Archiv

Sure 53 Verse 1-18
Mohammed geht auf Himmelsreise

Wenige Ereignisse im Leben des islamischen Propheten Mohammed gelten unter muslimischen Gläubigen als so mystisch und wunderbar wie seine Reise zu Gott in den Himmel und ins Paradies. Die im Koran verankerte Erzählung beschäftigte über die Jahrhunderte hinweg nicht nur Religionsgelehrte, sondern inspirierte auch Schreiber, Poeten und Künstler.

Von Prof. Dr. Mona Siddiqui, University of Edinburgh, Schottland |
    "Wahrlich, er hatte eines der größten Zeichen seines Herrn gesehen."
    Mit dieser Aussage endet ein Koranabschnitt, der sich über die gesamten ersten 18 Verse erstreckt. Sie gehören wohl zu den frühesten Offenbarungen des Korans. Die Verse beginnen mit einem göttlichen Schwur: "Bei jedem einzelnen Stern, der sinkt und dann untergeht, wahrhaftig, Mohammed ist Gottes erwarteter Bote". Von diesem Vers bezieht die Sure ihren Namen: "Der Stern". Laut dem berühmten islamischen Historiker al-Tabarî geht es um den Sternhaufen der Plejaden, der, wenn er entschwindet, das Morgengebet ("fadschr") zeitlich markiert.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    In den nachfolgenden Versen wird der göttliche Ursprung der prophetischen Botschaft bekräftigt und die Wahrhaftigkeit des Propheten. Zudem wird bestätigt, dass das, was Mohammed gesehen habe, von Gott offenbart wurde. Der Erzengel Gabriel sei tatsächlich vom Horizont ganz oben gekommen, das heißt vom Punkt des Sonnenaufgangs aus. Er fuhr hernieder zum Propheten und kam ihm so nah, dass der Abstand zwischen beiden nur noch zwei Bogenlängen betrug. Gabriel war so gewaltig, dass seine Flügel den gesamten Horizont zwischen Himmel und Erde bedeckten.
    An anderer Stelle im Koran und in den islamischen Überlieferungen erfahren wir, dass Gabriel den Propheten sodann auf ein himmlisches Reittier namens Burâq hob und ihn auf eine Reise von Mekka zur so wörtlich "fernen Kultstätte" (Sure 17 Vers 1) führte. Unter dieser Bezeichnung "ferne Kultstätte" wird die Stadt Jerusalem verstanden. Dort leitete Mohammed Gebete zusammen mit Jesus, Moses und Abraham. Das ist der erste Teil einer Geschichte, die als Nachtreise bekannt ist. Auf arabisch: "isrâ’".
    Mona Siddiqui steht auf einer alten Steintreppe.
    Mona Siddiqui ist eine bekannte und vielgefragte Koran- und Islam-Expertin in Großbritannien. (Callum Bennetts / Maverick Photo Agency)
    In den Versen 13 bis 18 unserer Sure 53 wiederum geht es dann um den zweiten Teil: die Himmelfahrt Mohammeds - arabisch: "mi’râdsch".
    "Mi’râdsch" bedeutet "Leiter", "Aufstieg". Mohammed erklomm also jene Leiter. Sie führte ihn in die sieben Himmel. Dort traf er alle großen Propheten, am Ende Abraham unmittelbar vor den Toren zum Paradies. Diese äußerste Schwelle, bevor man vor Gott tritt, wird durch einen Lotosbaum ("sidrat al-muntahâ") kenntlich gemacht.
    Der Koran macht nur kurze Anspielungen auf die Nachtreise und die Himmelfahrt. Die Details finden sich in der ältesten Biografie des Propheten, in der "Sîra" aus der Feder des Autors Ibn Ishâq.
    Die Geschehnisse um Mohammeds Aufstieg in den Himmel zeigen eine grundlegende Überzeugung auf: Die Menschheit definierte die Unendlichkeit im religiösen Sinne stets über die vertikale Dimension. Gott ist hier aber nicht nur "darin", sondern er ist auch "darüber".
    Eine Debatte entspann sich über die Frage, ob der Prophet die äußerste Schwelle überschreiten und Gott sehen konnte. Nach Ibn Abbâs, Mohammeds Cousin, tat er das. Andere sagen, er sah nur dessen Thron. Ibn Abbâs argumentiert, Mohammed selbst habe gesagt: "Ich habe meinen Gott gesehen." Spätere Gelehrte interpretierten diese Aussage. Einige meinten, Mohammed habe Gott nur in seinen Träumen gesehen, andere, er habe lediglich Gottes Licht wahrgenommen.
    Die Gelehrten stützten ihre Argumentation auf einen Hadith, eine Überlieferung aus Mohammeds Leben. Die besagt, seine Ehefrau Aischa sei gefragt worden, ob er bei seiner Himmelfahrt Gott gesehen habe. Da sei Aischa wütend geworden und habe entgegnet: "Nein!" Und dann habe sie Sure 6 Vers 103 zitiert: "Blicke können ihn nicht erreichen, er aber erreicht die Blicke."
    Die Erzählung von Nachtreise und Himmelfahrt beflügelten im 15. und 16. Jahrhundert die Phantasie von Schreibern und Poeten, mystischen wie gewöhnlichen Muslimen. Einige der schönsten Darstellungen persischer Maler zeigen beide Ereignisse mit herrlichen Details.
    Die Audio-Version musste aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzt werden.