Derzeit wird auch viel über die wirtschaftlichen Auswirkungen im Zuge der Corona-Krise diskutiert. Auch müssen immer mehr Unternehmen ihre Produktion drosseln oder einstellen.
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Handelsverbandes, spricht im Dlf über die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Lebensmittel- und den Non-Food-Einzelhandel.
Jörg Münchenberg: Herr Genth, es heißt ja wie ein Mantra, die Versorgung sei gesichert. Wenn man jetzt aber in die Supermärkte geht, dann fehlen da ganz viele Produkte: Mehl, Reis, Toilettenpapier, Tomatendosen, Nudeln und so weiter. Alles ausverkauft. Wie passt das zusammen?
Stefan Genth: Ja, das passt natürlich zusammen, weil wir einerseits sehen, dass unsere Verbraucher, die Kundinnen und Kunden momentan sich natürlich irrational verhalten. Angst spielt eine große Rolle, es werden Hamsterkäufe getätigt, die gar nicht erforderlich sind, weil die Warenversorgung ist absolut sichergestellt. Lebensmittel wird es auch morgen in den Supermärkten noch geben. Wir sind momentan in den Logistikketten bemüht, die Regale wieder schnell aufzufüllen, was schon eine Herausforderung ist, aber immer wieder geschafft wird. Das sehen wir, auch wenn wir selber einkaufen gehen.
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Münchenberg: Sie sagen, schnell auffüllen. Was heißt denn schnell?
Genth: Schnell heißt natürlich, dass man innerhalb des Tages meistens im Moment gar nicht das Personal hat, oder die Ware auch erst herangefahren werden muss. Jeder Supermarkt wird nicht jeden Tag beliefert, sondern zwei-, dreimal die Woche. Insofern gibt es dann in der Tat Engpässe. Wenn so viel Toilettenpapier gekauft wird wie ein Jahresbedarf, dann werden wir natürlich nicht nachkommen, obwohl Produkte genügend da sind.
"Haushaltsübliche Mengen kaufen"
Münchenberg: Wobei ich jetzt auch gelesen habe, Toilettenpapier wird hauptsächlich in Deutschland hergestellt. Insofern gibt es da ohnehin keine Versorgungsschwierigkeiten.
Genth: Genau. Das ist die Situation, die wir auch mit unseren Lieferanten, das heißt unsere Unternehmen mit den Lieferanten momentan besprechen, dass dort keine Versorgungsschwierigkeiten sind. Das sind logistische Herausforderungen, die wir haben. Unsere Mitarbeiter müssen natürlich auch bereit sein und fit sein, sowohl in den Lagerei-Logistik-Strukturen als auch in den Filialen. Deshalb appellieren wir natürlich an die Verbraucher, haushaltsübliche Mengen zu kaufen und nicht zehn Kilogramm Mehl. Wo man seit Jahren kein eigenes Brot mehr gebacken hat und das wahrscheinlich jetzt auch nicht kann, ist das natürlich ein wenig unsinnig. Ich verstehe die Kunden, aber wie gesagt, wir appellieren an mehr Vernunft, Rücksichtnahme und auch Solidarität.
Münchenberg: Aber ist an dieser Sorge nicht doch was dran? Sie haben jetzt mehrere Punkte angesprochen. Da ist zum Beispiel die Logistik; die ist ja jetzt schon gestört. Es gibt lange Staus an den Grenzen, weil sie dicht gemacht worden sind. Auch die Logistiker haben ja ein massives Problem mit der Lieferung.
Genth: Zum einen muss man sehen, dass viele Produkte aus Deutschland selbst kommen. Auch der Handel hat ja Eigenmarken-Produkte, die auch selber hier in Deutschland hergestellt werden, so dass diese Warenversorgung sichergestellt ist, auch in der Kette mit der Ernährungsindustrie und den Bauern beispielsweise. Und in der Tat sollen die Warenströme an den Grenzen auch weiterlaufen. Hier haben wir es natürlich mit Produkten zu tun, beispielsweise mit Obst und Gemüse aus Frankreich, Spanien oder auch aus Italien. Da gibt es in der Tat zurzeit eine Stausituation im wahrsten Sinne. Und wir werden deshalb möglicherweise auch in den Supermärkten in den Obst- und Gemüseregalen auch sehen, dass das eine oder andere Produkt nicht da ist, was man sonst zur Verfügung hat. Aber insgesamt wird es wirklich eine gute, ausreichende Lebensmittelversorgung geben.
