kommt über einen und an dieser Krankheit hat man keine Schuld."
Auch die Eltern und Lehrer müssen lernen, dass Symptome wie Schlafstörungen oder Suizidgedanken zur Erkrankung gehören, fordert Remschmidt.
"Nicht nur wegen des Verständnisses der Störungen, sondern auch deswegen, damit sie dem Kind keine Vorwürfe machen und sagen: Jetzt warst du schon wieder faul und heute bist du wieder nicht aus dem Bett gekommen. Oder beim Jugendlichen: Du hast ja gar nicht mehr Klavier geübt."
Dass die Eltern tatsächlich nicht Bescheid wissen, hat der Würzburger Professor und Suizidforscher Armin Schmidtke herausgefunden:
"Und da zeigen auch die Ergebnisse, dass viele Eltern ja von Suizidversuchen ihrer Kinder nichts wissen. Das ist also gar nicht deckungsgleich, was die Kinder angeben, also wie häufig sie versucht haben, sich das Leben zu nehmen, wenn man dann die Eltern befragt, stimmt das überhaupt nicht überein. Die wissen das in der Regel gar nicht."
Die Wissenschaftler stellten auf der Tagung auch Formen medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung vor. Bei Kindern hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Sie lernen, ihre negativen Gedanken durch positive Vorstellungen zu ersetzen. Und sie üben, soziale Kontakte zu knüpfen. Die interpersonelle Psychotherapie hingegen eignet sich mehr für Jugendliche. Helmut Remschmidt benennt die Defizite in der Depressionsforschung und fordert, ...
"... dass man versucht, systematisch herauszufinden, was sind denn die Trigger, die eine erneute Depression wieder auslösen? Wir müssen dann in der Forschung auch die Genetik bedenken. Auch welche Gene, welche Mechanismen hierbei eine Rolle spielen, da ist man noch nicht sehr weit gediehen. Wir sprechen ja heute nicht mehr von Anlage oder Umwelt, sondern von einer Wechselwirkung. Und wir wissen heute, dass es bei vielen Erkrankungen eine Wechselwirkung gibt, und das ist ein sehr wichtiger Punkt."
Zur Prävention depressiver Erkrankungen von jungen Menschen werde hierzulande zu wenig getan, Deutschland sei in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland, kritisierten die Tagungsteilnehmer.
Doch wenigstens die Therapien zeigten positive Erfolge. In 60 bis 70 Prozent der Fälle ist die Behandlung wirksam. Oft lässt die Symptomatik schon innerhalb des ersten Jahres nach, bilanzierten die Wissenschaftler.
Allerdings kann eine Depression episodenhaft wiederkehren. Das Risiko einer Wiederholung liegt nach einem Jahr bei 25 Prozent und nach fünf Jahren sogar bei 72 Prozent. Deshalb setzt sich Helmut Remschmidt für eine frühzeitige Behandlung ein:
"Wir staunen schon immer wieder, wie spät oft die Eltern mit ihren Kindern kommen, die dann schon sehr tief in der Depression hängen oder auch andere Störungen haben, und das wollen wir natürlich verändern. Deswegen ist es wichtig, das gilt ja für alle Erkrankungen, dass man möglichst frühzeitig interveniert, weil sich dann der Prozess der Erkrankung noch nicht verfestigt hat. Je länger man wartet, umso höher ist das Chronifizierungsrisiko."
Helmut Remschmidt ist Vorsitzender des "Wissenschaftlichen Vereins für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie". Im Fokus seines Interesses steht, dass auch junge Menschen an Depressionen erkranken, die zu selten erkannt, diagnostiziert und behandelt werden.
Immerhin zwei Prozent der Kinder und bis zu neun Prozent der Jugendlichen in Deutschland sind von leichten bis schweren Formen der psychischen Erkrankung betroffen, die nicht selten bis ins Erwachsenenalter hinein andauern.
Dass die Gesellschaft sich immer noch schwer tut mit seelischen Beeinträchtigungen, war ein wesentlicher Kritikpunkt auf der international besetzten Tagung. Weil aber gerade die Kinder und Jugendlichen über ihre Traurigkeit und Angst schweigen, ist das ein besonderes Problem, hoben die Kinder- und Jugendpsychiater hervor. Die Eltern ärgern sich über den antriebslosen, wortkargen Nachwuchs. Und die Lehrer merken oft nicht, wenn ein Schüler sich immer mehr zurückzieht, in Waffenfantasien verrennt oder gar an Selbsttötung denkt.
Schwierigkeiten bereitet zudem, dass depressive Symptome häufig nicht klar diagnostiziert werden können, gehen sie doch einher mit anderen psychischen Erkrankungen wie Ess- oder Angststörungen, Hyperaktivität oder Schizophrenie. Dazu der Marburger Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie Helmut Remschmidt:
"Die Depression ist ein Chamäleon, kann man sagen. Sie ist mit vielen anderen Störungen assoziiert. Und dieses Komorbiditätsproblem muss man immer im Blick haben, sonst ist man mit der Behandlung nicht auf der richtigen Schiene."
Remschmidts Kollegen charakterisierten die Symptome, die sich im Vorschulalter anders als bei Jugendlichen zeigen: Das Kind weint oft und hat keinen Spaß mehr am Spiel. Es scheint energielos und klagt über mangelnden Appetit. Manchmal spielt der Tod eine Rolle in seinen Beschäftigungen.
Mit zunehmendem Alter mehren sich die Symptome auf der kognitiven, emotionalen und körperlichen Ebene. Jungen und Mädchen können sich nicht mehr konzentrieren. Sie fühlen sich wertlos. Nichts scheint interessant. Mal sind sie traurig, mal gereizt. Sie nehmen ab und schlafen schlecht.
