"Sprich: Wenn die Menschen und die Dämonen sich zusammentäten, etwas, das diesem Koran gleicht, zustande zu bringen, würde ihnen das nicht gelingen – selbst wenn sie einander helfen würden."
Dieser Vers ist einer von insgesamt fünf, mit denen der Koran sich selber als ein Dokument beschreibt, das einzigartig und unnachahmlich ist. Die Verse geben sich als rhetorische Herausforderung: "Soll einer es doch versuchen – er wird scheitern". Deshalb tragen diese Verse auch den Namen "Verse der Herausforderung".
Tatsächlich gibt es aus der Frühzeit des Islams nur wenige Nachrichten über Versuche, den Koran nachzuahmen oder zu parodieren. Den vorhandenen Überlieferungen zufolge scheitern all Versuche – sei es, dass Gott selber interveniert, sei es, dass der Nachahmer frustriert aufgibt, weil es ihm einfach nicht gelingt, die Reimprosa, die besondere Wortwahl oder die stilistischen Eigentümlichkeiten eigenständig wiederzugeben.
Die "Verse der Herausforderung" haben schon früh die Aufmerksamkeit islamischer Korangelehrter geweckt. Der Koran lehrt, das Mohammed "das Siegel" der Propheten ist. Das heißt, er schließt Gottes Offenbarung ein für alle Mal ab, und zwar in arabischer Sprache.
Alle Vorgänger des Propheten Mohammed, zu denen auch aus der Bibel bekannte Figuren wie Abraham, Mose, Jakob oder Jesus gehören, haben Gottes Botschaft zu bestimmten Zeiten an bestimmte Völker übermittelt. Viele dieser Figuren legitimieren sich durch Wunder.
Nach Auffassung der islamischen Theologen hat etwa Mose die Teilung des Meeres beim Auszug des Volkes Israel vorzuweisen, Jesus unter anderem die Heilung von Todkranken. Mohammeds Wunder ist nun die Übermittlung des Korans selber.
Worin die Evidenz dieses Wunders besteht, warum der Koran einzigartig ist, darüber haben die islamischen Theologen, aber auch die arabischen Sprachwissenschaftler schon früh nachgedacht.
Sprachliche Schönheit oder Vollkommenheit gelten etwa hinsichtlich der Texte des Alten und Neuen Testaments an sich nicht als entscheidend; auch Übersetzungen aus dem Hebräischen und dem Griechischen in moderne Sprachen sind heutzutage selbstverständlich. Für den Koran als Wort Gottes ist dagegen sein arabischer Wortlaut essenziell. Und es gibt viele Muslime, die ihn für grundsätzlich unübersetzbar halten.
Worin besteht nun die sprachliche Unnachahmlichkeit? Darauf hat es vonseiten der klassisch-arabischen Korangelehrten und Literaturwissenschaftler verschiedene Antworten gegeben. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die laut rezitierte Form des Textes zugrunde legen, nicht seine stumme Lektüre: Das Wort "Koran" bedeutet letztlich ja auch "Rezitations-Text".
Es werden also beispielsweise die Reime analysiert, die eine Sure gliedern. Es geht um die Lautmalerei einzelner Wörter, den "Rhythmus" der Sätze. Untersucht wird aber zum Beispiel auch das Verhältnis von Allerweltswörtern zu schwierigen beziehungsweise seltenen Begriffen oder solchen, deren Bedeutung im Dunklen liegt. Nicht zuletzt erörtern die klassisch-arabischen Korangelehrten und die Literaturwissenschaftler die philosophische Frage, wie sich der Wortlaut des Textes zu seiner Bedeutung verhält, also wie unnachahmlich vollkommen das äußere "Kleid" zum inneren "Leib" des Korantextes passt.
Dabei haben sich sowohl bemerkenswerte Aufschlüsse für den Koran ergeben, als auch grundsätzliche Einsichten in die Funktionen von dichterischer Sprache, vom Reden "im übertragenen Sinn", von Gleichnis, Metapher und so weiter.
Wie subjektiv die Überzeugungen von der sprachlichen Einzigartigkeit des Korans sind, wie sehr sie möglicherweise auch auf religiöser Konvention beruhen, sei dahingestellt. Für das Verständnis des Korantextes und für die Funktion von Sprache allgemein hat die Theorie der Unnachahmlichkeit des Korans Grundlegendes geleistet.