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Superforecaster Bruno Jahn
Die Kunst der Zukunftsprognose

Ob Wahlen oder Wirtschaftsdaten: Prognoseinstitute liegen mit ihren Visionen häufig daneben. Dagegen könnten selbst Laien mit der entsprechenden Übung Prognosen abgeben, die oft besser seien als die der Experten, meint Superforecaster Bruno Jahn. Sogar Science-Fiction-Filme könnten dabei helfen, sagte er im Dlf.

Bruno Jahn im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski |
    Arbeitstisch eines Wahrsagers: Orakelkarten, Glaskugel und Kreuz liegen schon bereit
    Glaskugeln gehören nicht zu den Werkzeugen der Superforecaster - dafür aber Analysen von Expertenmeinungen und Erfahrungswerte (imago / Attila Kleb)
    "Der Berliner Flughafen BER wird an der jetzigen Stelle vermutlich nie in Betrieb gehen." Das sagt nicht etwa Lufthansa-Vorstand Thorsten Dirks, der kürzlich ironisch den Abriss der Dauerbaustelle forderte. Nein, diese Prognose stammt von Bruno Jahn. Bruno wer? Ein sogenannter "Superforecaster" - also jemand, der offenbar sehr gute, zukunftsgewisse Vorausdeutungen entwerfen kann. Wer "Superforecaster" sind und wie sie arbeiten, beschreibt Bruno Jahn in seinem Buch "Sichere Prognosen in unsicheren Zeiten" - darüber wollen wir reden.
    "Was sind die Erfahrungswerte?"
    Adalbert Siniawski: Herzlich willkommen zum Corsogespräch!
    Bruno Jahn: Guten Tag.
    Siniawski: Mit dieser plakativen These zum Berliner Flughafen und vier weiteren, etwa zum Einsatz von Klon-Fleisch, der Verbreitung von Elektroautos, der Stabilität der Eurozone und der Demokratisierung der Arabischen Welt, mit diesen plakativen Thesen ist Ihnen natürlich die Aufmerksamkeit sicher. Das konnten Sie sich ganz leicht ausrechnen, oder?
    Jahn: Ja, das ist natürlich auch ein Stück weit die Motivation dahinter gewesen. Das sind eben wirklich Fragen, die wir auch gestellt bekommen und an denen wir uns auch dann abarbeiten.
    Siniawski: Bleiben wir bei dem Beispiel des Berliner Flughafens. Erklären Sie uns, wie Sie als "Superforecaster" auf diese Prognose gekommen sind. Ist das Mathematik, Wahrscheinlichkeitsrechnung?
    Jahn: Ja, in gewisser Weise schon. Also, ich bin ja kein Bauingenieur, ich kann die Details dieser Baustelle überhaupt nicht überblicken – das kann übrigens ein Bauingenieur nicht, der da nicht mittendrin steckt. Das heißt, ich gehe da nicht so ran, dass ich mich mit jeder einzelnen Schiebetür beschäftige, sondern ich frage mich: Was sind Erfahrungswerte bei großen, komplexen Projekten dieser Art? Und da zeigt die Erfahrung, dass vergangene Probleme eben nicht einfach abgearbeitet werden, sondern ganz überwiegend neue Probleme mit sich bringen. Das heißt, die vergangenen Verschiebungen, die vergangenen Probleme verraten mir von außen etwas über dieses System "Großbaustelle". Und da wäre es einfach sehr gewagt, anzunehmen, dass jetzt, nach all diesen bestehenden Problemen, plötzlich alles glatt geht. Und deshalb bin ich der Überzeugung, dass mit jeder Verschiebung eine tatsächliche Eröffnung an diesem Ort in weitere Ferne rückt – und damit auch letztlich unwahrscheinlicher wird.
    "Man sollte aus der Science-Fiction die richtigen Fragen herleiten"
    Siniawski: Das heißt, Sie wälzen jetzt keine Gutachten, Sie haben keine bestimmten Formeln, sondern Sie haben ein ganz umfassendes Material, was Sie eben zusammengenommen akkumulieren und daraus Ihre Prognose entwickeln, ja? Habe ich das richtig verstanden? Weil, Sie sind ja auch Laie – Sie haben das ja auch nicht studiert, Sie haben Islamwissenschaften, Internationale Politik und so weiter …
    Jahn: Das ist ja genau, man könnte sagen, die zentrale Erkenntnis des "Good Judgment Projects", dass also Fachwissen, also Expertise in einem abgegrenzten Gebiet, irgendwann nicht mehr hilfreich ist dabei, bessere Vorhersagen zu treffen, sondern dass es irgendwann um andere Qualitäten und andere Fähigkeiten geht. Und dass eben die Art von Informationen, die sich ein gut informierter Laie beschaffen kann, heutzutage in der Regel ausreicht. Man muss dafür natürlich immer wieder auch Experten konsultieren und gucken, was sagen die? Aber man kann trotzdem dann oft – mit der entsprechenden Übung – Prognosen abgeben, die mindestens so gut, oder oft eben auch besser sind als die der eigentlichen Experten.
