"Und die Geister (dschânn) haben wir (schon) vorher aus dem Feuer der sengenden Glut (samûm) geschaffen."
Der Vers in der Übersetzung von Rudi Paret handelt von der Erschaffung übernatürlicher Wesen: den sogenannten Dschinnen (arab. dschânn). Und darüber braucht niemand erstaunt zu sein. Auch der Koran konnte den verbreiteten Vorstellungen seiner Epoche kaum entgehen. Und zu diesen gehörte, dass all jene leeren, unbewohnten Orte in der arabischen Wüstenlandschaft gewissermaßen von einer unsichtbaren Präsenz erfüllt sind: den Dschinnen.
Diese übernatürlichen Wesen galten als Pendant zu den Menschen. Die Menschen sind zum Überleben an die Oasen oder Wasserstellen gebunden. Den Dschinnen wurde dagegen nachgesagt, dass sie in den sonnenverbrannten Weiten Arabiens leben konnten, ohne Schaden zu nehmen. Zudem hieß es, sie könnten sich, ohne einen festen Weg nutzen zu müssen, selbst in der tiefsten, mondlosen Nacht sicher fortbewegen.
Angesichts dieser Unterschiede maßen die Menschen den Dschinnen Kräfte bei, die sie selbst nicht besaßen - zum Beispiel das Verborgene zu kennen (arabisch: al-ghayb). Damit ist das Wissen gemeint, das nur Gott besitzt und das den Menschen vorenthalten bleibt.
Wegen solcher den Dschinnen zugeschriebener Fähigkeiten war es eminent wichtig für den Gott des Korans, seine Macht auch auf diese Wesen auszuweiten. Die Menschen sollten davon abgebracht werden, sich in ihrem Glauben am Ende auf sie zu berufen. Indem der Koran die Dschinnen wie die Menschen als erschaffen einstuft, unterwirft er auch sie dem Schöpfer und dem Jüngsten Gericht (6:128).
Anders aber als es der Koran von den Menschen sagt, wurden die Dschinnen nicht aus feuchter Erde oder formbarem Ton erschaffen. Das Wesen der Dschinnen wird an das Bild geknüpft, das man sich von ihrem Lebensraum mit seiner extremen Hitze macht. So erfahren wir im eingangs zitierten Vers, dass die Dschinnen aus "nâr as-samûm" geschaffen wurden, wie es im arabischen Originaltext heißt.
Was bedeutet das? Lassen wir uns nicht von der Bedeutung des Wortes "nâr" täuschen. Es verweist keinesfalls auf ein Feuer aus Flammen, wie es viele Koranübersetzer meinen - Rudi Paret eingeschlossen. Es verweist auf die Hitze des Samum. Das ist ein bestimmter Wüstenwind. Er weht über große Entfernungen hinweg in Arabien ebenso wie in der Sahara. Der Samum ist glühend heiß und unmöglich einzuatmen.
In einer anderen Koranpassage (55:15) heißt es, die Dschinnen seien aus "Feuer ohne Rauch" erschaffen. Auch hier muss man wieder verstehen, dass es nicht um Flammen geht, sondern um die intensive Hitze, die im Hochsommer vom Boden der Wüste reflektiert wird.
Auch der Teufel - Iblîs im Koran genannt - geht laut Sure 38 Vers 76 davon aus, dass er aus derselben Materie wie die Dschinnen geschaffen ist. Auch der Ursprung jenes übernatürlichen Rebellen, der sich weigerte, vor dem aus Erde geschaffenen Menschen niederzuknien, liegt also in der Hitze der Sonne und nicht in einer Flamme.
Anders ist das in der Bibel. Dort entstehen übernatürliche Wesen tatsächlich aus einer Flamme. Es existiert hier eine Art Grenze zu der Vorstellungswelt Arabiens mit seiner überhitzten Erde.
Im Koran ist das Göttliche nicht mit Arabisch "nâr" - also Feuer oder Sonne - verbunden, sondern mit Arabisch "nûr" - Licht. Der Begriff bezeichnet speziell die Klarheit des Mondscheins. An dessen kühlem Licht wird im Koran all das gebunden, was dem Göttlichen entweicht, um dem Menschen nützlich zu sein.