"Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. Das Gleichnis von seinem Lichte: Das Licht ist wie eine Nische, in der eine Leuchte. Die Leuchte ist in einem Glas. Das Glas gleicht einem Stern, einem funkelnden. Angezündet von einem Baum, einem gesegneten. Einem Ölbaum, nicht östlich, nicht westlich, dessen Öl leuchtet beinahe, ohne dass es berührt hätte das Feuer. Licht über Licht. Gott leitet zu Seinem Licht wen Er will."
Viele Suren sind klar strukturiert. Andere, besonders die längeren, wurden offensichtlich zusammengesetzt, ohne dass man genau sagen kann, warum verschiedene Themen zu einer Sure verschmolzen sind. Die Sure 24 ist ein solcher Fall. Sie beginnt mit ausführlichen Geboten und Verboten über Heirat, Sklaverei, Ehebruch, Kastration und Prostitution.
Ohne Vorwarnung erscheint dann ein Vers, der formal und inhaltlich vollkommen Neues bringt: der "Lichtvers" – ein dunkler, atemloser Vers. Er beginnt mit: "Gott ist das Licht der Himmel und der Erde". Diese göttliche Selbstaussage scheint dem koranischen Satz zu widersprechen: "Nichts ist Gott gleich" (Sure 42:11).
Islamische Theologen hatten oft davor gewarnt, Gott menschliche Attribute zu geben. Dies wurde ein zentraler Streitpunkt der islamischen Frühzeit. Wenn Gott Licht ist und "wie eine Nische, in der eine Leuchte steht", hatte man dann nicht bereits Gott unzulässig mit irdischen Kategorien beschrieben? War das alles noch Vergleich oder Metapher? Oder musste man den Vers "ohne nach dem ‚Wie' " zu fragen, also erklärungslos hinnehmen?
Das koranische Licht-Gleichnis führt von einem ungelösten Rätsel zum anderen: Die Leuchte ist in einem Glas wie ein funkelnder Stern, angezündet von einem gesegneten Olivenbaum, weder östlich noch westlich... Der Koran entwirft hier Elemente einer Lichtmystik, welche die Aussage des nicäanischen Glaubensbekenntnisses "Gott von Gott, Licht vom Lichte" bei weitem übertrifft.
Gelehrte und Fromme schrieben dicke Bücher über diesen Vers. Manche lehrten, dass mit der "Nische" der Prophet Mohammed gemeint sei, da er in Sure 33 Vers 46 eine "leuchtende Lampe" genannt wird.
Andere sahen im Lichtvers, insbesondere in dem Satz "Licht über Licht", einen Hinweis auf das so genannte "Licht Mohammeds". Gott soll dieses noch vor den Menschen erschaffen und alle Propheten damit erleuchtet haben. In Mohammed schließlich hat sich dieses Licht dann der Vorstellung zufolge manifestiert.
Spätere Mystiker entwarfen ganze "Licht- und Illuminations-Philosophien". Hier tat sich besonders die schiitische Richtung hervor: Für sie bedeutete etwa die Aussage, der Ölbaum sei weder westlich noch östlich, dass die Religion Abrahams weder jüdisch noch christlich, sondern eben muslimisch sei.
Man übertreibt nicht, wenn man in diesem Vers eine wesentliche Wurzel der islamischen Mystik sieht. Osmanische Prachtmoscheen in Istanbul verewigen in ihren lichtdurchfluteten Fenstern bis heute kalligraphisch diesen Vers.
Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.