    Wir haben noch länger mit Bruno Jahn gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Siniawski: Sie plädieren nämlich auch dafür, sich von Science-Fiction inspirieren zu lassen, also fiktionale Werke grundsätzlich in die Analyse und Vorhersage einzubeziehen …
    Jahn: Absolut.
    Siniawski: Sind denn Drehbuchschreiber und Romanautoren tatsächlich seriöse Prognostiker? Mir scheint das ein bisschen übertrieben.
    Jahn: Ich würde es anders formulieren – man sollte aus der Science-Fiction die richtigen Fragen herleiten. Zum Beispiel wenn wir fragen: Hätte man die Anschläge vom 11. September vorhersehen können? Dann sage ich, in welcher Detail-Auflösung denn? Natürlich hätte ich nicht am 1. Januar 2000 beim Ausblick auf das neue Jahrtausend, auf die ersten zehn Jahre, sagen können: Übrigens, an genau dem Tag werden Flugzeuge ins World Trade Center rasen. Aber ich hätte natürlich sehr wohl fragen können: Wird das Thema Terrorismus von Seiten radikalislamischer Gruppen wie Al Qaida in den USA eine signifikante Rolle, auch für die Sicherheitspolitik, spielen? Und dann sehe ich zum Beispiel, dass die ganzen Actionfilme der 90er-Jahre voll sind von diesem Thema. Das heißt, offensichtlich war es ja möglich, darüber nachzudenken und sich das vorzustellen.
    "Warum fragen wir die eigentlich noch?"
    Siniawski: Was gehört denn zum Beispiel noch zu diesen "10 Goldenen Regeln der Prognose" dazu? Können Sie vielleicht eine oder zwei noch mal herausgreifen?
    Jahn: Also, die allererste, die ich, glaube ich, für das Zentrale überhaupt halte, ist: Man muss überhaupt erst einmal anfangen, die eigenen Voraussagen aufzuzeichnen. Und der Grund ist, dass der Mensch dazu neigt, sich sonst im Rückblick die eigene Leistung schönzureden und zu glauben, man hätte es doch eigentlich gewusst. Und wenn wir das mal aufzeichnen, dann stellen wir ganz oft fest, dass das eben nicht so ist. Und dann können wir überhaupt erst anfangen, aus unseren Fehlern zu lernen. Und deshalb, denke ich, ist das der zentrale Beginn von allem. Und dann, im nächsten Schritt, müssen wir eben nicht nur unsere eigenen Vorhersagen aufzeichnen, sondern wir müssen auch die Vorhersagen der Experten, auf die wir hören, entsprechend auswerten, um zu sehen: Was ist eigentlich deren Performance in der Vorhersage von Sachen oder Ereignissen? Und dann stellen wir fest, dass ganz viele der hoch gehandelten Experten – ich bin jetzt nicht hier, um Namen zu nennen – da nicht so gut abschneiden.
    Siniawski: Na ja, Sie nennen ja Frühjahrs- und Herbstgutachten, die liegen extrem daneben – oder auch bei Wahlen: Brexit und Trump haben die Umfragen ja nicht so vorausgesehen, wie es dann letztlich kam.
    Jahn: Das stimmt, aber man muss dann auch immer sehen: Die Wahlumfragen waren gar nicht so weit daneben, also es war natürlich eine knappe Entscheidung – und da kann dann ein kleiner, typischer Messfehler, ein möglicher Messfehler von zwei Prozentpunkten den ganzen Unterschied machen. Das ist dann eben auch Teil davon. Aber mir geht es ja um die Leute, die noch ein paar Monate vor der Wahl gesagt haben, es sei vollkommen ausgeschlossen, dass jemand wie Trump je gewählt werden würde.
    Siniawski: Und was ist Ihre Prognose für die Zukunft? Werden Sie die etablierten Prognostiker ablösen als "Superforecaster"? ist das vielleicht die neue Hoffnung für den Blick in die Glaskugel?
    Jahn: Nee, ablösen möchte ich sie eigentlich nicht, oder möchten wir sie auch nicht. Denn das ist genau die Gefahr, die ich sehe, dass man jetzt die "Superforecaster" zum Teil wieder zu den neuen Experten macht, und aber genau wieder in die gleiche Falle tappt, von ihnen verlangt, sich immer sicher zu sein, immer so zu tun, als ob man eigentlich alles wüsste. Und mir geht es um was ganz anderes, nämlich darum, dass wir ganz anders über die Experten und die Expertenklasse und über Expertise denken. Und dass wir ganz anders diejenigen, die wir als Experten medial befragen, dass wir die ganz anders behandeln und ihnen auch ermöglichen, sich zu irren, aber eben schon auch gucken: Was ist eigentlich ihre Gesamtperformance? Ich will ja niemanden, der falsch lag, teeren und federn, aber bei manchen frage ich mich schon: Warum fragen wir die eigentlich noch? Denn die haben in der Vergangenheit mindestens so oft falsch gelegen, wie man es bei einem Münzwurf erwarten sollte – und warum behandeln wir die nach wie vor als Experten?
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Bruno Jahn: "Sichere Prognosen in unsicheren Zeiten - Wer die Gegenwart richtig liest, kann in die Zukunft schauen"
    Droemer Knaur Verlag, München 2018. 256 Seiten, 19,99 Euro.