Vor allem bei Jugendlichen kann die Depression mit Selbstverletzungen oder suizidalem Verhalten einhergehen. 40 bis 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die versuchen, sich zu töten oder dies tun, sind depressiv. Armin Schmidtke, Vorsitzender des "Nationalen Suizid Präventions Programms für Deutschland", nimmt die Signale unter die Lupe:
"Auf der einen Seite quasi so einen Rückzug vom Leben, man sagt so eine Art Lebensknick. Das heißt, man zieht sich von Freunden zurück, geht nicht mehr aus, verschenkt seine Lieblings-CDs, also seine Lieblingsmusik. Dann gibt es so eine Phase, in der Suizidgedanken, ohne dass man will, sich quasi automatisch zwanghaft im Kopfe festsetzen. Dann wird es tatsächlich gefährlich, wenn die Umgebung das nicht erkennt, weil: Aus diesem Teufelskreis kommt man von alleine nur sehr schwer heraus. Und das Schlimme ist dann, wenn der Entschluss zum Suizid gefasst wird, die Kinder und Jugendlichen fast euphorisch sind - man nennt das Ruhe vor dem Sturm -, dann ist das tatsächlich sehr schwer zu erkennen."
Nach der heutigen Ansicht der Forscher beeinflusst eine Vielzahl von Faktoren die Entwicklung einer Depression. Neben der genetischen Veranlagung und Stoffwechselstörungen im Gehirn spielt die Persönlichkeitsstruktur eine wichtige Rolle: Introvertierte Kinder mit Angstneigung sind stärker betroffen. Traumatische Erlebnisse und aktuelle psychosoziale Belastungen wie eine Trennung der Eltern kommen als weitere Auslöser hinzu.
Für Helmut Remschmidt steht vor allem bei schweren Krankheitsverläufen eine dreidimensionale Therapie im Mittelpunkt, die mit der Aufklärung beginnt:
"Aufklärung heißt, dass man den Patienten oder die Patientin - egal in welchem Alter - über die Erkrankung aufklärt und der Person sagt, dem Kind oder dem Jugendlichen: Das ist jetzt nicht von dir eine Laune oder Böswilligkeit. Du machst das nicht mit Absicht, wenn es vielleicht sogar jemand so betrachtet, sondern es ist eine Krankheit. Und eine Krankheit, die kommt über einen und an dieser Krankheit hat man keine Schuld."
Auch die Eltern und Lehrer müssen lernen, dass Symptome wie Schlafstörungen oder Suizidgedanken zur Erkrankung gehören, fordert Remschmidt.
"Nicht nur wegen des Verständnisses der Störungen, sondern auch deswegen, damit sie dem Kind keine Vorwürfe machen und sagen: Jetzt warst du schon wieder faul und heute bist du wieder nicht aus dem Bett gekommen. Oder beim Jugendlichen: Du hast ja gar nicht mehr Klavier geübt."
Dass die Eltern tatsächlich nicht Bescheid wissen, hat der Würzburger Professor und Suizidforscher Armin Schmidtke herausgefunden:
"Und da zeigen auch die Ergebnisse, dass viele Eltern ja von Suizidversuchen ihrer Kinder nichts wissen. Das ist also gar nicht deckungsgleich, was die Kinder angeben, also wie häufig sie versucht haben, sich das Leben zu nehmen, wenn man dann die Eltern befragt, stimmt das überhaupt nicht überein. Die wissen das in der Regel gar nicht."
Die Wissenschaftler stellten auf der Tagung auch Formen medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung vor. Bei Kindern hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Sie lernen, ihre negativen Gedanken durch positive Vorstellungen zu ersetzen. Und sie üben, soziale Kontakte zu knüpfen. Die interpersonelle Psychotherapie hingegen eignet sich mehr für Jugendliche. Helmut Remschmidt benennt die Defizite in der Depressionsforschung und fordert, ...
"... dass man versucht, systematisch herauszufinden, was sind denn die Trigger, die eine erneute Depression wieder auslösen? Wir müssen dann in der Forschung auch die Genetik bedenken. Auch welche Gene, welche Mechanismen hierbei eine Rolle spielen, da ist man noch nicht sehr weit gediehen. Wir sprechen ja heute nicht mehr von Anlage oder Umwelt, sondern von einer Wechselwirkung. Und wir wissen heute, dass es bei vielen Erkrankungen eine Wechselwirkung gibt, und das ist ein sehr wichtiger Punkt."
Zur Prävention depressiver Erkrankungen von jungen Menschen werde hierzulande zu wenig getan, Deutschland sei in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland, kritisierten die Tagungsteilnehmer.
Doch wenigstens die Therapien zeigten positive Erfolge. In 60 bis 70 Prozent der Fälle ist die Behandlung wirksam. Oft lässt die Symptomatik schon innerhalb des ersten Jahres nach, bilanzierten die Wissenschaftler.
Allerdings kann eine Depression episodenhaft wiederkehren. Das Risiko einer Wiederholung liegt nach einem Jahr bei 25 Prozent und nach fünf Jahren sogar bei 72 Prozent. Deshalb setzt sich Helmut Remschmidt für eine frühzeitige Behandlung ein:
"Wir staunen schon immer wieder, wie spät oft die Eltern mit ihren Kindern kommen, die dann schon sehr tief in der Depression hängen oder auch andere Störungen haben, und das wollen wir natürlich verändern. Deswegen ist es wichtig, das gilt ja für alle Erkrankungen, dass man möglichst frühzeitig interveniert, weil sich dann der Prozess der Erkrankung noch nicht verfestigt hat. Je länger man wartet, umso höher ist das Chronifizierungsrisiko."