"O ihr, die ihr glaubt! Wenn jemand seine Religion verlassen will, dann wird Gott Menschen bringen, die er liebt und die ihn lieben, demütig gegen die Gläubigen, streng gegen die Ungläubigen, die kämpfen werden auf dem Wege Gottes."
Dieser Vers ist aus drei Gründen interessant. Erstens unterstreicht er die koranische Absage an einen Stammesgott, der auf ewig mit einer bestimmten Gemeinschaft verbunden ist. Zweitens bestätigt er den Wert der Liebe unter den Menschen und zu Gott. Drittens weist er den Eifer zeitgenössischer liberaler Muslime zurück, die unbedingt mit allen Menschen in Harmonie leben wollen.
Der Vers spricht zunächst die Gläubigen an und unterstreicht, dass sich ihr Wert allein aus der Tatsache ihres Glaubens ergibt, daraus, wie sie mit anderen umgehen und wie engagiert sie ihre Religion ausleben - egal wie herablassend oder spöttisch andere ihr Handeln betrachten. Ihre Gemeinschaft ist keine der gesellschaftlichen oder tribalen Solidarität, sondern eine des Glaubens und der Praxis. Sollten sie dies aufgeben, gehen sie verloren. Andere Gläubige werden kommen und ihren Platz einnehmen.
Entsprechend ist Gott laut Koran einen Bund mit Abraham eingegangen. Er versprach ihm, ihn zum "Führer für die Menschen" zu machen. Als Abraham ihn daraufhin fragte, ob das Versprechen auch für seine Nachkommenschaft gelte, fiel Gottes Antwort recht kurz aus: "Mein Bund erstreckt sich nicht auf die Ungerechten." (2:124)
Kommen wir zum zweiten interessanten Aspekt des hier zu erläuternden Koranverses. Viele Nicht-Muslime vertreten die Auffassung, der Gott des Korans sei kein Gott der Liebe. Der Vers bestätigt - wie im Übrigen viele andere - genau das Gegenteil. Gott ist ein liebender Gott und er möchte geliebt werden. Nach Darstellung des Korans ist seine Liebe allerdings nicht bedingungslos. Es handelt sich nicht um eine grenzenlos kuschelige Liebe, wegen der man selbst im Angesicht von Fehlern und Ungerechtigkeiten Konflikten aus dem Weg geht.
Das bringt uns zum dritten wichtigen Punkt: Von den Gläubigen wird erwartet, dass sie untereinander Milde walten lassen und gegenüber denen, die sie ablehnen, streng auftreten. Anders als viele liberale Muslime, die darauf beharren, der Islam sei so eine Art offenes Zelt, in dem jedem mit gutem Willen begegnet wird, verlangt diese Koranstellen Strenge gegen manche Menschen.
Und, ja, ich selbst möchte auch nicht freundlich zu Rassisten sein, zu Homophobikern, Islamfeinden, Antisemiten, Frauenfeinden und Besatzern. Ich möchte kameradschaftlich mit jenen sein, die meinen Glauben teilen. Und mein Glaube verlangt, dass ich für Gerechtigkeit den Mund aufmache. Wenn ich das jedoch tue, werden jene, die ungerecht handeln, nicht freundlich darauf reagieren. Aber genauso wenig bin ich daran interessiert, milde mit ihnen umzugehen - allenfalls als Strategie, um ihre Boshaftigkeit zu schwächen. Warum sollte man sich nicht gegen einige Menschen stellen und diese bekämpfen? Nicht alle Formen des Kampfes müssen physisch sein.
In den Händen von Menschen, die weniger liberal sind, - ich betone "weniger" liberal -, wird diese Koranstelle somit zu einem bequemen Argument für jene arrogante Haltung, die da sagt: "Ich bin auserwählt. Du bist zu Eis erstarrt. Es ist meine heilige Mission, dich zu enteisen - selbst wenn das bedeutet, das Eis in zigtausend Stücke zu zerschlagen."