Pandemie-Pläne für Lebensmittelproduktion vorhanden
Münchenberg: Noch mal: Eine Knappheit bei bestimmten Produkten, da ist relativ wahrscheinlich, dass das auch in den nächsten Wochen so bleibt?
Genth: Die Knappheit, die wir heute sehen, ist durch Logistikdinge geprägt. Was zu viel gekauft wird in nicht haushaltsüblichen Mengen, kann nicht so schnell nachgelegt werden in die Regale. Und was wir künftig sehen, da müssen wir schauen, dass wir die Produkte ausreichend da haben. Insgesamt hat ein Supermarkt heute über 10.000 Artikel. Oder auch sehr große Verbrauchermärkte haben 20.000 Artikel in den Regalen. Das ist sehr, sehr viel. Das heißt, es wird insgesamt ein ausreichendes Angebot geben. Niemand muss Hamsterkäufe machen. Wir appellieren auch an die Vernunft der Leute, das so vernünftig zu tun. Wir erleben das auch gerade in Italien, wo es natürlich eine völlig andere Situation als in Deutschland heute ist, aber wo diese Hamsterkäufe nicht stattfinden.
Münchenberg: Vielleicht noch mal auf die Produktion geschaut. Wir haben gehört, dass Volkswagen zum Beispiel die Produktion runterfährt, einfach nicht mehr produziert. Ist denn Ähnliches nicht auch für die Lebensmittelproduktion in bestimmten Bereichen zu erwarten?
Genth: Die Lebensmittelproduktion gehört zur kritischen Infrastruktur in Deutschland. Hier gibt es Pandemie-Pläne schon immer und auch entsprechende Übungen und hohe Auflagen, die die Unternehmen einhalten. Ich hatte jetzt gerade eine Telefonschalte mit der Ernährungsindustrie, wo noch mal ganz klar gesagt wurde, wir sind lieferfähig, wir haben die Dinge im Griff. Man arbeitet in Mehrfach-Schichtbetrieben, man achtet auch sehr darauf, dass die Mitarbeiter, sage ich mal, von Schichten getrennt sind, damit man sich nicht möglicherweise trifft, falls dann doch jemand erkrankt sein sollte, so dass die Produktion aufrecht erhalten bleibt. Das ist alles gut funktional und wird auch weiterlaufen. Die größte Sorge bereitet uns momentan der Innenstadt-Einzelhandel, Textilien-, Sportgeschäfte, Schuhgeschäfte, Einkaufscenter, Kauf- und Warenhäuser, weil die jetzt ja von Bundesland zu Bundesland mittlerweile, angefangen bei Bayern über Niedersachsen, Berlin wird jetzt folgen, geschlossen werden müssen. Und da sind natürlich riesen Umsatzausfälle da. Insofern ein zweigeteiltes Bild, Lebensmittelhandel einerseits, aber der gesamte Non-Food-Innenstadt-Einzelhandel andererseits, der sehr massiv und sehr negativ betroffen ist.
"Unternehmen haben von morgen an keinen Umsatz mehr"
Münchenberg: Was fordern Sie da? Es ist ja im Gespräch, einen Krisenfonds einzurichten. Das wäre auch aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Genth: Erst mal muss man sagen, dass die Bundesregierung sehr schnell reagiert hat. Wir haben sehr intensive Gespräche und Austausche fast stündlich. Die Maßnahmen, die jetzt auf den Weg gebracht wurden, sind auch alle richtig. Aber die Dynamik, die wir seit dem letzten Wochenende erleben, mit drastischeren Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit, das öffentliche Leben kommt zum Erliegen, das kann man so nicht mehr auffangen. Und viele Tausende von Existenzen, beispielsweise im Textileinzelhandel, sind Mittelständler. Die haben vielleicht ein Unternehmen mit zwei, drei Millionen Jahresumsatz. Die haben jetzt die Ware für das Ostergeschäft, für das Frühjahrsgeschäft schon gekauft und möglicherweise auch schon bezahlt und haben jetzt von morgen an keinen Umsatz, null Umsatz mehr. Wir haben errechnet, dass gut sieben Milliarden Euro pro Woche fehlen werden. Das sind auch Gelder oder Konsumausgaben, die nicht zurück- oder nachgeholt werden können. Daher brauchen wir Direktzahlungen neben den Bürgschaftsprogrammen, die sicherlich auch gut sind. Hier geht es vornehmlich darum, diese Unternehmen sofort zu unterstützen, Steuervorauszahlungen beispielsweise zu stunden und auszusetzen, Sozialversicherungsbeiträge auch und Direktzahlungen zu leisten, da wo es erforderlich ist.
