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Sure 30 Verse 2-4
Warum nur die Byzantiner im Koran vorkommen

Es kommt nicht so oft vor, dass geschichtliche Ereignisse jenseits der Umgebung des Propheten Mohammed im Koran angesprochen werden. Genau genommen kommt es nur ein einziges Mal vor. Und dabei geht es um die Byzantiner - also die damaligen christlichen Herrscher über die heutige Türkei. Mit Robert Hoyland gibt einer der weltweit besten Kenner der frühislamischen Geschichte Antworten auf die Frage: Warum?

Von Prof. Dr. Robert G. Hoyland, New York University, USA | 15.04.2016
    "Besiegt sind die Byzantiner im nächstgelegenen Land. Doch siegen werden sie nach ihrer Niederlage in ein paar Jahren. Bei Gott liegt die Entscheidung - vorher und nachher. Freuen werden sich die Gläubigen an diesem Tag".
    Erzählungen über die Taten früherer Propheten und die Zerstörung antiker Zivilisationen tauchen im Koran häufig auf. Aber diese Verse sind die einzige Anspielung im Koran auf ein damals zeitgenössisches Ereignis, das sich außerhalb der Heimatregion des Propheten Mohammed zugetragen hat.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Ferner haben wir hier die einzige Erwähnung eines damals zeitgenössischen Volks vorliegen. Es geht um die "Römer" beziehungsweise die "Byzantiner", wie wir heute jene Menschen nennen, die durch christliche Kaiser von Konstantinopel aus regiert wurden; sie selbst nannten sich übrigens weiterhin Römer.
    Dass nur so wenig Geschichtliches erwähnt wird, ist nicht allzu überraschend. Das Interesse des Korans an der Historie beschränkt sich auf die Heilsgeschichte. Das heißt, auf die Entsendung der Propheten und die Strafen der Vergangenheit, auf Mohammeds Mission in der Gegenwart und auf den Tag des Jüngsten Gerichts in der Zukunft. Warum also dieses Interesse an den Byzantinern?
    Robert Hoyland
    Robert Hoyland lehrte als Professor an der renommierten Oxford University in England und wechselte kürzlich an die New York University. (priv.)
    Die Standardsichtweise, die bis heute währt, ist diese: Die Verse weisen auf Gottes Macht hin. Die zeigt sich durch Mohammeds Handeln, denn Mohammed sagt etwas voraus, das dann auch eintritt.
    Aus dieser Sicht heraus erfolgte die Offenbarung kurz nachdem die Byzantiner 614 von den Persern in Palästina besiegt worden waren. Der zweite Teil der Offenbarung bezieht sich demnach auf den Sieg von Byzantiner-Kaiser Herakleios über die Perser gegen Ende des Jahres 627 im Nordirak.
    Die Koranverse an sich sind freilich zu vage, um zu klären, welche Geschehnisse genau gemeint sind. Für die Details muss man sich daher an die späteren Korankommentatoren halten.
    Diese vertraten allerdings keine einheitliche Interpretation. Manche nutzten den Umstand, dass aktive und passive Formen eines Verbs im Arabischen nur durch die Veränderung kurzer Vokale unterschieden werden.
    Kurzvokale schreibt man im Arabischen nicht. Es gibt nur Buchstaben für Langvokale. Besagte Exegeten veränderten also die Kurzvokale und lasen den Koranverse wie folgt: "Die Byzantiner waren im nächstgelegenen Land siegreich. Doch nachdem sie (andere) besiegt haben, werden sie (selbst) besiegt werden."
    Der Kommentator al-Tabarî zum Beispiel beruft sich bei dieser Lesart auf die hohe Autorität des Sohns des zweiten Kalifens Abdallâh Ibn Umar.
    Geschichtlich ließen sich diese Verse auf den Sieg der Byzantiner über die Muslime im Jahr 629 beziehen, gefolgt wiederum von den Siegen der Muslime über die Byzantiner 5 Jahre später im Jahr 634. Beide Schlachten trugen sich in Mu’ta im heutigen Jordanien zu.
    Mohammeds Heimat dem Hedschas angrenzt. Der Nordirak, wo sich die Schlacht zwischen Byzantinern und Persern zutrug, ist dagegen weiter weg. Zudem erläutern viele Kommentatoren, dass mit dem arabischen Ausdruck für "ein paar Jahre" der konkrete Zeitraum von drei bis neun Jahren gemeint sei. Das würde den Abschnitt von 629 bis 634 abdecken, nicht aber die 13 Jahre zwischen Sieg und Niederlage der Perser gegen die Byzantiner.
    Ferner dürfte man erwarten, dass Mohammeds Anhänger eher über einen eigenen Sieg frohlocken würden als über einen Sieg von anderen.
    Trotzdem wurde aber die byzantinisch-persische Erklärung zur dominierenden Sichtweise. Vielleicht weil die Diskussion darüber zu einem Zeitpunkt stattfand, als sich die Einstellung zur damals in Persien verbreiteten Religion des Zoroastrismus verhärtet hatte beziehungsweise eine starke antipersische Stimmung herrschte. Womöglich klang es da einfach plausibler und befriedigender, wenn Mohammed vorhersagen würde, dass seine Gemeinschaft dereinst über einen Sieg der monotheistischen Byzantiner gegen die dualistischen Zoroastrier frohlocken werde.

    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Sendezeitgründen leicht gekürzte Version.