"Sie können komplett durch die Erde fliegen, ohne absorbiert zu werden. Sie können aus dem Sterninneren entweichen. Und das macht sie für uns so interessant."
Die Elementarteilchen, für die sich Marek Kowalski interessiert, sind ausgesprochene Sonderlinge: Schnell wie das Licht und unvorstellbar leicht und flüchtig: Neutrinos entstehen unter anderem bei Extremprozessen im All, bei Sternexplosionen oder wenn Schwarze Löcher gewaltige Mengen an Materie verschlingen. Diese Neutrinos fliegen dann nahezu ungestört durchs All. Kann man sie aufschnappen, verraten sie neue Details über jene gewaltigen Prozesse im Universum. Der Aufwand allerdings ist enorm, sagt Kowalski, Physikprofessor an der Humboldt-Universität in Berlin.
"Was wir uns zunutze machen, ist das natürliche Eis am Südpol. Dieses Eis haben wir instrumentiert."
"IceCube", so heißt der Detektor, den ein internationales Team kilometertief in den Eispanzer direkt am Südpol versenkt hat.
"Wir haben optische Sensoren, über 5000 Stück, in das Eis eingelassen. Zusammen spannen diese Sensoren ein Kubikkilometer großes Volumen auf. Die Größe ist ein Mal ein Kilometer."
Ab und zu mal reagiert ein kosmisches Neutrino mit dem Eis und erzeugt einen bläulichen Lichtblitz – Licht, das die kugelförmigen Sensoren dann auffangen können. 2011 war IceCube fertig. 2013 konnten Kowalski und seine Leute einen ersten Erfolg vermelden.
"Was wir vor zweieinhalb Jahren das erste Mal nachgewiesen haben ist, dass Neutrinos aus dem Kosmos zu uns kommen und damit diese Neutrinostrahlung uns für die Erforschung des Universums zur Verfügung steht."
Rund 30 Neutrinos konnten eingefangen werden
Seitdem sind rund 30 Neutrinos ins Netz gegangen, bei denen die Forscher sicher sind, dass sie aus den Tiefen des Universums kommen. Aber:
"Was wir noch nicht sagen können ist, wo sie herkommen. Das ist für uns jetzt die spannendste Frage: Was sind die Quellen dieser hochenergetischen Neutrinos? Das können Galaxien sein, die im Zentrum ein Schwarzes Loch haben, das Materie verschluckt. Es können aber auch Supernova-Sternexplosionen sein, die diese Teilchen produzieren."
Um das Rätsel zu lösen, würden die Physiker gerne aufrüsten, und zwar ordentlich: Sie wollen "IceCube" um das Zehnfache vergrößern.
"Also nicht ein Kubikkilometer, sondern bis zu zehn Kubikkilometer groß."
Die 5000 bisher im Eis verteilten Sensoren sollen um 10.000 zusätzliche, technologisch verbesserte Sensorkugeln ergänzt werden, so der Plan. Damit könnte "IceCube 2" noch energiereichere Neutrinos aufschnappen als bislang. Diese intergalaktischen Raser sollen dann Aufschluss geben zum Beispiel über jene extrem energiereiche kosmische Strahlung, die regelmäßig auf unseren Planeten trifft und über deren Ursprünge die Fachwelt seit Jahrzehnten rätselt. Die Experten nehmen an, dass dieselben Quellen, die die Neutrinos beschleunigen, auch die energiereiche kosmische Strahlung auf Trab bringen dürften.
"IceCube 2" soll 2025 in Betrieb gehen
"Wir wissen bis heute nicht, wo diese kosmische Strahlung erzeugt wurde. Was sind das für fantastische Beschleuniger, die diese Teilchen produzieren? Die Hoffnung ist, dass wir mit den Neutrinos über diese Beschleuniger etwas lernen können."
Um das Jahr 2025 könnte "IceCube 2" in Betrieb gehen, Kostenpunkt rund 300 Millionen Euro. Und dann soll auch eine zweite Anlage nach Neutrinos lauschen – ein Detektor namens "KM3NeT", stationiert im Mittelmeer. Er würde eine andere Himmelsrichtung überwachen als IceCube, wodurch sich, meint Kowalski, die beiden Teleskope optimal ergänzen würden.
"Dann hätten wir ein Teleskop im Süden und eins im Norden. Und das ist für die Astronomie die Idealsituation."