Münchenberg: Aber lässt sich das denn wirklich alles abfedern, auch wenn die Regierung ja derzeit alles versucht, um kriselnde Unternehmen, taumelnde Unternehmen zu stützen? Lässt das sich alles auffangen. Oder wird es nicht am Ende auch eine ganze Reihe von Pleiten geben?
Genth: Die Aussagen der Bundesregierung und des Wirtschaftsministers und Finanzministers sind eindeutig, dass niemand durch diese Corona-Krise insolvent gehen soll und kein Arbeitsplatz verloren geht.
"Hoffentlich keine Personalengpässe"
Münchenberg: Ist das realistisch?
Genth: Ich halte das für sehr kritisch, diese Aussage, weil man sieht, dass wir im Einzelhandel über 300.000 Handelsunternehmen haben, insgesamt drei Millionen Beschäftigte und davon fast zwei Millionen in diesen Innenstadt-Branchen. Dann wird es sehr, sehr kritisch werden, ob man überhaupt in der Lage ist, all diesen Unternehmen zu helfen, besonders kleineren und mittleren Unternehmen. Oder nehmen Sie das Kauf- und Warenhaus, was im Grunde genommen ja anders als ein Produktionsbetrieb nicht in der Lage ist, verlorene Produktion nachzuholen. Diese Umsätze sind weg und damit sind natürlich auch Millionen Arbeitsplätze gefährdet.
Münchenberg: Lassen Sie uns trotzdem noch mal auf den Food-Bereich schauen. Da sind ja auch Verkäufer und Einräumer mittlerweile an der Belastungsgrenze. Wie groß ist das Problem?
Genth: In der Tat haben wir natürlich hier auch Engpässe und sehen, dass wir unsere Filialen aufrecht erhalten müssen von Montag bis Samstag. Und hoffen, dass wir keinen höheren Krankheitsstand bekommen in den Lebensmittelfilialen, aber auch in der Logistik und in den Zentrallagern. Da tun wir momentan alles, setzen auch, sage ich mal, Arbeiter ein über Dienstleistungsunternehmen, um das mit abzusichern. Und sind hier vorbereitet und hoffen aber wie gesagt, dass bei einer weiteren Verbreitung es hier nicht zu Personalengpässen führen wird. Dann hätten wir natürlich auch ein Problem.
"Personen aus der Gastronomie neuen Job anbieten"
Münchenberg: Ist es vorstellbar, dass der Handel zum Beispiel bestimmte Supermärkte einfach wegen Personalmängel schließt, dass man das konzentriert auf bestimmte Anlaufstellen in den Städten?
Genth: Das ist heute nicht das Thema, sondern heute sagen alle großen Handelsunternehmen, dass sie in der Lage sind, diese Filialen aufrecht zu halten. Wir haben es hier auch nicht nur mit großen Konzernen zu tun, sondern nehmen Sie die beiden genossenschaftlichen Gruppierungen, wohinter Edeka und Rewe stehen, selbständige Kaufleute, die natürlich auch in der Region sehr klar verortet sind und genau ihr Geschäft auch kennen und Personaleinsatzpläne machen. Aber in der Tat haben wir es mit Engpässen möglicherweise zu tun und es gibt ja auch den Aufruf von einigen Supermarktketten, dass wir Stellen frei haben, dass Leute sich bewerben können, beispielsweise Personen, die in der Gastronomie momentan keine Beschäftigung finden, dass sie in den Einzelhandel hineingehen. Und dass man dann in dieser Weise helfen kann. Zurzeit geht es nicht darum, Filialen zu schließen, sondern wir können das Netz aufrecht erhalten, aber niemand weiß natürlich, wie die Woche sich weiterentwickelt, wo wir in 14 Tagen stehen. Und die Möglichkeit ist, dann in Branchen wie beispielsweise aus der Hotellerie und Gastronomie, wo Mitarbeiter zurzeit keine Beschäftigung haben, dann einen neuen Job anzubieten.
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