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Sure 112 Verse 1-4
Eine deutliche Abgrenzung des Christentums

Die Verse eins bis vier sind die komplette Sure 112. Damit ist dieser Abschnitt des Korans einer der kürzesten - was nichts über seine Bedeutung aussagt. Im Gegenteil. Sure 112 ist sowohl für die Theologie als auch die Alltagspraxis von Muslimen eine der wichtigsten. Sie grenzt deutlich die christlichen Lehren ab. Und aufgrund ihrer Kürze kennen sie viele praktizierende Muslime auswendig und rezitieren sie in ihren fünf täglichen Pflichtgebeten.

Von Prof. em. Dr. Stefan Wild, Universität Bonn |
    "Sprich: Gott ist Einer,
    Ein ewig Reiner,
    Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner,
    Und nicht ihm gleich ist einer."
    Dies ist eine der kürzesten Suren des Korans. Gleichwohl sagen viele Muslime, sie fasse den Islam in seiner Essenz zusammen. Diese Sure hat fünf wichtige Merkmale, zwei formal, drei inhaltlich:
    Formal besteht diese Sure wie der gesamte Koran aus Versen, die sich reimen oder Assonanzen bilden. Die eben gehörte Übersetzung stammt von Friedrich Rückert, einem der genialsten deutschen Dichter und Übersetzer aus dem 18./19. Jahrhundert.
    Die Sendereihe "Koran erklärt" als Multimediapräsentation
    Vers 1 der Sure wird eingeleitet durch das Wort "Sprich:".Damit fordert Gott den Propheten Mohammed auf, Gottes Wort zu verkünden. Was nach diesem Wort kommt, ist für Muslime eine unmittelbar göttlich inspirierte Rede. Gott spricht durch das Sprachrohr des Propheten. Über den ganzen Koran verteilt, fordert der göttliche Sprecher mit diesem Wort "Sprich" mehr als dreihundert Mal den Propheten zur Verkündigung auf.
    Inhaltlich lehrt die Sure die absolute Einheit Gottes. Der Koran nimmt auf, was die Juden meinten, wenn sie sagten: "Höre Israel: 'Der Herr, unser Gott, ist Einer'". Für mehrere Götter oder eine Dreifaltigkeit ist in diesem Monotheismus kein Platz.
    Ebenso wenig darf der Muslim Gott als zeugend oder gezeugt denken. Der Vers: "Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner" ist eine direkte Ablehnung des christlichen Dogmas von der Gottessohnschaft Jesu. Im Felsendom zu Jerusalem steht diese Sure geschrieben und dient der Belehrung der Christen. Isa, wie Jesus im Koran heißt, ist im Islam ein großer Prophet, auch der Koran nennt ihn "Messias", aber er bleibt hier ein Mensch. Er und seine Mutter Maria, arabisch: Maryam, genießen hohe Verehrung unter Muslimen. Der Koran bezeugt auch die jungfräuliche Geburt Isas. Aber Isa ist eben nicht göttlich.
    Und dann ist da noch der zweite Vers der Sure, in dem sich "Gott ist einer" reimt auf "ein ewig Reiner". Das arabische Wort samad, das Rückert mit „ein ewig Reiner" übersetzt, kommt nur einmal im Koran vor. Die vielfältigen Bedeutungen, die spätere muslimische Exegeten in das Wort hineinlasen, sind so heterogen, dass man zu dem Schluss kommt, sie hätten es selber nicht genau gewusst. Aber nicht alles in einer Heiligen Schrift muss klar sein. Der Koran selbst weist darauf hin, dass es in ihm klare und weniger klare Verse gibt. Die arabischen Exegeten pflegten in solch schwierigen Fällen zu sagen: "Und Gott weiß es am besten".
    Diese Sure 112 ist somit monotheistisches islamisches Urgestein. Sie bezieht sich auf den jüdischen Monotheismus und weist christliche Kerndogmen scharf ab. In dieser Hinsicht steht der Islam dem Judentum also näher als dem Christentum.
    Es ist aber in der unübersichtlichen Landschaft der Spätantike oftmals nicht leicht, zwischen den konkurrierenden religiösen Gruppen Juden, Christen, monotheistischen Gottsuchern und Heiden, zwischen Häresie und Polemik auf der arabischen Halbinsel zu unterscheiden. Wie gingen im Entstehen begriffene muslimische Gruppen unter der Leitung des Propheten und des Korans mit religiösen Konkurrenten um? Hier ist noch viel im Dunkel. Deshalb sagen wir auch hier vorläufig: "Und Gott weiß es am besten".