"[Und sie sind jene, die ihre Scham schützen,] außer gegenüber ihren Ehefrauen und jenen, die ihre rechte Hand besitzt. Da sind sie nicht zu tadeln."
Dieser kurze Vers richtet sich an männliche Gläubige. Er setzt moralische und rechtliche Grenzen für Liebesbeziehungen .
Der erste Teil des ersten Satzes ist eigentlich ein eigener Vers. Es ist der vorangegangene fünfte: "Und sie sind jene, die ihre Scham schützen". Vers 6 besteht somit nur aus der dann folgenden Einschränkung.
Die ersten Verse der Sure 23 umfassen eine Auflistung von verschiedenen Tugenden, die einen Gläubigen ausmachen - darunter eben jener Schutz der eigenen Scham. Diese ethischen Anforderungen erlegt der Koran sowohl Männern als auch Frauen auf.
"Die Scham zu schützen", manchmal wird das Arabische auch mit: "die Keuschheit bewahren" übersetzt, ist eine Metapher für anständiges sexuelles Verhalten. Keuschheit bedeutet im koranischen Kontext nicht: das Zölibat zu praktizieren. Eine angemessenere Übersetzung wäre vielleicht: "die Regeln der Sexualmoral befolgen".
Was diese Regeln für männliche Gläubige sind, teilt uns Vers 6 mit, um den es heute geht: Sie müssen ihre Scham nicht vor ihren Ehefrauen schützen - und nicht vor jenen, "die ihre rechte Hand besitzt".
Mit dieser Formulierung umschreibt der Koran üblicherweise: Sklaven. Manchmal sind männliche und weibliche gemeint, in diesem Fall nur weibliche. Liebesbeziehungen zu Ehefrauen und Sklavinnen sind somit erlaubt.
Sklaverei ist aus der damaligen Sicht des Korans wie der Bibel eine selbstverständliche Institution der Gesellschaft. Der Koran erinnert Sklavenbesitzer aber wiederholt daran, Sklaven zu befreien, sei ein Akt der Frömmigkeit. Er befiehlt ihnen, Sklaven freundlich zu behandeln und Sklavinnen nicht zur Prostitution zu zwingen. Der Koran genehmigt Sklaven Hochzeiten und erkennt tugendhafte und gläubige unter ihnen an.
Sowohl Männer als auch Frauen konnten Sklavenbesitzer sein. Männer hatten zudem ein sexuelles Recht an ihren Sklavinnen. Frauen wurde Vergleichbares hinsichtlich ihrer männlichen Sklaven nicht eingeräumt.
Von weiblichen Gläubigen wurde grundsätzlich Monogamie verlangt. Eine Frau konnte nur mit dem Ehemann eine legitime Liebesbeziehung haben - oder, falls sie eine Sklavin war, mit ihrem Besitzer. Ein Mann durfte derweil bis zu vier Ehefrauen und eine unbestimmte Anzahl an Sklavinnen haben.
Nach klassisch-islamischem Recht mussten diese Sklavinnen aber buchstäblich das sein, "was seine rechte Hand besitzt" - ihm also rechtmäßig gehören. Ausgeschlossen waren vermutlich auch Liebesbeziehungen mit Sklavinnen, deren Besitzer ihnen eine Heirat mit einem anderen Mann gestattet hatte.
Dieses Nebeneinander von Geschlechtsverkehr mit Sklavinnen und Ehefrauen hatte weitreichende rechtliche Folgen. Auch wenn der Koran auf den Status von Kindern aus der Verbindung eines Herrn mit seiner Sklavin nicht unmittelbar eingeht, erklärten Rechtsgelehrte deren Nachkommen zu legitimen Erben ihres Vaters - in jeder Hinsicht gleichgestellt mit Kindern, die er von freien Ehefrauen hatte.
Eine dem Propheten Mohammed zugeschriebene Aussage lautet: "Das Kind gehört zu demjenigen, auf dessen (Ehe-)Bett es geboren wurde."Damit waren das Bett der Ehefrau ebenso wie das der Sklavin gemeint. Und da nun Geschlechtsverkehr mit Sklavinnen in Gottes Augen und nach dem Gesetz ebenso erlaubt gewesen ist wie mit Ehefrauen, folgt daraus: die Kinder eines Mannes mit einer Sklavin konnten nicht "unehelich" sein.
Ferner war es Konsens im islamischen Recht, dass eine Sklavin, die von ihrem Besitzer schwanger wurde, nicht länger fremdes Eigentum war. Man definierte sie im Arabischen als "umm walad", als Mutter eines Kindes. Ihr Besitzer konnte sie nicht mehr verkaufen oder weggeben.
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